Abschied von Brigitte Reiß in Hamburg

Die langjährige politische Aktivistin Brigitte Reiß, Mitbegründerin der „Freunde des kurdischen Volkes“ und der Kurdistan Hilfe e.V., ist unter großer Anteilnahme in Hamburg beerdigt worden.

Brigitte Reiß ist in Hamburg beerdigt worden. Die langjährige politische Aktivistin und Mitbegründerin der „Freunde des kurdischen Volkes“ und der Kurdistan Hilfe e.V. ist am 4. April in ihrer Hamburger Wohnung verstorben.

Zahlreiche Menschen haben heute auf dem Friedhof Bernadottestraße in Hamburg-Ottensen Abschied genommen von Brigitte Reiß, genannt Gitte. Auf der Trauerfeier schilderte eine Rednerin das Leben und den politischen Kampf der langjährigen Aktivistin. Brigitte Reiß kam am 13. Juni 1947 in Gotha in Thüringen zur Welt. Ihre Mutter nutzte einen Verwandtenbesuch, um sich mit der dreijährigen Gitte 1950 in den Westen abzusetzen, wo 1955 ihre Schwester Beate geboren wurde. Seit ihrer Jugend hatte Gitte im Gesundheitsbereich gearbeitet, besonders mit schwer behinderten Kindern, wofür sie eine besondere Gabe hatte. Mit ihrer Schwester Beate Reiß – Ate – und deren Partner Robert Jarowoy wurde Gitte Teil eines unzertrennlichen Trios, das ab Mitte der 1970er Jahre gemeinsam politisch aktiv war, seit den 1980er Jahren auch für die kurdische Bewegung. Alle drei wurden Mitglieder der PDS, die später zur Partei „Die Linke“ wurde, und engagierten sich sehr aktiv in der Stadtteilarbeit. Immer wieder war Gitte auch in Kurdistan auf Delegationsreisen.

Die Trauerrednerin wies auf eine besondere Eigenschaft Gittes hin: Ihre Bescheidenheit. Sie hielt sich gerne im Hintergrund, brauchte für sich selbst nicht viel, hatte nur eine kleine bescheidene Wohnung. „Sie hatte kein Bedürfnis, eine Familie zu gründen oder Kinder zu haben, hielt aber stets Kontakt zu ihrer Familie und ihrem Patenkind“, so die Trauerrednerin.

Auch Gittes Freundin Dörte brachte ihre Trauer über den Verlust in einer Rede zum Ausdruck. Sie berichtete, wie Gitte zuerst ihre Schwester Beate und dann Robert Jarowoy bis zum Ende begleitete. Beate Reiß ist 2018, Robert 2020 an Krebs verstorben.

Wenn Solidarität einen Namen hätte, hieße sie zweifellos Gitte“

Leyla Kaya vom Frauenrat Rojbîn sprach im Namen der gesamten kurdischen Bewegung. Sie fand sehr berührende Worte: „Wir trauern über den Verlust einer eher stillen, aber langjährigen Begleiterin mit großer Verbundenheit und Freundschaft.“ Diese Freundschaft gehe zurück bis zur Gründung des Vereins „Freunde des kurdischen Volkes“ im Jahr 1984. 1992 war Gitte Gründungsmitglied der Kurdistan Hilfe e.V., später beteiligte sie sich jahrelang in der Initiative zur Rettung Hasankeyfs gegen das Ilisu-Staudamm-Projekt.

„Als dann die Delegationen nach Kurdistan begannen, war Hevala Gitte mit Beate und Robert ein fester und wichtiger Bestandteil dieser Reisen. Sie gewannen viele Menschen, die an diesen Reisen teilnahmen. Durch ihre tiefe Verbundenheit überzeugten sie zahlreiche Menschen, die das erste Mal in ihrem Leben nach Kurdistan gingen und so die kurdische Bewegung kennenlernten. Die Delegationsreisen nach Kurdistan waren sehr wichtig und bedeutsam, jedoch auch nicht immer ungefährlich. Die aggressive und brutale Politik und Haltung des türkischen Regimes erschwerte diese Reisen oftmals, manchmal lagen die Nerven blank, doch niemals beschwerte sich Gitte, sie behielt immer die Ruhe. Sie war sich der Situation sehr bewusst, ihre standhafte Haltung sowie ihre Bescheidenheit bei den Delegationsreisen waren beispielhaft für andere Teilnehmer:innen. Denn Hevala Gittes Verbundenheit zu Kurdistan war nicht nur ein Lippenbekenntnis, war keine Solidarität auf Zeit. Ihre Solidarität und Verbundenheit kamen tief aus ihrem Herzen. Wir werden Hevala Gitte mit dem großen Herzen und den tief bedeutsamen Blicken nie vergessen. Wenn Solidarität einen Namen hätte, hieße sie zweifellos Gitte.

Als wir von Gittes Verlust hörten, waren wir sehr bestürzt, denn kurz vor ihrem Tod hatten wir sie zusammen mit drei Freund:innen besucht – unsere zierliche Freundin Gitte in ihrer zierlichen Wohnung. Wir wollten ihr einfach mal Danke sagen und fragen, wie es ihr geht und ob sie was braucht. Wir wussten ja, dass es ihr körperlich manchmal nicht so gut ging. So bescheiden sie war, sagte sie, dass sie zurzeit nichts brauche“, so die kurdische Aktivistin Leyla Kaya. Gitte habe zum Ausdruck gebracht, wie gerne sie wieder nach Kurdistan fahren würde, wenn es ihr wieder gesundheitlich besser gehe. „Ja, sie wollte auch nach Şengal, den Wunsch von Robert und Beate in Erfüllung gehen lassen, leider ließ ihre Gesundheit dies nicht zu. Aber es werden weiterhin Menschen nach Kurdistan fahren, denn es wurden Brücken aufgebaut. Aufgebaut von Menschen wie Gitte, Beate, Robert und von vielen anderen Freundinnen und Freunden, die nicht mehr unter uns sind, grenzenlose Brücken, über die Menschen weiterhin gehen werden, und es werden neue Brücken und Wege entstehen.“

Leyla Kaya beendete ihre Rede mit einem Gedicht von Uta Schneiderbanger (Nûdem), die zusammen mit Ceren Doğruak (Amara) am 31. Mai 2005, vor genau 17 Jahren, durch einen Verkehrsunfall in Südkurdistan ums Leben kam. Das Gedicht hatte sie für Andrea Wolf geschrieben:

Menschlichkeit, Freiheit und Leben für alle oder das Elend weiter wie gehabt,

Internationalismus, in der Tat ein kostbares Wort für Hoffnung und Mut.

Vielleicht einmal ein Bomber gestoppt, einmal die Angst im Auge des Feindes entdeckt,

doch tausendfach die Wahrheit in die Herzen der Freund:innen getragen.

Nach der Trauerfeier fand die Urnenbeisetzung statt. Um Brigitte Reiß noch einmal gemeinsam zu gedenken, laden Freundinnen und Freunde am 12. Juni um 12 Uhr zu einem Picknick/Brunch auf dem Kemal-Altun-Platz in Altona ein.