Erdoğans Wahlsieg: Es brechen schwierige Zeiten an
Der alte und neue Präsident der Türkei heißt Recep Tayyip Erdoğan. Oppositionellen und der Gesellschaft im Allgemeinen stehen zweifellos keine einfachen Zeiten bevor, resümiert Civaka Azad.
Der alte und neue Präsident der Türkei heißt Recep Tayyip Erdoğan. Oppositionellen und der Gesellschaft im Allgemeinen stehen zweifellos keine einfachen Zeiten bevor, resümiert Civaka Azad.
Der Wahlkrimi ist vorüber, es herrscht Gewissheit: Der alte und neue Präsident der Türkei heißt Recep Tayyip Erdoğan. Das Kurdische Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit mit Sitz in Berlin zieht in seinem aktuellen Newsletter ein Fazit und wirft einen Ausblick auf die nahe Zukunft:
Am Sonntagabend standen sie gemeinsam in Siegerpose vor dem Präsidentenpalast. Erdoğan in der Mitte flankiert von seinen Verbündeten. Um den neuen und alten Staatspräsidenten versammelt sind vor allem Männer, die entweder rechtsradikalen und/oder islamistischen Parteien vorstehen. Gemeinsam mit Erdoğan und seiner AKP werden sie das Land in den kommenden fünf Jahren regieren. Dabei dürfte es nationalistischer, islamistischer und vor allem autoritärer werden als bisher.
Unter den ersten Gratulanten zum Wahlerfolg versammelten sich wenig überraschend Vertreter islamistischer und reaktionärer Gruppen wie der Taliban aus Afghanistan oder Hayat Tahrir al-Sham, dem Al-Qaida-Ableger in Syrien. Auch der ungarische Autokrat Orbán, der Emir von Katar sowie der ehemalige US-Präsident Trump ließen nicht viel Zeit verstreichen, um Erdoğan ihre herzlichsten Glückwünsche auszusprechen. Und natürlich gab es am Wahlabend auch noch Glückwünsche aus Berlin. Die Botschaft von Bundeskanzler Scholz lautete: „Deutschland und die Türkei sind enge Partner und Alliierte - auch gesellschaftlich und wirtschaftlich sind wir stark miteinander verbunden.“
Oppositionellen und der Gesellschaft im Allgemeinen stehen nun zweifellos schwierige Zeiten bevor. Während Erdoğan noch bei seiner Siegesrede klarmachte, dass der kurdische Politiker Demirtaş das Gefängnis während seiner Regierungszeit nicht verlassen werde, forderten seine Anhänger:innen in der Menge die Todesstrafe. Ob diese in der neuen Amtszeit Erdoğans wieder eingeführt werden könnte, ist unklar, doch dass die Opposition - nicht nur die kurdische - mit verstärkten Repressionen rechnen muss, gilt als sicher. Noch in der Nacht nach dem Wahlerfolg fragten sich Moderator:innen und Journalist:innen vor laufenden Kameras in den Nachrichtensendungen, ob nun bald die Absetzung des Istanbuler Bürgermeisters İmamoğlu folgen würde.
Für die Bevölkerung Nordkurdistans dürfte es noch schlimmer kommen. Zum zweiten Mal binnen 14 Tagen haben die kurdischen Wähler:innen Erdoğan an den Wahlurnen eine klare Absage erteilt. Die staatlichen Sicherheitskräfte reagierten auf das Wahlergebnis in Nordkurdistan in gewohnter Manier: Sie attackierten die Bevölkerung am Wahlabend (wie in Colêmerg, tr. Hakkari) und nahmen am nächsten Morgen in Gever (Yüksekova) zahlreiche kurdische Aktivist:innen fest, die sie zudem misshandelten.
In der Türkei hat das vielleicht reaktionärste Bündnis in der Geschichte des Landes sich die Macht gesichert. Es waren keine demokratischen Wahlen, denn Erdoğan hat alle staatlichen Mittel und Möglichkeiten für seine Wiederwahl eingesetzt: vom Staatsfernsehen (für seine Wahlpropaganda) über den Justiz- und Sicherheitsapparat (für die Verfolgung der Opposition) bis hin zu den finanziellen Reserven des Landes (wie für das einmonatige Gratisgasgeschenk kurz vor der Wahl). Auch am Wahltag kam es zu zahlreichen Zwischenfällen und Unregelmäßigkeiten, über die wir in unserem Liveblog berichtet haben. Und dennoch stimmten 48 Prozent der Wähler:innen gegen eine weitere Amtszeit von Erdoğan.
Dass ein Autokrat wie Erdoğan, der sich zudem zahlreicher Kriegsverbrechen schuldig gemacht hat und in viele Korruptionsskandale verwickelt ist, nicht einfach abgewählt werden kann, befürchteten nicht Wenige schon vor den Wahlen. Genau das hat sich nun bewahrheitet. Für die oppositionellen Teile der Gesellschaft in der Türkei gilt es nun, sich zu organisieren und den Kampf für Demokratie außerhalb der staatlichen Institutionen fortzusetzen. Auch die Menschen jenseits der türkischen Staatsgrenzen, die direkt von Erdoğans Kriegs- und Besatzungspolitik betroffen sind, wie etwa die Kurd:innen in Nordsyrien (Rojava) oder im Nordirak (Südkurdistan), müssen sich in den kommenden Jahren auf einen umfassenden Widerstand einstellen. Und die einzig richtige Antwort der deutschen Gesellschaft auf die Wiederwahl Erdoğans kann nur sein, sich in diesen schwierigen Zeiten auf die Seite der demokratischen Kräfte in der Türkei zu stellen und mit ihnen solidarisch zu sein.