Der kurdischen Politikerin Saliha Aydeniz (DBP) droht die Aufhebung ihrer parlamentarischen Immunität. In Ankara tagte heute der von der parlamentarischen Kommission für Verfassung und Gerechtigkeit gebildete Ausschuss, der mit den Stimmen der AKP-Abgeordneten eine entsprechende Empfehlung abgab.
Hintergrund ist die Teilnahme der Ko-Vorsitzenden der Partei der demokratischen Regionen (DBP) an der Demonstration „Sternmarsch nach Gemlik“ für die Aufhebung der Isolation von Abdullah Öcalan in Istanbul. Die Generalstaatsanwaltschaft Ankara wirft der 49-Jährigen vor, bei der Veranstaltung im Juni „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ geleistet und gegen das türkische Versammlungsgesetz verstoßen zu haben. Die Abgeordnete sieht in der Anklagedrohung ein gezieltes Vorgehen gegen ihre Partei sowie die HDP und bezeichnete den Vorgang als „staatlich orchestrierte Kriminalisierungskampagne“, um eine mögliche Auflösung vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen zu rechtfertigen.
„Politisch motiviert und juristisch nicht zu rechtfertigen“
Ähnlich äußerte sich auf der heutigen Ausschusssitzung auch der HDP-Abgeordnete Abdullah Koç. Das Verfahren zur Aufhebung der Immunität von Saliha Aydeniz sei politisch motiviert und juristisch nicht zu rechtfertigen. „Die Aufnahmen von der Misshandlung der Abgeordneten sind nicht in die Akte aufgenommen worden. Das Versammlungsgesetz wurde ad acta gelegt und die entsprechenden Urteile des Verfassungsgerichts und des europäischen Menschenrechtsgerichtshof ignoriert. Wir haben erneut gesehen, dass demokratische Grundrechte in der Türkei aufgehoben worden sind und die parlamentarische Immunität nicht für alle Abgeordneten gilt. Unser Kampf geht weiter, wir werden weiterhin die Ungesetzlichkeit des Vorgehens zur Sprache bringen“, erklärte Koç.
Auch der CHP-Abgeordnete Rafet Zeybek stimmte gegen die Aufhebung der Immunität von Saliha Aydeniz. Das Verfahren wird jetzt einem weiteren Ausschuss übergeben, in dem Aydeniz formal erneut die Möglichkeit zur Verteidigung hat. Danach wird im Parlament entschieden.
Immunitätsentzug zur „Terrorismusprävention”
Im Mai 2016 hatte das türkische Parlament einer von der islamistischen Erdoğan-Partei AKP initiierten Verfassungsänderung zur „Terrorismusprävention” zugestimmt und damit den Weg zur vorübergehenden Strafverfolgung von Abgeordneten freigemacht. Betroffen von dem Immunitätsentzug waren damals insgesamt 154 Parlamentsmitglieder, mehr als ein Drittel davon Abgeordnete der Demokratischen Partei der Völker (HDP). Unmittelbar nach der Verfassungsänderung wurden zahlreiche Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder der Opposition eingeleitet. Die losgetretene Repressionswelle fand mit der Verhaftung von zehn HDP-Abgeordneten, darunter den damaligen Ko-Vorsitzenden Figen Yüksekdağ und Selahattin Demirtaş, am 4. November 2016 ihren vorläufigen Höhepunkt. Der letzte Fall von Entzug der parlamentarischen Immunität durch die türkische Nationalversammlung ereignete sich Anfang März. Betroffen davon war die HDP-Abgeordnete Semra Güzel. Die 38-Jährige, die ausgebildete Ärztin ist, wird unter anderem der PKK-Mitgliedschaft beschuldigt. Ausgangspunkt sind Fotos, die Güzel mit ihrem ehemaligen Verlobten, einem durch einen türkischen Luftangriff getöteten Guerillakämpfer zeigen.