„Der Aufstau durch den Ilisu-Staudamm hat gerade begonnen, Hasankeyf ist noch nicht überflutet. Zwar wurden der Basar von Hasankeyf durch Baumaschinen abgerissen und weitere Menschen vertrieben. Doch gibt es nach wie vor eine Chance für einen Ausweg aus diesem Katastrophenprojekt”, erklärt die Initiative zur Rettung von Hasankeyf und die Ökologiebewegung Mesopotamiens anlässlich des weltweiten Klimastreiks heute am 29. November. Weiter heißt es in der Erklärung:
Trotz seit vielen Jahren anhaltenden starken lokalen und internationalen Proteste hat die türkische Regierung im Juli 2019 mit dem Aufstau des Ilisu-Staudammes in Türkisch (Nord) Kurdistan begonnen. Das für Strom vorgesehene Ilisu-Projekt am Oberlauf des Tigris würde halb Mesopotamien ökologisch und sozial zerstören und die Klimakrise im Mittleren Osten verschärfen.
Sozial würde das Ilisu-Projekt 199 Dörfer und die Kleinstadt Hasankeyf (kurdisch: Heskîf) begraben und bis zu 100.000 Menschen ihre Lebensgrundlagen weitgehend wegnehmen. Während fast alle Betroffenen verarmen würden, käme das Projekt nur der türkischen Regierung, einigen Großgrundbesitzern und wenigen Unternehmen zugute.
Bei Fertigstellung des Ilisu-Projektes wären mindestens rund 400 archäologisch wertvolle Stätten in Ober-Mesopotamien geflutet – hier begann die menschliche Zivilisation. Dabei steht der 12.000 Jahre alte Ort Hasankeyf am Tigris im Fokus. Hasankeyf als ununterbrochen bewohnter Ort mit Spuren von 24 Kulturen ist eine der ältesten Siedlungen der Menschheit und steht wahrscheinlich in Verbindung mit Göbeklitepe, der ältesten Tempelanlage der Menschheit. Als Freilichtmuseum der ganz besonderen Art mit seiner Einbettung ins Tigristal erfüllt es neun von zehn UNESCO Kriterien. Doch die UNESCO schweigt. Für uns ist das Ilisu-Projekt ein kultureller Genozid!
Aus ökologischer Sicht ist Ilisu wie kein anderes Projekt in Mesopotamien zerstörerisch. Denn Flüsse auf insgesamt 400 km Länge würden geflutet und dutzende Pflanzen und Tierarten verschwinden. Der Tigris ist der letzte frei fließende große Fluss der Mittleren Ostens; der Euphrat ist schon durch Talsperren und riesige Bewässerungsprojekte am Oberlauf vollständig aufgestaut und im Unterlauf nur noch ein Rinnsal. Mit dem Abgraben des Tigriswassers durch die Ilisu- und anderer geplanten Talsperren wären Millionen Ackerbauern und die Trinkwasserversorgung von Städten wie Bagdad und Mossul in Gefahr.
Die Türkei erkennt die Rechte der IrakerInnen nicht an und setzt Wasser als Waffe für Regionalmachtinteressen ein. Auch weiter oben wird das Ilisu-Projekt als Waffe eingesetzt, es liegt mitten im militärischen Konfliktgebiet zwischen türkischer Armee und kurdischer Guerilla.
Diese menschenverursachte Wasserkrise, die durch Entwaldung in den Bergen Kurdistan intensiviert wurde, wird durch die Klimakrise noch mehr verstärkt. Der Mittlere Osten gehört weltweit zu denjenigen Regionen, die am meisten von der Klimakrise betroffen sind. Seit Ende der 90er Jahren ist der Niederschlag um rund zehn Prozent zurückgegangen; viele Bäche und Seen sind komplett ausgetrocknet. Jetzt sind die Mesopotamischen Sümpfe im Südirak – das größte Feuchtgebiet des Mittleren Ostens – durch das Ilisu-Projekt in größter Gefahr. Die Austrocknung ganzer Landschaften verschärft auch Sandstürme bis in den Iran. Neben dem Verschwinden der Oberflächengewässer und des Rückgang des Grundwassers ist die abnehmende Wasserqualität infolge von Abwasser aus Stadt und Landwirtschaft ein ernsthaftes Problem. So haben in den letzten Jahren zehntausende Ackerbauern den Süden Iraks in Richtung Städte verlassen – im Süden Irans passiert dies ebenfalls. Die momentanen breiten Aufstände im Irak haben auch ihre Ursache in der Wasserkrise. Wenn nicht strategisch entgegengesteuert wird, wird die Wasserkrise die ganze Region voll erfassen.
Der Aufstau durch den Ilisu-Staudamm hat gerade begonnen, Hasankeyf ist noch nicht überflutet. Zwar wurde der Bazar von Hasankeyf durch Baumaschinen abgerissen und weitere Menschen vertrieben. Doch gibt es nach wie vor eine Chance für einen Ausweg aus diesem Katastrophenprojekt. In Hasankeyf und im ganzen Tigristal gibt es so viel soziale Struktur, Ökosysteme und kulturelles Erbe zu verteidigen; schließlich auch unser Klima. Es gibt auf der Welt viele Mega-Talsperren und Atomkraftwerke, die fertiggestellt, aber nie in Betrieb genommen wurden.
Die türkische Regierung muss umgehend das gesamte Ilisu-Projekt stoppen. Wir sind uns sicher, dass jede Alternative zum Ilisu-Projekt der Region von größerem Nutzen sein wird.
Es ist nie zu spät für Hasankeyf und den Tigris!