Hamburg: Gedenkveranstaltung für Robert Jarowoy

In Hamburg ist Robert Jarowoy gedacht worden, langjähriger Freund der kurdischen Bewegung, der im September an einem Krebsleiden starb. Ein Nachruf aus den Bergen Kurdistans verdeutlichte die Bedeutung des Wirkens von ihm und seiner Partnerin Beate Reiß.

150 Menschen nahmen am Samstag in der Fabrik in Altona Abschied von Robert Jarowoy – wären die Bedingungen nicht an Corona angepasst worden, wären es noch viele mehr gewesen. Der jahrzehntelange Aktivist und Freund der kurdischen Bewegung ist am 21. September aufgrund einer Krebserkrankung verstorben. Viele Redebeiträge würdigten Roberts Lebenswerk, musikalisch begleitete Hozan Aydin die Veranstaltung mit traditionellen kurdischen Widerstandsliedern.

Als ihren großen Bruder, der sie als Kind mit seinen unendlichen Spielideen und skurrilen Witzen, in der Jugend als Anker der Orientierung und als Lehrer marxistischer Bildung und anarchistischer Utopien bereicherte, stellte Maria Jarowoy den verstorbenen Robert zu Beginn der Veranstaltung vor. Als einer, der es beherrschte, komplexe politische Zusammenhänge verständlich den Menschen näherzubringen, und diese mit seinen politischen Idealen zu verbinden. Sie erzählte von den Anfängen seiner Politisierung, von seinem Engagement in der Bewegung 2. Juni, von der erhofften und erwarteten Stimmung Anfang der 1970er Jahre, dass der gesellschaftliche Umbruch bald komme. Für dieses Engagement für eine Welt, befreit von den Übeln des Kapitalismus, saß Robert schon mit 21 Jahren fünf Jahre im Knast. Seinen Willen, seine Herzlichkeit, seinen Optimismus und seine Hilfsbereitschaft konnten die staatlichen Repressionsorgane trotz aller Schwierigkeiten jedoch nicht brechen.

Altonaer Manifest für eine sozial gerechte Stadtentwicklung

Ab dem Ende der 1970er Jahre sollte Altona bis zuletzt der Ort sein, an welchem Robert gemeinsam mit seiner Partnerin Beate Reiß nicht nur leben, sondern auch kämpfen wird. Die beiden waren davon überzeugt, dass man sich selbst organisieren müsse, um die Entwicklung des Stadtteils nach demokratischen, gerechten und sozialen Prinzipien zu beeinflussen. Das sei der Startpunkt gewesen für ihre Arbeit in unzähligen Initiativen, so der langjährige Freund und Genosse der beiden, Wolfgang Ziegert. Auch Dörte betonte, die Arbeit mit und das Zusammenbringen von all den Initiativen in Altona sei ein zentrales Anliegen gewesen. So werde Wissen geteilt und die „Schlagkraft“ erhöht. Eine der vielen Ideen, an welchen Robert mitwirkte – und die am Küchentisch der Ottenser Wohnung von Robert und Beate entstanden - war das Altonaer Manifest für eine sozial gerechte Stadtentwicklung. In all den Kämpfen um Altona kam es immer wieder auch zu Niederlagen und Schwierigkeiten. Von diesen ließ sich Robert jedoch nie unterkriegen.

Fotos: Hinrich Schultze | dokumentarfoto.de

Das Private ist politisch

Das Private ist politisch. Laut Maria hat sich das auch im - leider notwendigen – Gelderwerb gezeigt. Sowohl Robert als auch Beate haben immer versucht, dieses so sinnvoll wie möglich zu gestalten und sich auch hier zu organisieren. Die Geschichte der Erwerbsarbeit ist hierbei eine vielfältige. So führte Robert zeitweisen den linken Verlag Libertäre Assoziation, arbeitete in der Verteilsstelle von demeter-Nahrungsmitteln, führte zusammen mit einem Freund die Gastronomie in der W3 und widmete sich zum Schluss dem Vertrieb von Bio-Käse. Selbst beim Käse kam das Politische nicht zu kurz: im Käseblättchen, welches er wöchentlich schrieb und seinem Käsepaket beilegte, verband er den jeweiligen Käse mit politischen Inhalten.

Eine besondere Rolle nahm die StadtLand-Genossenschaft ein, welche für Robert und Beate ein wichtiges Projekt war. Gabriel von der Genossenschaft erzählte von dem besonderen Umfeld, das dort herrschte. Alle wurden gleich behandelt, es war ein menschliches Miteinander, wo vieles geteilt wurde und viele Menschen zusammenkamen.

Bis zu seinem Rücktritt kurz vor seinem Tod war Robert Vorsitzender der Bezirksfraktion der Partei DIE LINKE in Altona.

Erste „Freunde des kurdischen Volkes“

Robert und Beate waren mit die ersten, die Beziehungen mit der kurdischen Bewegung aufbauten. Seit den 1980ern arbeiteten sie in der Kurdistan-Solidarität und nahmen 1986 stolz die eigentlich gehässig gemeinte Bezeichnung „Freunde des kurdischen Volkes“ an. 1992 organisierten die beiden die erste Delegationsreise nach Nordkurdistan zu den Newroz-Feierlichkeiten, die daraufhin fast jährlich stattfand. Wie unglaublich wichtig diese Reisen wurden, lässt sich daran sehen, wie viele der Anwesenden sich positiv darauf bezogen, insbesondere auf die Erfahrungen vor Ort. Unzählige Menschen wurden so durch Robert und Beate mit der Relevanz des kurdischen Befreiungskampfes vertraut gemacht und für diesen Kampf gewonnen, wie etwa Jan van Aken betonte. Auch hier zeige sich wieder Roberts Talent dafür, Menschen zusammenzubringen – und Dinge sichtbar machen, die sonst nicht erkannt werden.

