Im ezidischen Hauptsiedlungsgebiet Şengal im Nordirak herrscht weiterhin eine angespannte Atmosphäre. Parallel zu der Invasion der türkischen Armee in den Guerillagebieten in Südkurdistan kommt es seit Anfang der Woche in Şengal zu Spannungen und Auseinandersetzungen, die von der irakischen Armee provoziert werden. Bei einem Angriff auf die selbstverwalteten Sicherheitskräfte in der Region ist eine Kämpferin der als Reaktion auf den IS-Genozid von 2014 gegründeten Frauenwiderstandseinheiten YJŞ ums Leben gekommen, weitere Menschen wurden verletzt.
Das Diplomatiekomitee der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) appelliert vor diesem Hintergrund an die irakische Regierung, die bestehenden Probleme im Dialog zu lösen. Das Komitee weist darauf hin, dass das Erdogan-Regime neo-osmanische Pläne verfolgt und irakisches Territorium für sich beansprucht. In der am Freitag abgegebenen Stellungnahme erklärt das Diplomatiekomitee der KCK:
Im Rahmen seines Völkermordkrieges gegen unser Volk hat der türkische Staat am 17. April 2022 mit neuen Angriffen begonnen. Der faschistische Chef Erdoğan befindet sich aktuell aufgrund seiner historischen Verbrechen in der Enge, die türkische Wirtschaft hat aufgrund des Krieges gegen die Kurd:innen und die grassierende Korruption im Land einen neuen Tiefpunkt und die Proteste der Gesellschaft gegen die faschistische Regierung einen neuen Höhepunkt erreicht. Deshalb versucht Erdoğan nun, mithilfe der jüngsten Angriffe die Tagesordnung zu verändern. Doch wird es ihm nicht gelingen, sich und sein faschistisches Regime zu retten, da beide massiv an Kraft eingebüßt haben. Aufgrund dessen versucht Erdoğan kollaborierende Gruppen wie die PDK und Familien zu benutzen, um das Staatsgebiet der Türkei auszuweiten, die Errungenschaften unseres Volkes zu vernichten und den Widerstand in Kurdistan vollständig zu zerschlagen.
Während die Angriffe des faschistischen Regimes andauern, sorgt der heldenhafte und kreative Widerstand der Freiheitsguerilla Kurdistans dafür, dass die Pläne des Regimes ins Leere laufen. Die aktuellen Angriffe als reine Feindschaft gegen die PKK zu bezeichnen, verdeutlicht entweder, dass keinerlei historische Lehren gezogen wurden oder die Pläne des türkischen Staates direkt unterstützt werden. Denn der türkische Staat ist seit jeher ein Feind der Kurd:innen.
Er betrachtet alle Kurd:innen als gefährlich, die im Namen des Freiheitskampfes in Kurdistan Widerstand leisten, und unternimmt alles für deren Vernichtung. Zugleich versucht dieser faschistische Staat alles in seiner Macht Stehende, um seine neo-osmanischen Träume Realität werden zu lassen. Er bezeichnet Mosul und Kerkûk als türkisches Staatsgebiet und wirbt dort aktiv Agenten an. Zudem interveniert er in die irakische Innenpolitik und betrachtet es als sein Recht, die
politische Stabilität des Landes zu unterminieren. Deshalb ist die politische Rolle des türkischen Staates entscheidend dafür, dass es im Irak nicht zu stabilen Verhältnissen kommt. Der faschistische türkische Staat setzt weiter auf die Umsetzung seines Planes, den Irak zu spalten und ein bis nach Mosul und Kerkûk reichendes Gebiet zu besetzen. Die größte Unterstützung erfährt er dabei durch die PDK. Die PDK ist die größte Unterstützerin der Besatzer, während die Freiheitsguerilla Kurdistans gegen die türkische Armee Widerstand leistet.
