Der Nationalkongress Kurdistan (KNK) kritisiert Äußerungen von US-Außenminister Antony Blinken zur Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Blinken war vergangene Woche mit seinem türkischen Amtskollegen Hakan Fidan in Washington zusammengetroffen. In der vom Exekutivrat des KNK am Montag veröffentlichten Erklärung zu dem Treffen heißt es:
Antwort auf die Behauptungen von US-Außenminister Blinken über die PKK
Kürzlich traf sich US-Außenminister Antony Blinken mit dem türkischen Außenminister Hakan Fidan in Washington DC im Rahmen einer Reihe von Gesprächen zwischen den USA und der Türkei, die als „Strategischer Mechanismus" bezeichnet werden. Während des Treffens in der vergangenen Woche plapperte Herr Blinken die verleumderischen Desinformationen des autoritären Regimes unter Präsident Erdoğan nach und erwähnte mit keinem Wort die umfassende Unterdrückung der Opposition oder die Tatsache, dass das türkische Regime weltweit führend bei der Inhaftierung von Journalist:innen ist.
Eine bestimmte Passage in der von den Regierungen der USA und der Türkei veröffentlichten gemeinsamen Erklärung war besonders beleidigend: „Der Außenminister bekräftigte die Verurteilung der Terrororganisation PKK, der DHKP-C sowie von IS/DAESH, die auf die Türkei und türkische Interessen abzielen, durch die Vereinigten Staaten. Die Vereinigten Staaten und die Türkei bekräftigten ihr gemeinsames Engagement, die dauerhafte Niederlage von IS/DAESH in Syrien und Irak sicherzustellen, und erörterten die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Bedrohung durch IS/DAESH und Al-Qaida-Verbindungen in Afrika und Zentralasien."
Wir können und werden diese Behauptungen über die PKK in keiner Weise akzeptieren, ebenso wenig wie diese phantasievolle Darstellung des Kampfes des türkischen Staates gegen die Terrorgruppe „Islamischer Staat" (IS). Nach Ansicht vieler Mitglieder der US-Regierung und des Militärs ist die Realität, dass der türkische Staat und sein Geheimdienst MIT, der damals von Herrn Fidan selbst geleitet wurde, den IS während seines Aufstiegs bewaffnet, unterstützt und bewaffnet haben, und zwar als ihre eigenen stellvertretenden Söldner gegen die Kurd:innen in Rojava/Nordostsyrien und Südkurdistan (Irak). Die Türkei koordinierte sich mit dem IS, unterstützte die Gruppe und erleichterte ihre Expansion von Anfang an in vielerlei Hinsicht, unter anderem durch den Kauf ihres Öls, die Behandlung ihrer Verwundeten in türkischen Krankenhäusern und die Erlaubnis, eine „Dschihadisten-Autobahn" vom Istanbuler Flughafen nach Gaziantep und nach Syrien einzurichten, ein Weg, dem viele Tausende ausländischer Kämpfer aus zahlreichen Ländern folgten, die in die Türkei reisten, um sich dem IS anzuschließen.
Mehrere Äußerungen von Brett McGurk, derzeit Koordinator des Nationalen Sicherheitsrats für den Nahen Osten und Nordafrika in der Regierung von US-Präsident Joe Biden, werfen ein Licht auf die Rolle der Türkei beim Aufstieg des IS. McGurk, der während eines Großteils des Krieges gegen den IS als Sondergesandter des Präsidenten für die Globale Koalition zur Bekämpfung des IS fungierte, erklärte im September 2019: „40.000 ausländische Kämpfer, Dschihadisten aus 110 Ländern der Welt, kamen nach Syrien, um in diesem Krieg zu kämpfen, und sie alle kamen über die Türkei. Das Kalifat lag an der Grenze zur Türkei. Wir haben mit der Türkei zusammengearbeitet - ich war öfter in der Türkei als in irgendeinem anderen Land -, um sie dazu zu bringen, ihre Grenze abzuriegeln, aber sie wollten es nicht tun. Sie sagten, sie könnten es nicht tun. Aber in dem Moment, in dem die Kurden Teile der Grenze einnahmen, wurde sie mit einer Mauer vollständig abgeriegelt. Seien wir also ehrlich, was die Fakten angeht.”
In einem anschließenden Interview sagte McGurk der CNN-Reporterin Christiane Amanpour: „Das meiste Material, das die IS-Kriegsmaschinerie antreibt, kam, offen gesagt, über die Grenze von der Türkei nach Syrien... Wenn man sich nur den nördlichen Teil Syriens ansieht und über die heutige türkische Grenze in der Provinz Idlib läuft, dann ist das ein Gebiet, in dem wir nicht operieren, es ist wirklich ein Einflussgebiet der Türkei. Es wird jetzt wirklich vollständig von Gruppen mit Verbindungen zu al-Qaida beherrscht. Alle Grenzübergänge zur Türkei werden von al-Qaida kontrolliert."
