Der Irak ist einer der wichtigsten Schauplätze für die Krisen und Widersprüche im Nahen Osten. Aufgrund seiner Lage und seiner Reichtümer ist das Land zu einem Schlachtfeld für internationale und regionale Mächte geworden. Seit dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein im Jahr 2003 ist keine politische, militärische und wirtschaftliche Stabilität erreicht worden.
Die über den Irak ausgetragenen Kriege der Hegemonialmächte sind vor allem das Ergebnis der Bemühungen der USA und des Iran, ihren Einfluss in der Region zu vergrößern. Die lokalen Machtkämpfe zwischen schiitischen, sunnitischen und kurdischen Akteuren im Irak haben zu einer anhaltenden Regierungsunfähigkeit geführt. Dieses Vakuum will der türkische Staat ausnutzen.
Der türkische Staat nutzt die Konflikte und Unstimmigkeiten zwischen diesen Gruppen, um die politische Krise im Irak zugunsten seiner eigenen Politik zu vertiefen. Gleichzeitig verfolgt er ein neues Kriegskonzept gegen die Freiheitsbewegung Kurdistans. Darauf deuten die intensivierten Kontakte zwischen Ankara, Bagdad und Hewlêr in den letzten Monaten hin.
Im Irak gibt es ständig neue politische, militärische und diplomatische Entwicklungen. Diese Entwicklungen sind auch ein Vorbote für neue Krisen und Kriege in anderen Regionen.
Was wird Bagdad tun?
Zündstoff für die jüngsten Entwicklungen im Irak war die Entsendung von PDK-Truppen als irakische Grenzschutzeinheiten in kurdische Guerillagebiete am 20. Februar. Mit der Stationierung dieser Truppen wurden insbesondere in Duhok und Şîladizê neue Besatzungspläne des türkischen Staates in die Tat umgesetzt. Der türkische Staat kann gegen den kurdischen Freiheitskampf nichts ausrichten und will die PDK und den Irak in diesen Krieg verwickeln. Mit der PDK ist der Invasionsplan ohnehin abgestimmt, jetzt wird auch Bagdad in diesen neuen Schritt einbezogen und das Konzept des Krieges erweitert. Es wird auch berichtet, dass der türkische Staat über die PDK die Reflexe der irakischen Zentralregierung austestet. So sollen türkeiloyale PDK-Einheiten unter dem Label "Irakischer Grenzeschutzeinheiten" in den Guerillagebieten vermehrt in Stellung gebracht werden. Wenn Bagdad schweigt, wird Ankara diese Politik fortsetzen.
Neue Ära für Südkurdistan
Der irakische Bundesgerichtshof hat am 21. Februar über Änderungen am Wahlgesetz der Region Kurdistan entschieden. Vorangegangen war ein langer Konflikt zwischen der PDK und der YNK. Außerdem sollen laut dem Urteil die Einkünfte aus der kurdischen Autonomieregion an Bagdad fließen. Damit ist eine neue Situation entstanden. Es heißt, dass mit diesen Entscheidungen eine Lösung für die Verwaltungs- und Wirtschaftskrise in Südkurdistan gesucht wird. Es wird erwartet, dass die neuen Beschlüsse der Korruption der PDK bei den Wahlen und in der Wirtschaft einen Riegel vorschieben. Sie werden aber auch als ein Schlag gegen das System der Kurdistan-Region bezeichnet. Neben der Einschätzung, dass das irakische Bundesgericht unter dem Einfluss des Iran steht, fügen diese Entscheidungen den Widersprüchen zwischen der PDK und der irakischen Zentralregierung einen weiteren hinzu.
Was versucht Mesrûr Barzanî in den USA auszuhandeln?
Während die durch die Gerichtsentscheidung ausgelöste Kontroverse sowohl im Irak als auch in Südkurdistan anhält, wurde der Ministerpräsident der Region Kurdistan, Mesrûr Barzanî, Ende Februar in die USA vorgeladen, um in einem gegen ihn angestrengten Verfahren auszusagen. Es wird erwartet, dass er dort wegen Mordes, Korruption, Völkermordes, Entführung, Folter, Geiselnahme und Kollaboration mit dem IS angeklagt wird. Während der Zeitpunkt von Barzanîs Vorladung in die USA Fragezeichen aufwirft, wird auch berichtet, dass die zunehmend schwächelnde PDK die USA um Hilfe bitten wird. Es heißt, dass die USA, die im Irak gegenüber dem Iran an Einfluss verlieren, diese Situation als günstig für ihre Politik betrachten und sich bemühen werden, der PDK weitere Zugeständnisse abzuringen. In der gegenwärtigen Situation wird davon ausgegangen, dass die USA im Gegenzug für eine aktivere Rolle der PDK gegen den Iran in der von den USA bestimmten Politik im Irak und für eine bessere Stationierung der US-Streitkräfte in der Region Kurdistan über Zusicherungen verhandeln, die Entscheidungen des Bundesgerichts über die kurdische Region außer Kraft zu setzen und die Schulden der PDK in Höhe von mehr als 32 Milliarden Dollar zu begleichen. Diese Situation bestärkt die Interpretation, dass die PDK den Weg für ausländische Interventionen ebnet, indem sie Südkurdistan zur Verhandlungsmasse macht.
