Tausende Klimagerechtigkeitsaktivist:innen werden heute zu einer Demonstration gegen die Räumung von Lützerath und das weitere Abbaggern von Braunkohle durch den Energiekonzern RWE erwartet. In Keyenberg, einem der Nachbardörfer von Lützerath, wurde ein Ausweichcamp aufgebaut, an dem sich der Protest nun während der Räumung formiert. Dabei ist auch eine Vertreterin der feministischen Organisierung „Gemeinsam Kämpfen“. Sie sprach vor Ort mit Aktivist:innen aus dem Lützerath-Widerstand.
Wogegen richtet sich euer Protest?
S: Also ganz konkret gegen die Abbaggerung des Dorfes Lützerath und gegen die Braunkohleindustrie, die hier durch RWE verkörpert wird.
P: Ich denke, der kleinste gemeinsame Nenner hier ist, dass die Energiegewinnung aus Braunkohle und anderen fossilen Energieträgern angesichts der Klimakrise nicht mehr akzeptabel ist. Und in einem größer werdenden Kreis wird das verbunden mit einer Kritik an der kapitalistischen Wirtschaftsweise, die keine Lösungen, sondern nur immer noch mehr Krisen hervorbringen wird.
Und wofür kämpft ihr hier?
C: Im größeren Zusammenhang für eine Energiewende und für eine neue Art, Politik zu machen.
P: Und natürlich geht es hier um Klimagerechtigkeit.
C: Und auch für eine Gesellschaft, in der wir unsere Grundbedürfnisse auf eine Art und Weise versorgen, die nicht auf Kosten anderer Menschen geht. Und damit meine ich nicht nur die Menschen, die hier in der Region vom Braunkohleabbau betroffen sind, sondern alle Menschen weltweit. In den letzten Jahren ist das Thema Antikolonialismus in der Klimagerechtigkeitsbewegung in Deutschland präsenter geworden. Dass die globalen Kämpfe zusammengehören, können wir auch an den Soli-Grüßen sehen, den die Besetzer:innen in Lützerath von den Zapatistas aus Mexiko und aus Rojava erhalten haben.
P: Außerdem versuchen wir hier im Camp ein solidarisches Zusammensein vorzuleben. Obwohl das ganze Camp hier am Absaufen ist (lacht), finden sich Menschen, die hier die Klos putzen, kochen und füreinander da sind. Und das Ganze befreit von Tauschlogik und Verwertungszwang.
E: Ich würde auch sagen, dass wir in Lützerath und nun auch hier im Camp einen Freiraum schaffen, an dem wir andere Formen der gesellschaftlichen Organisierung ausprobieren und weiterentwickeln können.
Glaubt ihr, dass wir Lützerath noch retten können?
P: Zum heutigen Zeitpunkt glaube ich nicht, dass das Dorf noch zu retten ist. Wir werden die dort aufgebauten Strukturen leider nicht dauerhaft halten können, der Staat und der gesamte Repressionsapparat sind da einfach zu mächtig.
Warum seid ihr trotzdem hier?
P: Weil es nicht nur um dieses Dorf geht, sondern um viel mehr. Es geht um den Widerstand gegen den fossilen Kapitalismus. Auch wenn Lützerath fällt und abgebaggert wird und die Kohle darunter bereits verbrannt wurde, wird unser Widerstand weiterleben.
E: Es geht auch darum, eine Bewegung aufzubauen, die über Lützerath hinaus fort besteht.
C: Also ich finde auch, dass Orte wie Lützerath oder Klima-Camps wichtige Politisierungsorte sind. Letztendlich ist es ein Freiraum, um kollektive Bedürfnisse neu auszuhandeln und neue Perspektiven zu entwickeln.
Der medialen Diskurs um Lützerath wird aktuell von der Gewaltdebatte durchzogen. Wie steht ihr zu Militanz?
S: Ich finde es hier wichtig zu differenzieren, was überhaupt mit Gewalt gemeint wird. Ich finde es absolut vertretbar, dieser systemischen Gewalt auch eine gewisse Form von Gewalt entgegenzusetzen. Für mich ist Gewalt gegen Infrastruktur und Privateigentum absolut vertretbar, vor allem wenn es das Eigentum von großen Konzernen ist. In Bezug auf Gewalt gegen Menschen ist die Frage schwieriger.
