Morddrohungen gegen linke Politiker:innen: Täter enttarnt sich selbst

Nach einer Welle von Morddrohungen gegen linke türkisch/kurdisch-stämmige Politiker:innen in Deutschland hat sich der Täter nun offenbar selbst enttarnt. Es handelt sich aller Wahrscheinlichkeit nach um einen Mann in Kayseri mit Verbindungen zur MHP.

Nach einer fast ein Jahr andauernden Welle von Morddrohungen gegen linke Politikerinnen und Politiker mit kurdischen und türkischen Wurzeln in Deutschland hat sich der Täter nun offenbar selbst enttarnt. Es handele sich aller Wahrscheinlichkeit nach um einen Handyladenbesitzer mit Verbindungen zur rechtsextremen Szene aus der Stadt Kayseri in der Türkei. Das teilen die Betroffenen Kerem Schamberger, Cansu Özdemir, Civan Akbulut und Sarya Atac in einer gemeinsamen Stellungnahme mit.

Der Täter versendete am 23. November 2021 eine Drohung auf Instagram gegen den Münchner Kommunikationswissenschaftler und Politiker (Die Linke) Kerem Schamberger, vergaß dabei allerdings in seinen anonymen Account namens „Kod Adim Yesil“ (deutsch: Mein Codename ist Grün) zu wechseln*. Er schickte sie stattdessen von seinem geschäftlichen Account namens „Teknotell_Kayseri“, ein Vodafone-Shop im Zentrum von Kayseri. Ein Foto, das den mutmaßlichen Täter zeigte, wurde gelöscht nachdem der Fehler realisiert wurde. Es liegen jedoch Screenshots vor.

Das Bild zeigt den Mann am Schreibtisch seines Ladens, die Caption lautet: „Ich gratuliere den Abgeordneten des türkischen Volkes Olcay Kılavuz und Baki Ersoy und wiederhole mit lauter Stimme: Selahattin Demirtaş ist ein Terrorist.“ Kılavuz und Ersoy sind Abgeordnete der MHP, dem Sammelbecken der rechtsextremistischen Bewegung in der Türkei. Die Partei ist der kleine Koalitionspartner der AKP. Welche Verbindungen der Täter zur MHP genau hat, sei noch nicht bekannt. „Allerdings zeigt die Bezugnahme auf MHP-Abgeordnete seine Sympathie mit der faschistischen Bewegung, die hierzulande auch als Graue Wölfe bekannt ist. Inwiefern er in weitere Strukturen eingebunden ist, ist unklar und muss Gegenstand weiterer Ermittlungen sein“, heißt es in der Stellungnahme von Schamberger und Co.

Unter dem Post markierte der mutmaßliche Täter zudem Kerem Schamberger, die Hamburger Linksfraktionsvorsitzende Cansu Özdemir sowie weitere Personen. Dies könnte dafür sprechen, dass es sich mit der „Enttarnung“ gar nicht um einen Zufall, sondern vielmehr um einen bewussten Gang an die Öffentlichkeit handelte – weil er meinte, juristisch nichts zu befürchten? „Angesichts der Tatsache, dass die MHP Teil der Regierungskoalition ist und frühere Ermittlungen in der Türkei gegen ähnliche Morddrohungen von staatlicher Seite ins Leere liefen, könnte er sogar richtig liegen.“

Wie aus der gemeinsamen Erklärung der Betroffenen hervorgeht, ist der Vorstand der HDP, deren Abgeordnete in diesem Jahr ebenfalls Morddrohungen desselben Accounts erhielten, informiert. „Die genaue Adresse des Handyladens liegt der Polizei in Deutschland vor. Bisher waren auch hierzulande alle Verfahren eingestellt worden oder verliefen im Sande, weil kein Täter ausfindig gemacht werden konnte und/oder Instagram sich nicht besonders kooperativ in den Ermittlungen zeigte. Allerdings deuteten bereits in diesem Sommer Ermittlungen des BKA in Wiesbaden zu IP-Adressen auf Kayseri als Herkunftsort der Drohungen.“

Die Enttarnung hat bundesweite und internationale Bedeutung. Von den Morddrohungen betroffen sind nicht nur Politiker:innen und Aktivist:innen wie Cansu Özdemir, Kerem Schamberger, Sarya Atac (Ausländerbeirat Frankfurt am Main, Die Linke), Civan Akbulut (Integrationsrat Essen, Die Linke) und andere, sondern auch aktuelle und frühere Mitglieder des Bundestags, wie Gökay Akbulut und Tobias Pflüger (jeweils Die Linke). In der Türkei verschickte der Account „Kod Adim Yesil“ / „Teknotell_Kayseri“ ähnlich lautende Morddrohungen an Abgeordnete der HDP, darunter war auch Kemal Bülbül. Der alevitische Politiker erhält immer wieder Morddrohungen aus nationalistischen Kreisen und spricht dies auch häufig in Debatten im türkischen Parlament öffentlich an.

Solidarität für Kampf gegen Faschismus

In einer früheren Stellungnahme erklärten die Betroffenen in Deutschland:

„Was die Faschist:innen mit den Morddrohungen bezwecken wollen? Uns mundtot machen. Aber wir lassen uns nicht einschüchtern - nicht von allen bisherigen Angriffen und auch nicht von diesem. Ganz im Gegenteil, für uns heißt es nur noch mehr: Weiterkämpfen gegen Nationalismus und Faschismus. Dabei setzen wir auch auf eure Solidarität!“

Diese Worte gelten nach wie vor, mahnen die Betroffenen.

* Bei dem Instagram-Accountnamen handelt es sich um eine Bezugnahme auf Mahmut Yıldırım, der unter diesem Decknamen als Auftragsmörder des Geheimdienstes der türkischen Militärgendarmerie (JITEM) für eine Reihe von Morden an Kurd:innen und politischen Linken in den 1980/90er Jahren verantwortlich war.