Wir schlagen vor, dass Herr Blinken sich mit Herrn McGurk berät, der eine wichtige Rolle bei der Koordinierung mit den Mitgliedern der globalen Koalition und den Kräften vor Ort im Irak und in Syrien im Kampf gegen den IS spielte, bevor er unbegründete Erklärungen abgibt, die die Opfer von über 11.000 kurdischen Gefallenen ignorieren, die heldenhaft ihr Leben gaben, um die IS-Terroristen zu besiegen, die Herr Fidans Staat jahrelang unterstützte und nun wiederbeleben möchte. Wenn die USA al-Qaida stoppen wollen, sollten sie ihrem NATO-Partner Türkei sagen, dass sie ihre Zusammenarbeit mit der Al-Qaida-Filiale Hayat Tahrir al-Sham (HTS), einem umbenannten Zweig der Gruppe, in Idlib, Syrien, beenden sollen. Derzeit zahlt das türkische Militär die Gehälter von ehemaligen IS-Kämpfern und einem Zweig von al-Qaida im Nordwesten Syriens, denselben Dschihadisten, die die Türkei in den letzten sechs Jahren dazu benutzt hat, die einst friedliche Region Efrîn zu terrorisieren und ethnisch zu säubern.
Was die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) selbst betrifft, so sollte Herr Blinken auch wissen, dass sie nie einen Angriff auf die USA verübt oder auch nur eine einzige Drohung gegen US-Streitkräfte ausgesprochen hat. Sie wurde erst 1997 von der Clinton-Regierung als ausländische terroristische Organisation (Foreign Terrorist Organization, FTO) aufgelistet, als Teil eines Waffendeals zum Verkauf von Hubschraubern an das türkische Militär - die Ankara dann zur Zerstörung von über 4.000 kurdischen Dörfern einsetzte.
Wir möchten Herrn Blinken daran erinnern, dass die Kämpfer:innen der PKK ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um den IS zu besiegen, und im August 2014 über hunderttausend Ezid:innen im Şengal-Gebirge direkt gerettet haben. Als die PKK beim IS-Angriff dem ezidischen Volk zur Hilfe kam, das von anderen Sicherheitskräften im Stich gelassen worden war, öffnete sie auch einen Korridor, durch den die Ezid:innen den völkermordenden IS-Kräften entkommen konnten, die Tausende töteten und die Mehrheit der ezidischen Bevölkerung im Irak vertrieben. In dieser Zeit kämpfte die PKK auch gegen den IS in den Regionen Kerkûk und Mexmûr und verhinderte, dass dieser auf die Stadt Hewlêr (Erbil) vorrückte. Sowohl durch Satellitenüberwachung als auch durch Berichte aus erster Hand von denjenigen, die vor Ort waren, darunter auch Amerikaner, sind dem Pentagon diese Fakten wohl bekannt, und Herr Blinken würde von einem Briefing durch diejenigen profitieren, die an diesem Krieg teilgenommen und letztlich das IS-Kalifat zerschlagen haben.
Wir möchten betonen, dass die Türkei offen gegen das Völkerrecht und die Menschenrechtskonventionen verstoßen hat, indem sie in Gebiete im Irak und in Syrien einmarschiert ist und diese besetzt hält, Kriegsverbrechen begangen, Hunderttausende Zivilpersonen vertrieben und dabei die Demografie dieser Gebiete gewaltsam verändert hat. Es ist inakzeptabel, dass Blinken, anstatt die vom türkischen Staat und seinem Militär begangenen Verbrechen zu kritisieren, lieber die Propaganda des Regimes wiederholt, das für so viel Instabilität und Blutvergießen in der Region verantwortlich ist.
Schließlich hoffen wir aufrichtig, dass Herr Blinken kein grünes Licht für eine weitere türkische Invasion und eine Ausweitung der brutalen Besetzung der kurdischen Gebiete in Syrien oder im Irak gegeben hat. Erst vor wenigen Tagen hat Erdoğan, der seit Monaten die Infrastruktur in Rojava unerbittlich bombardiert, angekündigt, dass er in den kommenden Wochen weitere grundlose Angriffe gegen die Kurd:innen in Südkurdistan (Region Kurdistan im Irak) plant. Wir möchten wissen, ob Herr Blinken die neue geplante Kampagne der Türkei zum Völkermord an den Kurd:innen mit unterzeichnet hat und ob eine solche Verleumdung der PKK den Weg für eine künftige Rechtfertigung einer türkischen Bodeninvasion in anderen Gebieten Kurdistans ebnen könnte.
Wir hoffen, dass sich die Türkei nicht dazu entschließt, ihren Krieg gegen das kurdische Volk zu intensivieren, und wir möchten die internationale Gemeinschaft daran erinnern, dass sich die Realität vor Ort nicht ändern wird. Die PKK ist eine Selbstverteidigungskraft des kurdischen Volkes und sein bester Schutz vor künftigen Völkermorden durch den türkischen Staat. Das kurdische Volk möchte in Würde in seinem Heimatland leben und wird weiterhin für Demokratie, Gerechtigkeit, Frieden und das Recht auf Selbstbestimmung kämpfen, im Vertrauen darauf, dass die Wahrheit uns frei machen wird.