DBP-Kongress: Kanäle für Lösung der kurdischen Frage öffnen

Die DBP hält an ihrem Ziel fest, die Anerkennung der kurdischen kulturellen Identität durch den Staat und ihre Verankerung in der Verfassung durchzusetzen. Damit verbunden ist die Einführung von Kurdisch als Amts- und Bildungssprache.

In Ankara hat am Sonntag der 6. ordentliche Kongress der Partei der demokratischen Regionen (DBP) stattgefunden. Unter dem Motto „Mit einer organisierten Gesellschaft zu einem freien Leben“ legten die Delegierten die wichtigsten Inhalte und Ziele der Parteiarbeit fest. Der Saal im Kultur- und Kongresszentrum Nazım Hikmet bot Platz für gut 1.500 Delegierte und Gäste, auf der Liste standen unter anderem das Istanbuler Rechtsbüro Asrin, das Abdullah Öcalan und seine Mitgefangenen vertritt, die Plattform für sozialistische Solidarität (SODAP), die Partei des Sozialistischen Wiederaufbaus (SYKP), die Arbeiterpartei der Türkei (TIP), der Demokratische Gesellschaftskongress (KCD), die Frauenbewegung TJA und die Parteien und Organisationen, die sich 2019 im Vorfeld der Kommunalwahlen zur „Kurdistan-Allianz“ zusammengeschlossen hatten. Da der Andrang aber größer als erwartet war, mussten viele Menschen draußen bleiben.

Imrali-Isolation beenden, kurdische Frage lösen

Die wesentlichsten Schlussfolgerungen des Kongresses waren zum einen die erneute Bestätigung, dass die Menschenrechtsdefizite in der Türkei nur zusammen mit der Lösung der kurdischen Frage überwunden werden können. Dies hätte darüber hinaus eine Signalwirkung für die anderen Nationalstaaten, in denen das kurdische Volk lebt. Zum anderen ging es um einen Konsens darüber, dass Abdullah Öcalan der einzige Akteur zur Lösung der seit Jahrhunderten andauernden kurdischen Frage sei. Nicht nur, weil er eine starke Führungspersönlichkeit sei, sondern auch der einzige politische Akteur in der gesamten Region Mittelost, der trotz aller entgegenwirkenden Tendenzen mit seinem Konzept demokratischer Konföderalismus das Modell einer fortschrittlichen Demokratie verteidigen und vorantreiben könnte. Denn Öcalan begreife die kurdische Frage nicht als nationale oder ethnische, sondern als Frage der Befreiung der Gesellschaft der gesamten Region. Seine Isolation sei daher absolut inakzeptabel und sie zu durchbrechen, gelte als eine der größten Herausforderungen.

Rückkehr zum Dolmabahçe-Abkommen

Daran setzte auch der DBP-Vorsitzende Keskin Bayındır an: „Abdullah Öcalan stellt den Schlüssel für eine friedliche, politische Lösung der kurdischen Frage dar, seine Behandlung ist Gradmesser der Lösungsbereitschaft der türkischen Regierung. Dass diese Bereitschaft nicht existent ist, erkennen wir an den tausenden Kurdinnen und Kurden, die einzig aufgrund ihres Widerstands gegen die Politik der Vernichtung und Verleugnung im Gefängnis sind, und an der militärischen Aggression überall in Kurdistan. Das ist das größte Hindernis für die Lösung des Konflikts. Daher müssen umgehend Kanäle zu einer demokratischen Politik geöffnet werden. Als nächster Schritt steht die Freilassung von Öcalan und allen anderen politischen Gefangenen an. Für einen Lösungsprozess braucht es ein transparentes und demokratisches Verhandlungsumfeld, in dem eine demokratische Verfassung erarbeitet werden kann. Die Basis hierzu bildet das Dolmabahçe-Abkommen, das sinnbildlich für einen demokratischen Lösungswillen steht und schon längst existiert. Wir fordern den Staat zur Abkehr von ihrer antikurdischen Kriegspolitik und Rückkehr zum Dolmabahçe-Abkommen auf. Denn das Land hat nur zwei Möglichkeiten; Entweder wird es den Krieg gegen die Kurdinnen und Kurden fortsetzen; in diesem Fall werden alle Völker des Landes verlieren. Oder die Türkei wird sich für eine demokratische Lösung der kurdischen Frage entscheiden und den Weg zu neuen Verhandlungen ebnen. Aber: zur Lösung braucht es die richtigen Gesprächspartner am richtigen Ort. Dieser ist das Parlament.“

Kommunale Selbstverwaltungsstrukturen

Der Kongress verabschiedete mehrere Resolutionen, mit denen die wichtigsten Leitdokumente zur Arbeit der Partei aktualisiert wurden. Unverändert hält die DBP an ihrem Ziel fest, die Anerkennung der kurdischen kulturellen Identität durch den Staat und ihre Verankerung in der Verfassung durchzusetzen. Damit verbunden ist die Einführung von Kurdisch als Amtssprache und das Recht auf Bildung in der Muttersprache. Zum zweiten wird eine Beendigung der Militarisierung und Willkürherrschaft in den kurdischen Regionen gefordert. In diesem Sinne gehöre auch die Zwangsverwaltung in den kurdischen Kommunen auf den Müllhaufen der Geschichte. Der zentralistisch organisierte türkische Staat müsse Vergangenheit werden, um kommunale Selbstverwaltungsstrukturen in die Praxis umzusetzen: bürgernahe Verwaltung, Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an der Gemeindepolitik und Stärkung der lokalen Demokratie.

Sancar: Kurdische Nationalkonferenz einberufen

Der HDP-Vorsitzende Mithat Sancar wies in seiner Rede auf den wichtigsten Eckpfeiler für die Zukunft des kurdischen Volkes hin: das Modell einer demokratischen Nation als Alternative zum Nationalstaat. Die erfolgreiche Umsetzung dieses Ziel könne aber nur mit einer innerkurdischen Einheit gelingen. „Die nationale Einheit ist unausweichlich, da die Existenz, die Freiheit und der politische Wille des kurdischen Volkes auf dem Spiel stehen. Nur durch gemeinsames Handeln und die Überwindung der Zersplitterung können die Existenz des kurdischen Volkes und seine Errungenschaften bewahrt werden“, so Sancar. Es sei an der Zeit, eine kurdische Nationalkonferenz einzuberufen. Diese würde zum Eckpfeiler einer Lösungsstrategie werden, die die regionalen und internationalen Anstrengungen und die Verpflichtungen der kurdischen Gesellschaft miteinander verbindet.

Aydeniz und Bayındır wiedergewählt

Nach weiteren Reden sowie dem Verlesen der Botschaften von den inhaftierten Politiker:innen Leyla Güven, Gültan Kışanak, Sebahat Tuncel, Selahattin Demirtaş und İdris Baluken standen die Wahlen für eine neue Doppelspitze, die Hauptvorstände, den Parteirat und die Gremienbesetzung an. Die bisherigen Ko-Vorsitzenden Saliha Aydeniz und Keskin Bayındır wurden wiedergewählt.

Partei der demokratischen Regionen

Die DBP ist im Juli 2014 durch Umbenennung der Partei des Friedens und der Demokratie (BDP) entstanden. Ihr erklärtes Ziel ist die Vertretung der Interessen der kurdischen Bevölkerung und eine Dezentralisierung der Türkei. Anders als zuvor die BDP konzentriert sich die DBP auf ein Engagement auf lokaler Ebene. Die Teilnahme an nationalen Parlamentswahlen übernimmt als Schwesterpartei die HDP.