Türkisches Regime will Straßenhunde einschläfern lassen

Straßenhunde gehören in der Türkei zum Stadtbild. Geht es nach Erdoğan, soll sich das ändern. Ein Gesetzesentwurf sieht vor, dass die Tiere eingesammelt und bei fehlender Vermittlung eingeschläfert werden. NGOs befürchten ein Massaker.

NGOs befürchten ein Massaker

Straßenhunde gehören in der Türkei zum Stadtbild. Geht es nach Recep Tayyip Erdoğan, soll sich das schon bald ändern. Auf Anordnung des Regimechefs persönlich wurde ein Gesetzesentwurf erarbeitet, der vorsieht, dass Straßenhunde eingeschläfert werden, sollten diese nicht vermittelbar sein. Tierschutzvereine und andere Nichtregierungsorganisationen, aber auch die Vereinigung der Rechtsanwaltskammern der Türkei (TBB) schlagen Alarm. Sie forderten die Regierung am Donnerstag in Städten wie Istanbul und Izmir auf, den Entwurf zurückzunehmen. Die Straßentierproblematik lasse sich weder mit Töten noch Einsammeln, sondern nur durch gezielte Kastrierung oder Sterilisation, Impfung und wieder Aussetzung in das Herkunftsgebiet lösen.

AKP: Einschläferung „schmerzfrei“ mit einer Spritze

In der Türkei gibt es Schätzungen zufolge etwa sieben Millionen Straßenhunde. Dem Sender NTV zufolge sollen Tierheime, deren Kapazität ohnehin als absolut unzureichend gilt, die Hunde künftig einschläfern, wenn sie nach 30 Tagen nicht vermittelt werden können. Anschließend sollen demnach weitere Straßenhunde eingesammelt und ebenso für 30 Tage im Tierheim untergebracht werden. Der Sender berief sich auf Quellen innerhalb der regierenden Erdoğan-Partei AKP. Demnach soll die Einschläferung „schmerzfrei“ mit einer Spritze erfolgen.

„Eine freie und vegane Welt ohne Käfige, Grenzen und Klassen“ stand auf dem Banner eines Demonstranten gestern in Izmir (c) MA

Juristin: Historischer Hass gegen Tiere

Die kurdische Juristin Rojda Kuruş, die zum Tierschutzzentrum der Anwaltskammer Izmir gehört, bezeichnet den Entwurf als „arglistige Täuschung“ und sieht in dem Vorhaben Erdoğans einen geplanten „Genozid an Tieren“. In der Türkei gebe es einen ausgeprägten Hass gegen Tiere, der einen weit zurückgehenden historischen und politischen Hintergrund habe, sagte Kuruş am Donnerstag am Rande einer Demonstration dem Journalisten Tolga Güney von der Nachrichtenagentur Mezopotamya. „Die größte Saat des Hasses gegen Tiere in der modernen Türkei wurde in den 1990er Jahren unter der Devise ‚Verwestlichung‘ ausgebracht.“ Hunderttausende Hunde seien getötet und bei lebendigem Leib verbrannt worden, trotzdem konnte die Population der Straßentiere nicht reduziert werden.

Dauerhaft angelegtes Sterilisierungs- und Kastrationsprogramm

Gerade diese Erfahrungen der Vergangenheit hätten gezeigt, dass der Plan der Regierung unrealistisch sei, tausende Tiere einschläfern zu lassen. „Die Kosten wären viel zu hoch“, sagt Kuruş. Die Anwältin befürchtet, dass die Hunde in Wahrheit erschossen, lebendig begraben oder verbrannt werden. Solche Massaker fänden ohnehin schon statt, wie immer wieder zutage geförderte Massengräber mit Knochen von Tieren zeigten. „In der Türkei bezahlen Tiere mit dem Leben dafür, dass es kein dauerhaft angelegtes Sterilisierungs- und Kastrationsprogramm gibt, wodurch die Anzahl der Straßenhunde Schritt für Schritt minimiert wird, um damit weiteren Nachwuchs und Tierleid zu vermeiden. Auch müssen sie sterben, weil die Behörden das Aussetzen von Tieren nicht unter Strafe stellen.“

Nach den Hunden kommen wohl die Katzen dran, befürchten NGOs in der Türkei (c) MA

„Wir werden die Vernichtung der Hunde dieses Landes nicht zulassen“

Rojda Kuruş meint, der Gesetzesentwurf stamme aus der Feder einer Mentalität, der jegliches Gewissen fehle. „Es ist die Politik des Hasses, die Menschen jenseits von Moral und Ethik zu solchen Taten treibt. Dieser Hass richtet sich nicht nur gegen Hunde oder Tiere im Allgemeinen. Wir kennen ihn von den Massakern an der kurdischen und armenischen Bevölkerung, an den Angriffen auf LGBTIQ-Menschen, am Femizid an Frauen. Tiere sind die wehrlosesten Lebewesen in der Kette, auf die sich dieser fundamentale Hass richtet.“ Laut Kuruş gebe die AKP vor, sich bei dem Entwurf an Gesetzen in europäischen Ländern orientiert zu haben. Wie etwa in Rumänien das Verfassungsgericht 2013 ein Gesetz genehmigt hatte, dass die Kommunen eingefangene Hunde lediglich 14 Tage lang in Tierheimen versorgen müssen und sie anschließend einschläfern dürfen. „Die Türkei hat eine einzigartige Struktur und Kultur des Zusammenlebens. Seit Jahrtausenden leben wir in einer Zivilisation, in der Hunde, Katzen und andere Lebewesen mit Menschen koexistieren. Aus diesem Grund brauchen wir Gesetze, die diese Struktur der Koexistenz fördert, nicht vernichtet. Wir werden die Vernichtung der Hunde dieses Landes nicht zulassen.“