Das Vernetzen und Zusammenbringen, das Robert so erstaunlich gut konnte, zeigte sich an ebendieser Wohnung. Diese war immer ein offener Ort, zugänglich für so viele Menschen. Ebenso ein Ort, der beim Betreten auch Staunen erweckte, wie auch Cansu Özdemir erwähnte. Ein Museum, nicht im Sinne eines trockenen Aufbewahrens, sondern als Ort der lebendigen Erinnerung, des aktiven Gedenkes, indem Historisches und Aktuelles zusammengebracht werden – für das Herz sowie für die Gedanken um Pläne und Strategien.

Fotos: Annett Bender | ISKU

Nachruf aus den Bergen Kurdistans

Aus den Bergen Kurdistans, mit welchen Robert und Beate jahrzehntelang verflochten waren, stammen die folgenden Worte, die gegen Ende der Gedenkveranstaltung verlesen wurden und die Bedeutung des Wirkens von Robert und Beate zusammenfassen:

„Wir haben mit Robert einen großen Internationalisten, einen wertvollen Heval, einen treuen Weggefährten verloren. Unser wertvoller Freund, ja unser Heval Robert Jarowoy, ist leider von uns gegangen. Heval Robert wird aufgrund seiner Verbundenheit mit den menschlichen Werten der Freiheit, der Gerechtigkeit, der Humanität und der Gleichberechtigung sowie seinen Kampf für diese in unseren Herzen und in unserer Revolution bis in die Ewigkeit leben. Genauso wie unsere Freundin, Genossin und Hevala Beate Reiß.

Robert und Beate haben in all ihren Lebensphasen die gemeinsame Werte der Wahrheit und Emanzipation hochgehalten. Sie kämpften auf der Seite der unterdrückten Völker, der Armen, der Frauen, der Besitzlosen und der Arbeiterklasse gegen die Dominanz der Machthabenden und ihre Unterdrückungsmechanismen. Heval Robert und Hevala Beate lebten nach ihrer Überzeugung, und wovon sie überzeugt waren, das lebten sie aus.

Heval Robert und seine Lebensgefährtin Hevala Beate stellten die besten Beispiele der Freundschaft für unsere Bewegung und unser Volk dar. Vor 40 Jahren lernten sie unsere Bewegung und das kurdische Volk kennen. In den darauffolgenden Jahren arbeiteten sie mit dem wertvollen Revolutionär und Genossen Hüseyin Çelebi zusammen. Sie bereiteten den Boden für die Arbeiten der Freundinnen des kurdischen Volkes und waren bis ans Ende ihres Lebens dieser Freundschaft und der revolutionären Prinzipien treu geblieben.

Robert und Beate waren wirkliche Weggefährten, die mit ihren Herzen unsere Bewegung und Reber Apo begleiteten. Überall wo sie hinkamen, berichteten sie vom kurdischen Befreiungskampf, gewannen dafür Freunde und waren an allen Aktionen dafür beteiligt.

Sie hatten die Revolution in ihrer Person verwirklicht, womit sie mit ihren Freunden unseren Kampf bereicherten, soziale Projekte aufbauten, finanziell und ideell an unserer Seite standen. Seit 1982 waren Robert und Beate Editoren der zweimonatlich erscheinenden deutschsprachigen Zeitschrift Kurdistan Report. In ihrem Gepäck trugen sie Kurdistan Report überall mit sich hin.

1991 gingen sie mit einer Gruppe von Menschen nach Bekaa in die Mahsum-Korkmaz-Akademie und lernten dort Rêber Apo sowie die kurdischen Revolutionäre kennen. Dort führten sie mit uns sehr wertvolle und bereichernde Diskussionen.

Fast periodisch organisierten sie aus Deutschland Delegationen zu den Newroz-Feierlichkeiten nach Nordkurdistan. Robert und Beate waren mit ihren Freund*innen als Zeichen ihrer Verbundenheit und Freudschaft anlässlich der Newroz-Feierlichkeiten in Cizîr, Nisêbîn, Êlih, Wan, Şirnex, Amed, Colemêrg und vielen anderen kurdischen Städten. Ab den 2000er Jahren begrenzten sich ihre Reisen nicht nur auf Newroz: Sie gingen zu weiteren Anlässen, wie zum Beispiel Wahlbeobachtungen, nach Kurdistan.

Robert, der jeden Augenblick seine Aufmerksamkeit der Revolution widmete, führte auch einen großen Kampf um das Paradigma des demokratischen Konföderalismus, um es zu verstehen und es weiter zu tragen. Um dieses in seiner praktischen Umsetzung zu erleben, reiste er nach Rojava sowie nach Südkurdistan. Kurz gesagt, Robert und Beate und all unsere Freundinnen sind die dynamische Kraft und die Quelle der Revolution.

Das letzte, was unser Freund Robert noch für Kurdistan machen wollte, war, dass er im August in den Şengal reisen wollte. Sein Ziel war es, dem Jahrestag des Genozides an den Eziden beizuwohnen und das Grab von Şehîd Heval Zekî zu besuchen, welchen er seit 40 Jahren kannte. Leider konnte dieses Vorhaben aufgrund der gegenwärtigen Situation nicht verwirklicht werden.

Die Freundschaft und Verbundenheit, welche Robert und Beate mit unserer Bewegung und unserem Volke seit 40 Jahren ununterbrochen aufgebaut und fortgesetzt haben, werden für immer im Himmel Kurdistans wie zwei starke Sterne leuchten und uns den Weg erhellen.

Wir gedenken ihnen erneut und versprechen, dass wir ihren Kampf bis zum Erfolg fortsetzen werden.“