In jüngster Zeit haben sich auch die Angriffe des faschistischen türkischen Staates auf Şengal und unser dort lebendes ezidisches Volk verstärkt. Dabei hat die ezidische Gemeinschaft erst vor wenigen Jahren den vom IS verübten Völkermord erlitten. Tausende Frauen und Kinder wurden während dieses 73. Ferman als Geiseln genommen. Noch immer ist ihr Schicksal unbekannt. Das ezidische Volk besiegte durch seinen Widerstand den IS und begann umgehend seine Heimat wieder aufzubauen, um sich gegen die Gefahr weiterer Genozide schützen zu können. Mit diesem Ziel hat es ein System der Autonomieverwaltung aufgebaut, das im Einklang mit dem föderalistischen Prinzip der irakischen Verfassung steht. Diese Anstrengungen werden insbesondere von Seiten der PDK, die 2014 Şengal dem IS überließ, und dem türkischen Staat, der für den IS verantwortlich ist, mit großem Unwohlsein verfolgt. Zugleich hat die ezidische Bevölkerung stets Wert auf eine enge Abstimmung und einen direkten Dialog mit dem Irak gelegt.
In den vergangenen Tagen sind in den Medien Berichte über Spannungen zwischen der irakischen Armee und der ezidischen Bevölkerung erschienen. Als Bewegung haben wir gegen den 73. Ferman interveniert und die ezidische Gemeinschaft verteidigt, als der IS mit seinen 2014 Angriffen begann. In der Folge konnten die Angriffe des IS auf Şengal mithilfe der ezidischen Selbstverteidigungskräfte YBŞ-YJŞ und der Asayîş sowie durch die Unterstützung des irakischen Staates zum Großteil zurückgeschlagen werden. Kurz darauf begann die ezidische Bevölkerung in Şengal, eine eigene Selbstverwaltung aufzubauen. Dies geschah, um jegliche Angriffe auf die Völker des Irak verhindern zu können, die über Şengal erfolgen könnten.
Die ezidischen Selbstverteidigungskräfte in Şengal stellen für den Irak also kein Problem, sondern eine Lösung dar. Aktuell nehmen die Angriffe des türkischen Staates auf Südkurdistan und den Irak stark zu. In solch einer Phase Spannungen zwischen dem irakischen Staat und den Ezid:innen zu provozieren, zeigt deutlich, dass dabei ein spezifischer Plan verfolgt wird. Das ezidische Volk hat einen Genozid erlitten. Der Irak sollte sich daher den Ezid:innen und deren politischen Willen gegenüber sensibler und verantwortungsvoller verhalten. Noch vor Kurzem waren es der IS, die PDK und der türkische Staat, die ihre Waffen auf die Ezid:innen richteten. Während sich der irakische Staat also in einem aktiven Dialog mit dem ezidischen Volk befindet, sollte er von dem Einsatz von Waffen und Gewalt absehen und sich dem Dialog verpflichtet fühlen. Weder Abkommen, die ohne die Zustimmung der Ezid:innen erfolgen, noch die türkische Mauer oder die Missachtung der ezidischen Werte tragen zur Lösung der bestehenden Probleme bei. Mit militärischen Mitteln gegen die ezidische Bevölkerung vorzugehen, wird nicht den Dialog, sondern militärische Auseinandersetzungen befördern. Weder das ezidische Volk noch der irakische Staat dürfen sich zu solch einem Schritt entscheiden. Zugleich muss die Autonomieverwaltung Şengals ihr Lösungsprojekt mit der Regierung und Führung des Irak teilen und auf einen lösungsorientierten Dialog setzen. Wir möchten daher an dieser Stelle zum Ausdruck bringen, dass wir als Freiheitsbewegung alle Formen konstruktiver und demokratischer Prozesse unterstützen werden, die zur Lösung der bestehenden Probleme beitragen.
Als Bewegung führen wir einen umfassenden Kampf gegen den kolonialistischen türkischen Staat. Dieser Krieg ist sowohl ein Krieg für die Freiheit der Kurd:innen als auch ein Widerstand für die Freiheit und Stabilität aller Völker der Region. Das neo-osmanische Projekt des türkischen Staates wird durch den Widerstand der Guerilla Kurdistans zerschmettert werden. Wir werden als Bewegung auch in Zukunft weiter Widerstand leisten, um diese Pläne zu verhindern und die Freiheit, den Frieden und die Stabilität aller Völker der Region zu erreichen. Wir laden daher sowohl den irakischen Staat als auch die Gesellschaft des Landes dazu ein, die Gefahr der Besatzungspläne des türkischen Staates und seiner Kollaborateure zu erkennen und ihren Protest gegen diese Pläne zu verstärken.