Der Druck auf die Guerillagebiete wird erhöht
Am 1. März reiste Neçirvan Barzanî, Präsident der Region Kurdistan, zum Antalya Diplomacy Forum in die Türkei und traf nach einem Gespräch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und dessen Außenminister Hakan Fidan am folgenden Tag mit dem türkischen Verteidigungsminister Yaşar Güler zusammen. Obwohl öffentlich angegeben wird, dass bei dem bilateralen Treffen die Lage im Nahen Osten besprochen wurde, soll dabei auch die Planung des türkischen Staates für weitere Angriffe mit der PDK auf die Guerillagebiete ausführlicher erörtert worden sein. Dementsprechend wird für die kommenden Tage eine stärkere Mobilisierung vor Ort erwartet.
Parlamentswahlen in Südkurdistan im Juni
Am 3. März wurde mit dem von Neçirvan Barzanî unterzeichneten Dekret beschlossen, dass die sechsten Parlamentswahlen in der Region Kurdistan am 10. Juni 2024 stattfinden werden. Mit diesem Schritt wurde das Urteil des irakischen Bundesgerichts zum Wahlgesetz von der PDK gebilligt. Es wird davon ausgegangen, dass die PDK nach den Regionalwahlen im Juni nicht allein eine Regierung bilden kann und sich dadurch das politische Kräfteverhältnis ändern wird. Wenn das der Fall ist, wird eine neue Ära in Südkurdistan eingeläutet werden.
Mit PDK und CIA am Dreiertisch
Während Mesrûr Barzanî seine Verhandlungen in den USA fortsetzt, um das Leben der PDK zu verlängern, ist der Besuch von Ibrahim Kalın, dem Leiter des türkischen Geheimdienstes (MIT), in den USA eine weitere bemerkenswerte Entwicklung. Öffentlich angekündigt wurde, dass Kalın bei seinen Treffen mit verschiedenen Kreisen, darunter die CIA, internationale und regionale Fragen sowie die Entwicklungen im Irak und in Syrien erörtern wird. Es zeichnet sich jedoch ab, dass es um ein trilaterales Treffen zwischen den USA, der PDK und dem türkischen Staat geht, um die PDK in Südkurdistan zu stärken und die Rollenverteilung bei den neuen Besatzungsplänen gegen die Freiheitsbewegung Kurdistans zu besprechen.
Alarmbereitschaft in Kerkûk
Zusätzlich zu diesen Entwicklungen traf sich der irakische Premierminister Mohammad Shia Sudani am 4. März mit Gesprächspartnern in Bagdad, um die Bestimmung des Gouverneurs von Kerkûk zu erörtern. Für eine Einigung wurde eine zweiwöchige Frist eingeräumt, und in Kerkûk sind alle Kräfte sozusagen in Alarmbereitschaft. In der Stadt hat sich nach den Wahlen zur Generalversammlung der Provinz am 18. Dezember 2023 keine Normalisierung eingestellt. Nach den Wahlergebnissen haben die Kurd:innen unter Führung der YNK zwar die überwältigende Mehrheit errungen, doch wird diese Situation von der Irakisch-Turkmenischen Front, der Arabischen Koalition und der PDK nicht akzeptiert. Der Hauptgrund für die Spannungen in Kerkûk wird in der Irakisch-Turkmenischen Front gesehen, die vom türkischen Staat unterstützt wird. Es heißt, die irakisch-turkmenische Front habe vorgeschlagen und darauf bestanden, dass kurdische, arabische und turkmenische Vertreter die Stadt abwechselnd für 18 Monate regieren sollten. Das wird von der anderen Seite abgelehnt. Falls der Prozess sich weiter auf diese Weise gestaltet, werden die Unstimmigkeiten größere Dimensionen erreichen und Kerkûk in Konflikte hineingezogen werden.
Widerstand gegen das Şengal-Abkommen
Aus Bagdad reiste Sudani zunächst nach Mosul und dann nach Şengal, einem der wichtigsten Orte in der Region. Hier besuchte Sudani den Militärstützpunkt des 20. Bataillons der irakischen Armee, wobei seine Treffen unter Ausschluss der Medien stattfanden. Die Bevölkerung von Şengal ist Besatzungsangriffen des türkischen Staates ausgesetzt und wehrt sich gegen das Abkommen vom 9. Oktober 2020, das ihren Willen aushebelt und zu neuen Völkermorden einlädt. Der türkische Staat übt seit vier Jahren Druck aus, damit dieses Abkommen in Kraft tritt. Während der Besuch von Sudani auch in diesem Zusammenhang betrachtet wird, betonen die Menschen in Şengal, dass sie keine Sanktionen und keine Verwaltung gegen ihren Willen akzeptieren werden.
Signale für neue Operation
Parallel zu diesen Entwicklungen traf der irakische Staatssekretär für nationale Sicherheit, Qasim El-Araj, am Abend des 5. März in Ankara mit dem türkischen Verteidigungsminister Yaşar Güler zusammen. Während seit Monaten Dutzende von hochrangigen diplomatischen Gesprächen zwischen Ankara, Bagdad und Hewlêr stattfinden, wird hier der Rahmen der geplanten Operation gegen die Freiheitsbewegung Kurdistans deutlich. In diese Operation sollen viele Kräfte eingebunden werden. Der türkische Staat bemüht sich um die Zustimmung der USA und versucht gleichzeitig, die PDK und den Irak sowie den Iran auf verschiedene Weise in diese Gleichung einzubeziehen.