Ikizdere: „Sie werden das Tal in eine Großbaustelle verwandeln“
An der Ikizdere-Schlucht in Rize leisten Bewohner:innen der Region Widerstand gegen die Errichtung eines Steinbruchs. Der HDP-Abgeordnete Murat Çepni hat die Protestierenden besucht.
An der Ikizdere-Schlucht in Rize leisten Bewohner:innen der Region Widerstand gegen die Errichtung eines Steinbruchs. Der HDP-Abgeordnete Murat Çepni hat die Protestierenden besucht.
Seit einiger Zeit machen die Bewohner:innen der Dörfer um die Ikizdere- und die Eskencidere-Schlucht in der Provinz Rize an der Schwarzmeerküste mit ihrem Widerstand Schlagzeilen. Sie wehren sich mit Barrikaden und Mahnwachen gegen die Zerstörung der Ikizdere-Schlucht durch die Firma Cengiz-Holding, die einen Steinbruch in dem Gebiet errichten will. Die Dorfbewohner:innen waren zuvor per Präsidialdekret enteignet worden. Cengiz-Holding gehört zu den Firmen, die de facto als AKP-Firmen bekannt sind und an denen Präsident Erdoğan selbst Anteile hält. Daher kommt es nicht von ungefähr, dass das Unternehmen bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche von der türkischen Militärpolizei, die immer wieder gegen die Dorfbewohner:innen vorgeht, unterstützt wird.
„Das natürliche Leben wird zerstört“
Der Abgeordnete der Demokratischen Partei der Völker (HDP), Murat Çepni, stattete den Protestierenden einen Solidaritätsbesuch ab und beschäftigte sich mit der Lage vor Ort. Im ANF-Gespräch berichtet er: „Das Tal wird Eskencidere genannt. Es handelt sich um einen Seitenarm des Ikizdere-Tals. Die Eskencidere-Schlucht verbindet zwei Dörfer und hat besondere Bedeutung für vier Ortschaften. Es gibt in dieser Schlucht Teeplantagen. Darüber hinaus haben Imker dort ihre Bienen, die einen besonderen Honig produzieren. Das Trinkwasser der Dörfer stammt ebenfalls aus dieser Schlucht. Die Menschen leben hier von der Landwirtschaft und der Imkerei. Nun soll für den Steinbruch eine Straße vom Eingang der Schlucht bis zum Steinbruch gebaut werden. Das sind drei Kilometer. Mit dem Straßenbau wird der Wald dort vollkommen vernichtet. Auch das Wasser wird durch die Sprengungen am Steinbruch vergiftet werden. Der Steinbruch umfasst den linken und rechten Rand der Schlucht. Bereits jetzt, wo die Arbeiten noch nicht einmal richtig aufgenommen wurden, ist der Bach voller Staub und Dreck. Wenn die Arbeiten richtig losgehen, wird das Wasser vollkommen verdreckt sein, mit der Imkerei ist es dann auch vorbei. Außerdem wird die Tierwelt im Tal zerstört.
„Die Menschen hier wissen, was ein Steinbruch für Konsequenzen hat“
Basalt ist ein harter, schwerer Stein, daher muss er gesprengt und aufgeweicht werden. Sie sagen, dass sie diese Explosionen sicher durchführen würden und es keinen Staub geben werde, weil sie die Überflächen nass machen würden. Aber alle wissen, dass das nicht geht. Außerdem gibt es andere Steinbrüche im Tal, und sie haben bereits alle möglichen Folgen gehabt. So gibt es zum Beispiel direkt gegenüber von diesem Dorf hier beim Dorf Şimşirli einen Steinbruch und noch mehrere weitere die Straße abwärts. Daher kennen die Menschen die Konsequenzen von Steinbrüchen, sie wissen, was der Staub aufgrund der Explosionen, die Trümmer und die ständig hin- und herfahrenden Lastwagen für Schäden anrichten. Mit dem neuen Steinbruch wird die ganze Region zu einer Großbaustelle. Wie auch immer man es betrachtet, es handelt sich um eine irreversible Verwüstung."
„Cengiz-Holding ist nicht nur Günstling, sondern Kapital des Palastregimes“
Gefragt nach den Verbindungen zwischen Cengiz-Holding und dem Regime erklärt Çepni: „Als die AKP an die Macht kam und praktisch zum Staat wurde, schuf sie auch ihr eigenes Kapital. Die sogenannte Fünferbande von Unternehmen gehören eigentlich der AKP. Das sind keine Günstlinge, es sind Unternehmen, die direkt dem Palast gehören, und deren Teilhaber Erdoğan ist. Wenn wir also diese Unternehmen kritisieren, kritisieren wir direkt die Politik der Regierung. Denn heute ist die Ökologiebewegung ein direkter Teil des Kampfes für Demokratie geworden. Dieser Kampf ist auch Teil des Kampfes gegen den Faschismus; er ist auch ein antiimperialistischer Kampf, insbesondere wenn wir die Auseinandersetzungen der Ökologiebewegung in den Ida-Bergen betrachten. Wie wir an diesem Beispiel gesehen haben, versuchen alle Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte, diesen Unternehmen den Weg zu ebnen. Es handelt sich um nichts anderes als eine Plünderungspolitik, für die eigens Gesetze herausgegeben werden. Deshalb sagen wir, dass diese Unternehmen nicht unabhängig vom Palast sind.“
„Soldaten des Staates oder einer Firma?“
Zur politischen Situation in der Region sagt Çepni, der selbst aus Ikizdere stammt: „In dieser Region hat die AKP ihre höchsten Stimmanteile erhalten. Deshalb ist die Situation hier besonders bemerkenswert. Die Menschen haben in kurzer Zeit viele Dinge persönlich erlebt: Sie sehen die Maschinen, die Planierraupen und die Militärpolizei und es ist ganz natürlich, dass die Menschen fragen: ‚Seid ihr die Soldaten des Staates, des Volkes oder einer Firma? Haben wir euch unsere Stimmen gegeben, damit ihr uns die Häuser über den Köpfen einreißt und uns hungern lasst?‘ Die Menschen sind wütend und beginnen zu sagen, dass ihnen eher ‚die Hände abfallen sollen‘, als dass sie noch einmal ihre Stimme für sie [die AKP] geben werden. Die Menschen haben sowohl die Politik als auch den Staat durch ihre eigenen Erfahrungen erkannt. Die Sicherheitskräfte griffen sie an, als seien sie Teil der Firma, sie setzten Tränengas gegen Alt und Jung ein.“ Çepni betont, dass die Menschen entschlossen sind, ihren Kampf nicht aufzugeben, und kündigt die weitere Unterstützung durch die HDP an.