Sieben Mal lebenslänglich für rassistische Morde von Konya

Am 30. Juli 2021 tötete Mehmet Altun in Konya sieben Mitglieder der kurdischen Familie Dedeoğulları. Nun ist er zu sieben lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden. Seine Komplizen wurden freigesprochen.

Rund fünfzehn Monate nach den rassistischen Morden von Konya ist der Attentäter am Donnerstagabend zu siebenmal lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Gericht befand den Mann für schuldig, vorsätzlich und heimtückisch sieben Mitglieder der kurdischen Familie Dedeoğulları getötet zu haben. Mehmet Altun erhielt für jedes Opfer eine lebenslange Haftstrafe sowie zehn weitere Jahre wegen Brandstiftung, Hausfriedensbruch und unerlaubtem Waffenbesitz. Die restlichen zehn Angeklagten - Angehörige und Verwandte des Schützen - wurden von allen Anklagepunkten freigesprochen.

Einzige kurdische Familie am Wohnort

Trauer, Wut, Entsetzen: Die Morde an sieben Mitgliedern der Dedeoğullarıs im Juli vergangenen Jahres hatten weltweit die kurdische Gesellschaft erschüttert. Die ursprünglich aus Qers (tr. Kars) stammende Familie lebte seit dreißig Jahren in der zentralanatolischen Provinz Konya, die letzten 24 davon in einem Viertel im Kreis Meram. Es war die einzige kurdische Familie in dem Ort, die sich immer wieder rassistischen Bedrohungen und Übergriffen ausgesetzt sah.

Nur zwei Monate vor den Morden war die Familie Dedeoğulları von einem aus sechzig Personen bestehenden Lynchmob in ihrem Haus überfallen und schwer verletzt worden. Sieben der Angreifer wurden damals vorübergehend in Untersuchungshaft genommen, aber aus „Mangel an Beweisen“ wieder freigelassen und sogar unter Polizeischutz gestellt. Für die Dedeoğullarıs dagegen gab es keine Initiativen und Maßnahmen zur Vorbeugung von weiteren Übergriffen. Das Verfahren um den Lynchangriff ging Ende Oktober mit symbolischen Schuldsprüchen für neun Beteiligte zu Ende. Sie erhielten Haftstrafen zwischen zwei und sechs Jahren. Bei den Verurteilten handelt es sich um Angehörige von Mehmet Altun. Im Gefängnis sitzt niemand.


Mit Kopfschüssen getötet

Laut dem Obduktionsbericht hat Mehmet Altun seine Opfer mit 21 Kugeln niedergestreckt. Allein fünf der Schüsse trafen mit dem 65-jährigen Yaşar Dedeoğulları den Vater der Familie. Seine Ehefrau Ipek (60) und die gemeinsamen Kinder Serap (36), Serpil (32), Sibel (30), Metin (45) und Barış Dedeoğulları (35) wurden mit Kopfschüssen getötet. Bevor Altun vom Tatort flüchtete, schüttete er noch Benzin im Haus der Familie aus und versuchte es anzuzünden.

Täter geht bei Kommando der Landstreitkräfte ein- und aus

Obwohl die Verteidigung der Nebenklage nachweisen konnte, dass das Massaker an der Familie Dedeoğulları in einer WhatsApp-Gruppe, die unmittelbar nach dem Lynchangriff erstellt wurde, organisiert geplant worden war, der Todesschütze zwischen Mai und Juli 2021 bei der örtlichen Kommandantur der türkischen Landstreitkräfte ein- und ausging - mutmaßlich zum Schießtraining - und reichlich Indizien vorlagen, denen zufolge staatliche Kräfte in die Morde involviert gewesen sein könnten, hatte es das Gericht sehr eilig, den Fall abzuschließen. Kein einziges Gesuch der Nebenklage wurde substanziell geprüft und alles, was gegen die These der Staatsanwaltschaft - die die Morde im Schulterschluss mit der Regierung als Einzelfälle und Familienfehde bagatellisierte und die Hintergründe vertuschte - ausgelegt wurde, wurde beiseitegeschoben.

Der Todesschütze Mehmet Altun bei seiner sanften Festnahme fünf Tage nach den Morden

Anwalt der Nebenklage: Urteil einer politisierten Justiz

„Deshalb ist von Anfang an klar gewesen, dass das Gericht bei seiner Urteilsfindung das rassistische Motiv der Morde an sieben Mitgliedern einer kurdischen Familie nicht berücksichtigen wird“, kritisierte Rechtsanwalt Abdurrahman Karabulut das Urteil. Es sei so klar wie das Licht der Sonne, dass das einzige Motiv für die Morde der „tiefsitzende Hass“ auf Menschen kurdischer Volkszugehörigkeit gewesen sei und der Todesschütze nicht allein war. Dennoch seien diese Tatsachen „verschleiert“ worden, so der Jurist. „Von Beginn an beobachten wir als Verteidigung einen fehlenden Aufklärungswillen, strukturelle Empathielosigkeit, Ignoranz und mangelnde Transparenz. Ständig wurden uns Hürden in den Weg gelegt. Ganz offensichtlich konnten sich die Täterinnen und Täter eines breiten Rückhaltes in staatlichen Strukturen sicher sein. Es ist ein Urteil einer politisierten Justiz. Dieser Prozess kann nur als Justizfarce bezeichnet werden.“

Altun kündigte an, gegen die Gerichtsentscheidung vorzugehen. Über die Berufung gegen das Urteil im Prozess um den Lynchangriff auf die Familie Dedeoğulları ist noch nicht entschieden worden.