Vor einer Woche ist Beate Reiß nach langer Krankheit gestorben. Die ISKU-Informationsstelle Kurdistan, der Frauenrat Rojbîn, der Volksrat Hamburg und die Kampagne Tatort Kurdistan Hamburg schreiben zu der „Freundin des kurdischen Volkes“: „Ihr Leben lang hat Beate sich für eine andere, gerechtere Gesellschaft eingesetzt. Und seit den 1980er Jahren, seit sie die ersten Aktivist*innen der kurdischen Bewegung kennenlernte, brannte ihr Herz für den Freiheitskampf der PKK.“
Beate Reiß war in Deutschland eine der ersten, „die eine enge Verbindung zur kurdischen Bewegung aufbaute und 1984 in einer Solidaritätsgruppe für die kurdische Revolution aktiv wurde, die von Hüseyin Celebi angestoßen war“.
1991 lernte sie Abdullah Öcalan kennen, als sie mit einer Delegation die Mahsum Korkmaz-Akademie im Libanon besuchte. Dort lernte sie auch Sakine Cansız kennen, die damals gerade aus dem Gefängnis entlassen worden war.
Die vollständige Erinnerung an Beate Reiß der ISKU-Informationsstelle Kurdistan, dem Frauenrat Rojbin Hamburg, dem Volksrat Hamburg und der Kampagne Tatort-Kurdistan Hamburg gibt einen tieferen Einblick in ihr bewegtes Leben. Darin heißt es:
Beate Reiß, eine Freundin des kurdischen Volkes
*12.5.1955 – 5.2.2018
Wir trauern um Beate Reiß, die nach langer Krankheit nun jedoch sehr unerwartet starb.
Ihr Leben lang hat Beate sich für eine andere, gerechtere Gesellschaft eingesetzt. Und seit den 1980 Jahren, seit sie die ersten Aktivist*innen der kurdischen Bewegung kennenlernte, brannte ihr Herz für den Freiheitskampf der PKK.
Geboren wurde sie am 12. Mai 1955 in Osnabrück, aufgewachsen ist sie im nahegelegenen Georgsmarienhütte, einer damals von den Klöckner-Werken geprägten Kleinstadt.
Sie wollte eigentlich Stahlkocherin werden, aber weil sie eine Frau war, akzeptierte man sie nicht. So ging sie nach dem Fachabitur 1976 nach Hamburg und begann eine Lehre als KFZ-Mechanikerin. 1977 erhielt sie als eine der ersten Frauen den Gesell*innenbrief. Sie arbeitete einige Jahre in KFZ- und Motorradwerkstätten und war in der Gewerkschaft und im Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) aktiv. 1982 gründete sie mit fünf weiteren Kolleg*innen ein Werkstatt-Kollektiv in dem Motorräder und Autos repariert wurden.
Beate Reiß mit ihrem Partner Robert Jarowoy bei Sakine „Sara“ Cansız in den Bergen Kurdistans
Die ersten Freund*innen der PKK lernte sie 1980 nach dem Putsch in der Türkei kennen. Sie war bundesweit eine der ersten, die eine enge Verbindung zur kurdischen Bewegung aufbaute und 1984 in einer Solidaritätsgruppe für die kurdische Revolution aktiv wurde, die von Hüseyin Celebi angestoßen war.
Als die Diffamierungen und Hetze gegen die kurdische Bewegung in Deutschland – vor allem damals von der taz-Hamburg – einen ihrer Höhepunkte erreichte, besetzte die Gruppe die Redaktion der „tageszeitung“. Nach der Besetzung schrieb die taz mit verächtlichem Unterton, die „Freunde des kurdischen Volkes“ hätten die taz besetzt. Und so kam die Gruppe zu ihrem Namen: „Freunde des kurdischen Volkes“.
Mit an Ates Seite, wie sie liebevoll genannt wurde, immer ihre Schwester Gitte sowie ihr Lebensgefährte Robert.
Beate und die „Freunde des kurdischen Volkes“ arbeiteten jahrelang in der Redaktion des Kurdistan Report und gaben mit die Nachrichten aus Kurdistan heraus.
1991 reiste sie mit einer Delegation in die Mazlum-Doğan-Akademie im Libanon, die damalige Auslands-Zentrale der PKK. Dort hatte sie die Möglichkeit mit Abdullah Öcalan zusammenzutreffen und zu diskutieren und lernte Sakine Cansız kennen, die damals gerade aus dem Gefängnis entlassen worden war. Die Gruppe erstellte die Broschüre „Serfirazkin“.
