In Konya beginnt am Dienstag der Prozess um die rassistischen Morde an sieben Mitgliedern der kurdischen Familie Dedeoğulları. Angeklagt sind elf Verdächtige, darunter der Haupttäter Mehmet Altun, der als einziger in Untersuchungshaft sitzt. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 33-jährigen Türken siebenfachen Mord aus Heimtücke, Brandstiftung, Hausfriedensbruch und unerlaubten Waffenbesitz vor. Er hat bereits gestanden, die Eheleute Yaşar und Ipek Dedeoğulları sowie die gemeinsamen Kinder Serap, Serpil, Sibel, Metin und Barış am 30. Juli in ihrem Haus in der zentralanatolischen Provinz Konya getötet zu haben.
Trauer, Wut, Entsetzen: Der siebenfache Mord an der Familie Dedeoğulları hatte weltweit die kurdische Gesellschaft erschüttert. Die ursprünglich aus Qers stammende Familie lebte seit dreißig Jahren in Konya, die letzten 24 davon in einem Viertel im Kreis Meram. Es war die einzige kurdische Familie in dem Ort, die sich immer wieder rassistischen Bedrohungen und Übergriffen ausgesetzt sah. Erst am 12. Mai war die Familie von einem aus sechzig Personen bestehenden Lynchmob in ihrem Haus überfallen und schwer verletzt worden. Sieben der Angreifer wurden damals vorübergehend in Untersuchungshaft genommen, aber aus „Mangel an Beweisen“ wieder freigelassen und sogar unter Polizeischutz gestellt. Für die Dedeoğullarıs dagegen gab es keine Initiativen und Maßnahmen zur Vorbeugung von weiteren Übergriffen.
Morde in WhatsApp-Gruppe geplant
Nach Angaben des Rechtsanwalts Abdurrahman Karabulut wurde das Massaker an der Familie Dedeoğulları in einer WhatsApp-Gruppe geplant. Angehörige des Haupttäters Mehmet Altun hätten den Chat-Kanal nach dem vorangegangenen Lynchversuch im Mai gegründet und die Morde in organisierter Form geplant. Laut dem Obduktionsbericht hat Altun insgesamt 21 Kugeln auf seine Opfer abgegeben, allein fünf der Schüsse trafen mit dem 65-jährigen Yaşar Dedeoğulları den Vater der Familie. Seine Ehefrau Ipek (60) und die gemeinsamen Kinder Serap (36), Serpil (32) Sibel (30), Metin (45) und Barış Dedeoğulları (35) wurden mit Kopfschüssen getötet. Bevor Altun vom Tatort flüchtete, schüttete er noch Benzin im Haus der kurdischen Familie aus und versuchte es anzuzünden.
Flüchtiger Haupttäter fünf Tage nach den Morden in einem Versteck gefasst
Bei seiner ersten Vernehmung gab Mehmet Altun zu Protokoll, mit einem Brand die Zerstörung der Überwachungskameras bezweckt zu haben. Diese hatten die Dedeoğullarıs nach dem Lynchangriff im Mai an ihrem Haus angebracht. Dass er auf alle Opfer weitere Schüsse abgab, obwohl diese bereits verletzt und teilweise um ihr Leben ringend am Boden lagen, erklärte Altun damit, dass er „keine Zeugen“ sowie Spuren von sich hinterlassen wollte. Die Familie aufgesucht hätte er deshalb, um die Dedeoğullarıs aufzufordern, die Anzeigen im Zusammenhang mit dem Lynchversuch zurückzuziehen. Warum er „lediglich für ein Gespräch“ eine Waffe bei sich trug und bei hochsommerlichen Temperaturen einen gefüllten Benzinkanister in seinem Wagen mitführte, konnte er nicht erklären.
Rechtsanwalt wirft Behörden fehlenden Aufklärungswillen vor
Im Zusammenhang mit den Morden an den Dedeoğullarıs waren neben Mehmet Altun noch zehn weitere Personen verhaftet worden. Sie alle sind inzwischen wieder auf freiem Fuß, weil keine Fluchtgefahr bestünde. Rechtsanwalt Karabulut wirft den Justiz- und Sicherheitsbehörden in Konya einen fehlenden Aufklärungswillen in dem Fall vor. Von Beginn an hätten sie gemeinsam mit der Regierung versucht, die Morde als Einzelfälle und Familienfehden zu bagatellisieren und die Hintergründe zu vertuschen. Es bestehe gar kein Zweifel daran, dass es sich bei dem Massaker um einen „absolut rassistischen Angriff“ auf die Familie Dedeoğulları handelte und die Behörden aufgrund ihrer Untätigkeit mitschuldig sind. Ähnlich hatte sich Karabulut bereits nach dem Lynchversuch vom Mai geäußert, als den Tätern Polizeischutz gewährt wurde, den Opfern jedoch nicht. Entschieden worden war dies vom Polizeichef Engin Dinç, der schon im Verfahren wegen der Ermordung des armenischen Journalisten Hrant Dink beschuldigt wurde, seine Pflichten vernachlässigt zu haben. Als der armenische Journalist Hrant Dink am 19. Januar 2007 in Istanbul vor dem Gebäude seiner Zeitung Agos von einem türkischen Rechtsextremen erschossen wurde, war Dinç Abteilungsleiter des Geheimdienstes (MIT) in Trabzon, dem Wohnort des Täters. Er wusste nachweislich von der geplanten Ermordung, unternahm aber nichts zum Schutz von Dink.
Staatsanwaltschaft berücksichtigt rassistisches Motiv nicht
Auch die Staatsanwaltschaft von Konya ist nicht gewillt, das rassistische Motiv des siebenfachen Mordes an der kurdischen Familie Dedeoğulları zu berücksichtigen. Stattdessen hat die Behörde dieselbe Deutung wie aus türkischen Regierungskreisen übernommen: Der „Vorfall“ resultiere aus einem seit Jahren andauernden Konflikt zwischen zwei benachbarten Familien und sei nicht rassistisch motiviert. Eine derartige Verbindung herzustellen, sei „genauso gefährlich wie der Anschlag selbst“.
Der Prozess gegen die elf Angeklagten wird an der 4. Großen Strafkammer Konya verhandelt. Die Verhandlung beginnt um 9 Uhr Ortszeit. Rechtsanwalt Abdurrahman Karabulut ruft die Öffentlichkeit dazu auf, die Verhandlungen zu verfolgen und wenn möglich kontinuierlich beizuwohnen. Für eine kritische Auseinandersetzung sei die Prozessbeobachtung besonders wichtig.