P: Für mich ist Militanz eine Widerstandspraxis, die sich jenseits der bürgerlichen Vorstellung von Recht und Ordnung und von Legalität und Illegalität befindet. Das schließt Sachbeschädigung und offensives Vorgehen gegen Polizei mit ein. Ich finde einfach, brennende Reifen oder fliegende Steine sind kein Vergleich zu der Gewalt, die von dem staatlichen System ausgeht. Ein System, das heute schon Menschen tötet. Diesen Sommer stand ein Großteil von Pakistan unter Wasser, Menschen verlieren ihr Zuhause. Das lässt sich nicht miteinander vergleichen.
E: Es wird häufig so getan, als ob wir jemanden angreifen würden, und es wird ignoriert, dass es sich um Selbstverteidigung handelt. Wir verteidigen hier einen Ort, an dem wir uns selbst organisiert und unsere eigenen Strukturen aufgebaut haben. Für viele von uns ist Lützerath unser Zuhause. Wir kämpfen hier dafür, dass noch über viele Generationen hinweg Menschen diesen Planeten bewohnen können, und dass es sich dabei um eine lebenswerte Zukunft handelt. Die Medien stellen uns als gewalttätig da, aber am Ende schützen sie damit das bestehende System, in dem Menschenleben ständig gefährdet werden.
Wie geht es für euch weiter, wenn Lützerath geräumt wurde?
P: Also ich würde sagen, nur für mich gesprochen, dass es mich nur noch wütender und entschlossener machen wird, wenn das Dorf geräumt worden ist. Die Kritik an der Braunkohle und das ganze „Klima-Thema“ hat die Dominanzgesellschaft inzwischen erreicht. Nun wird allerdings versucht, den kapitalistischen Status quo durch Scheinlösungen wie LNG [Flüssigerdgas] oder Wasserstoff zu sichern. Dem sollten wir als Bewegung alles entgegensetzen.
S: Ich würde mir auch eine Reflexion darüber wünschen, inwieweit die bisherigen Strategien der Klimagerechtigkeitsbewegung Erfolg versprechen. Und ich würde mir wünschen, dass wir anfangen darüber nachzudenken, wie wir die Klimabewegung noch stärker in der Gesellschaft verankern können. Ich glaube, hier ist es entscheidend, dass wir Kämpfe noch weiter verbinden.
Welche Kämpfe?
P: Soziale und ökologische Fragen müssen zusammen gedacht werden, darin sind wir uns hier einig. Der Kontakt zur Arbeiter:innenbewegung ist allerdings noch spärlich bis gar nicht vorhanden. Außerdem finde ich es ganz wichtig, Verbindungen zu queer-feministischen, antirassistischen und antikolonialen Kämpfen zu stärken.
S: Hier sind so viele Menschen, die gegen das System aktiv werden. Das zu sehen, und dass man nicht allein kämpft, ist es, was mir am meisten Hoffnung macht.
E: Ich fühle mich immer ein bisschen kitschig dabei es zu sagen, aber es sind kleine Momente hier auf den Camps, die mich zu Tränen rühren. Wir wurden zum Beispiel vorhin von einer lokalen Person geshuttelt, die mit großem Stolz von ihrem 16-jährigen Kind erzählt hat, das sich hier im Kampf um Lützerath einbringt. Und ich merke dann immer, dass ich dadurch emotional werde, was sich kurz wie eine Schwäche anfühlt. Aber dann denke, dass es auch eine Stärke ist, und dass es schön und wichtig ist, auch mit dem Herzen dabei zu sein. Und das lässt mich auch hoffnungsvoll in die Zukunft blicken.
C: Mir macht es immer sehr viel Hoffnung, an einen Ort zu kommen, wo Selbstorganisation funktioniert. Zum Beispiel wie hier die Reproduktionsarbeit geleistet wird und sich alle gemeinschaftlich dafür verantwortlich fühlen. Das zeigt einfach, dass es möglich ist, sich anders zu organisieren. Es bleibt natürlich die Frage offen, wie wir diese gelebte Utopie in die größere Gesellschaft tragen können, aus unserer Blase hinaus.
P: Da kann ich mich anschließen. Wir vergessen oft, dass wir wirklich viele Menschen sind. Es haben so viele Menschen hier in Lützerath stundenlang ausgeharrt, trotz Regen und Kälte, und sie geben so viel Kraft in diesen Kampf. Ich glaube daran, dass wir wirklich was verändern können, wenn wir weitermachen und uns gut organisieren.
Danke für eure Zeit und Kraft!