Beate war immer gewerkschaftlich organisiert, und so knüpfte sie auch Kontakte zu Gewerkschaften in Kurdistan. Seit 1992 organisierten die Freunde des kurdischen Volkes regelmäßig Delegationen nach Nordkurdistan. Die ersten Jahre fuhren sie vorwiegend nach Êlih (türkisch Batman), da es dort gute Verbindungen zu der Gewerkschaft Petrol İş gab. 1993 blieb Beate drei Monate in den kurdischen Gebieten der Türkei, um am Leben der Menschen teilzuhaben und die Sprache zu lernen.
Beate war immer eine Frau der Tat. Sie stand ungern im Vordergrund, sondern mobilisierte Menschen für gemeinsame Delegationsreisen, organisierte zusammen mit anderen Veranstaltungen, Unterschriftensammlungen, Spendenkontos …
Ihr war wichtig, die Werte der kurdischen Bewegung an allen Punkte, bei all ihren Aktivitäten zu vermitteln. Etliche Gewerkschafter*innen, Politiker*innen, Anwält*innen ... fuhren gemeinsam mit ihr zum jährlichen Newroz-Fest nach Kurdistan oder zu Wahlbeobachtungen. Durch ihre Beharrlichkeit und ihre Überzeugungskraft lernten sehr verschiedene Menschen die kurdische Bewegung und das Land kennen.
1992 war sie Gründungsmitglied der Kurdistan Hilfe, die das Ziel hat, Projekte in Kurdistan auch materiell zu unterstützen. Jahrelang kämpfte sie in der „Initiative zur Rettung Hasankeyfs“ gegen das Ilisu-Staudamm-Projekt. Aktiv war sie auch in der Kampagne TATORT Kurdistan in Hamburg.
Sie organisierte sich dort, wo sie lebte. Eines ihrer wichtigsten Projekte war die Gründung der Stadt-Land-Genossenschaft für den Austausch regionaler Bioprodukte und europaweite Importe. Eine Genossenschaft, in der auch gegensätzliche Interessen zusammenkamen. Die Mitglieder zahlten einen Betrag und arbeiteten gleichberechtigt zusammen. 120 Betriebe waren beteiligt, Bio-Höfe der Region, Naturkostläden, Küchen oder Kinderläden. Die Genossenschaft existierte 10 Jahre, dann konnte sie nicht mehr mit den entstandenen Biosupermarktketten konkurrieren und musste aufgegeben werden. Die Mitarbeiter*innen wurden von einem anderen Naturkostgroßhandel übernommen. Auch Beate landete dort und arbeitete im Kühllager, da keine Stelle im Vertrieb frei war. Sie blieb dort 10 Jahre bis zum Beginn ihrer schweren Erkrankung. Ihr lag das Arbeitsklima unter den Kolleg*innen im Lager, daher wechselte sie auch später nicht mehr in den Verkauf, als ihr das mehrfach angeboten wurde. Sie stand immer für die Belange ihrer Kolleg*innen ein, insbesondere jene mit Migrationshintergrund.
2002 trat sie in die PDS ein und war Mitbegründerin des Bezirksverbandes Altona der Partei „Die Linke“. In den vergangenen zehn Jahren war sie Bezirks-Ko-Sprecherin und in der Mitgliedschaft sehr beliebt, auch weil sie nicht nach Posten oder Ämtern jagte.
Sie vertrat deutlich ihre Meinung und sagte, was sie wollte. Wenn sie von etwas überzeugt war, setzte sie ihre Kraft, ihre Ideen dafür ein. In Altona war sie in vielen Initiativen und Kampagnen aktiv, sie war Teil der „Bürgerinitiative Kemal-Altun-Platz“, der Initiative „Rettet das Bismarckbad“, des „Altonaer Manifestes“ oder „Prellbock Altona“, einer Initiative zur Rettung des Altonaer Bahnhofes und und und …
Ihr Lachen und ihre liebevolle Art, ihre Kraft und Optimismus wird uns fehlen. In der Kurdistan-Solidarität in Hamburg hinterlässt sie eine große Lücke.
ISKU-Informationsstelle Kurdistan, Frauenrat Rojbin Hamburg, Volksrat Hamburg, Kampagne Tatort-Kurdistan Hamburg