Linke-Bundestagsabgeordnete im Interview
Das Verbot der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in Deutschland ist seit langem ein Diskussionsthema. Nachdem der kurdische Repräsentant Abdullah Öcalan am 27. Februar mit seinem „Aufruf für Frieden und eine demokratische Gesellschaft“ an die Öffentlichkeit getreten ist, steigen die Erwartungen an einen Friedensprozess in der Türkei wieder. Gleichzeitig hält der deutsche Staat trotz der Entwicklungen im Nahen Osten und der Aufforderung Öcalans an die PKK zur Niederlegung der Waffen an seiner strategischen Partnerschaft mit der Türkei fest.
Nicole Gohlke, seit 2009 Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke, sieht in dem Aufruf des kurdischen Vordenkers eine Chance für den deutschen Staat, seine Politik gegenüber den Kurd:innen zu überdenken. „Öcalans Aufruf ist ein umfassender Vorschlag für eine neue politische Ära im Nahen Osten auf der Grundlage von Frieden und Gleichberechtigung“, so Gohlke. Im Interview mit der Zeitung Yeni Özgür Politika stellt sie ihre Perspektive zu den verschiedenen diesbezüglichen Aspekten des deutschen Regierungshandelns dar.
Worauf führen Sie die harte Politik gegenüber Kurd:innen Deutschlands zurück? Auf die im Kalten Krieg geprägte antikommunistische Staatsräson oder auf den Wunsch, weiterhin mit dem türkischen Staat Anklang zu finden?
Es ist traurige Wahrheit, dass die Bundesregierung die Türkei immer als strategischen und wirtschaftlichen Partner hofiert hat. Mit dem EU-Türkei-Deal von 2016, bei dem Milliarden Euro an die Türkei und Erdoğan flossen, um dafür Flüchtlinge von Europa fernzuhalten, nahm die EU wissentlich Menschenrechtsverletzungen in Kauf. Mit diesem Deal gab man ihm erneut ein Druckmittel gegenüber Europa in die Hand. Damit trägt auch die damalige Regierung Merkel als Unterstützerin des Deals eine Mitschuld an Erdoğans Repressionskurs gegen die Kurden. Niemand hat sich getraut, auch mal etwas zu tun, was gegen die Interessen der türkischen Regierung war. Das ist nach wie vor einer der Hauptgründe für die aktuelle Kurdenpolitik.
Das deutsche Innenministerium hat kürzlich erklärt, es gebe keinen Grund, das Verbot der PKK zu überdenken. Worauf wartet Deutschland Ihrer Meinung nach, angesichts der Schritte in Richtung Frieden, die die PKK unternimmt und ihren bewaffneten Kampf beendet?
Spätestens mit der Aufforderung Öcalans, die Waffen niederzulegen, ist auch die deutsche Regierung in der Pflicht, die PKK von der Verbotsliste zu streichen und die Einseitigkeit ihrer Parteinahme zugunsten des türkischen Staates zu korrigieren. Öcalans Aufruf ist ein weitreichendes Angebot für eine neue politische Ära im Nahen und Mittleren Osten auf Basis von Frieden und Gleichberechtigung. Es wäre fatal, wenn Deutschland diese Chance auf eine Neuausrichtung der Kurdenpolitik nicht nutzen würde.
Im Jahr 2014, während des Widerstands in Kobanê, haben Sie gegen das PKK Verbot in Deutschland protestiert, indem Sie die PKK-Flagge gehisst haben, und wurden dafür belangt. Da Tausende von Menschen in Deutschland vom PKK-Verbot betroffen sind, welche Schritte sollte Deutschland Ihrer Meinung nach unternehmen, um seine antikurdische Politik zu ändern und das Verbot zu überdenken?
Es muss hier endlich ein radikales Umdenken geben. Wir erleben erneut eine Kriminalisierung von Protesten im Zusammenhang mit dem Krieg in Gaza, wo die Menschenrechte von Palästinenser:innen mit Füßen getreten werden. Das ist eine katastrophale Entwicklung, die dringend korrigiert werden muss, mit Blick auf die Menschenrechte in Palästina genauso wie in den kurdischen Gebieten.
Und wir brauchen endlich eine Außenpolitik, die nicht nur deutsche Wirtschaftsinteressen verfolgt, sondern die Menschenrechte konsequent in den Blick nimmt. Das würde auch die Situation für Aktivist:innen in Deutschland verbessern.
Bis 2015 standen Sie auch unter Beobachtung durch den Bayerischen Verfassungsschutz. Es gibt immer noch viele linke und kurdische Aktivist:innen, die vom Verfassungsschutz überwacht werden. Was ist Ihrer Meinung nach der Grund für die strenge Überwachung von Dissident:innen durch den Verfassungsschutz und wie wirkt sich diese Überwachung auf das Leben der Menschen aus?
Für Betroffene ist das eine sehr schlimme Situation mit zum Teil weitreichenden Konsequenzen für Leib und Leben, zum Beispiel in Form von Berufsverboten und Repressalien. Ihr Protest soll schlichtweg unterdrückt werden. Die Beobachtung und die Klassifizierung als „linksextrem“ oder „verfassungsfeindlich“ ist somit eine schwere Bürde für Aktivist:innen und kriminalisiert ihren Protest in der Öffentlichkeit.
Der Verfassungsschutz ist eine Behörde, die vielfach gezeigt hat, dass sie so dysfunktional ist, dass man sie zudem abschaffen sollte.
Sie gelten als eine der klarsten Stimmen im Bundestag, wenn es um den Gazastreifen geht. Wie beurteilen Sie die Repressionen des deutschen Staates gegen Künstler:innen und Wissenschaftler:innen, die sich für Palästina einsetzen?
Ich finde dieses Vorgehen gegen Wissenschaftler und Kulturschaffende absurd. Wir erleben an zahlreichen Stellen, dass versucht wird, Kritik am Krieg in Gaza zu unterdrücken. Dagegen wird die Linke entschieden ankämpfen. Das friedliche Zusammenleben von Palästinenser:innen und Israelis wird gerade durch die Kulturschaffenden thematisiert.
Als HTS die Macht übernahm, war Deutschland eines der ersten europäischen Länder, das Damaskus besuchte. Deutschland hatte kein Problem damit, Ahmed al-Scharaa, den sie bis gestern für einen Terroristen hielten, als einen legitimen Präsidenten anzuerkennen. Andererseits hat Deutschland seine Politik gegenüber Rojava zwar kürzlich gelockert, ist aber immer noch sehr zurückhaltend. Welche Art von Politik wird und welche sollte Deutschland Ihrer Meinung nach in Zukunft gegenüber Syrien verfolgen?
Wie sich das neue Syrien gegenüber den kurdischen Minderheiten verhält, ist derzeit noch völlig offen. Gerade die vor kurzem beschlossene neue Verfassung beinhaltet eine Nichtbeachtung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen und ihrer Autonomie. Deutschland muss hier eine klare Position zur Achtung der Minderheiten, ihrer Kultur und ihrer Religion beziehen. Die deutsche Regierung muss eine deutliche Sprache im Sinne ihrer vielbeschworenen wertegeleiteten Außenpolitik gegenüber Syrien finden.
Hinweis: Das Interview mit Nicole Gohlke wurde im April 2025 geführt, eine türkischsprachige Übersetzung kann auf der Webseite von Yeni Özgür Politika nachgelesen werden. Titelfoto © Olaf Krostitz