Gegen den türkischen Faschisten Onur Gencer, der am 17. Juni 2021 in das Gebäude des HDP-Provinzverbands von Izmir eingedrungen war und die Kurdin Deniz Poyraz grausam ermordete, erging das Urteil. Der vom türkischen Staat militärisch trainierte Rechtsextreme wurde in Izmir zu einer erschwerten lebenslänglichen Haftstrafe plus neun Jahre verurteilt. Das Gericht verurteilte Gencer zu lebenslanger Haft wegen „vorsätzlicher Tötung“, zu vier Jahren wegen „Sachbeschädigung“, zu zwei Jahren wegen „Hausfriedensbruch“ und zu drei Jahren Haft wegen „Verstoß gegen das Schusswaffengesetz“.
Nach der Entscheidung des Gerichts, den Anwält:innen der Nebenklage den Zutritt zum Gerichtssaal zu verweigern, begannen die Anwält:innen und Hunderte von Menschen, die die Verhandlung verfolgten, einen Sitzprotest vor dem Gericht.
„Das Gericht fürchtet die Wahrheit“
Der ehemalige Präsident der Anwaltskammer von Izmir, Özkan Yücel, erklärte vor dem Gericht, dass Theater vor einem leeren Gerichtssaal gespielt worden sei. Das Gericht habe Angst vor der Wahrheit. Yücel sagte: „Dies ist kein Prozess. Diejenigen, die den Mörder geschützt haben, vom Staatsanwalt über die Strafverfolgungsbeamten bis hin zum Gerichtsausschuss, haben das Blut von Deniz Poyraz an ihren Händen. Es handelt sich um einen Mord zur Aufrechterhaltung eines politischen Klimas der Angst. Das hätten wir auch gesagt, wenn wir den Gerichtssaal betreten hätten. Aber selbst wenn sie uns nicht in den Gerichtssaal lassen, werden wir überall Widerstand leisten und kämpfen.“
„Hintermänner wurden nicht bestraft“
Abdülmecit Yıldırım, einer der Anwälte der Nebenklage, sagte: „Es ist nicht das erste Mal, dass wir ein politisches Verfahren erleben. In diesem Land haben die Massaker vom 6./7. Oktober, von Madımak und von Maraş stattgefunden. Die Mörder von Tahir Elçi und Musa Anter wurden nicht benannt, und es wurden sogar Auszeichnungen verliehen. In diesem Fall wissen wir, dass sie den Mörder zu lebenslanger Haft verurteilen und sagen werden: ‚Wir haben ihn bestraft‘. Aber das stimmt nicht, jemand gab ihm die Waffe und stand hinter ihm. Wir akzeptieren nicht, dass diese Personen nicht bestraft werden sollten. Wir versprechen Deniz, diesen Fall nicht aufzugeben.“
Nahit Eren, der Vorsitzende der Anwaltskammer von Amed (tr. Diyarbakır), erklärte, dass Vorgänge wie im Gerichtssaal in Izmir immer wieder geschehen. Er erinnerte an das rassistische Massaker von Konya: „Das letzte Mal ist so etwas nach Konya geschehen. Der Mord hier ist mit dem Massaker dort identisch. Wir hatten eine Untersuchung beantragt, um die Hintermänner aufzudecken, aber sie haben allein einer Person sieben Mal verschärfte lebenslängliche Haft erteilt. Diese Erfahrung machen wir schon seit hundert Jahren. Leider misst das Justizsystem bei Verbrechen, denen Kurdinnen und Kurden zum Opfer fallen, mit einem anderen Maß. Eines Tages werden die schmutzigen Hintergründe dieser Attentate definitiv aufgedeckt werden, dieser Tag ist nahe.“
Fehime Poyraz: „Ich fürchte mich nicht vor dem Staat“
Fehime Poyraz, die Mutter der ermordeten Deniz Poyraz, erklärte: „Ich habe keine Angst vor dem Staat oder der Polizei. Sie haben Angst vor unserem Schatten. Sie haben die Täter des Massakers vor dem kurdischen Volk verborgen. Der Staat hat diesen Mörder unterstützt. Von nun an können sie alles tun. Wir bleiben jedoch standhaft. Die Gefallenen sind unsterblich.“
Mithat Sancar: „Die Wahrheit wird nicht verborgen bleiben“
Der Ko-Vorsitzende der HDP, Mithat Sancar, erklärte, man erlebe das tragische Ende eines Schauprozesses, bei dem grundlegende Rechte von Anwält:innen verletzt wurden: „Ein Prozess, der unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, wird trotz der eindeutigen Bestimmungen der Verfassung willkürlich fortgesetzt. Dies ist ein Spiegelbild der Ordnung, die die Regierung im Lande schaffen will. Sie will ein Land erschaffen, in dem die Wahrheit zerstört wird. Aber es gibt Millionen von Menschen, die dies nicht zulassen, ehrenwerte Anwält:innen, den Demokratie-Block, der diesen Prozess von Anfang an verfolgt hat, und die unermüdliche Kraft des kurdischen Volkes für Freiheit. Der Staat wird nicht in der Lage sein, die Wahrheit über die politischen Verbindungen und Absichten zu vertuschen.“
Nach den Reden beendete die Menge den Sitzprotest und machte sich auf den Weg zur Anwaltskammer von Izmir, um die Urteilsbegründung abzuwarten.