Gericht weist Klage gegen „Kanal-Istanbul“-Protokoll ab

Ein Istanbuler Verwaltungsgericht hat die Klage der Union der türkischen Architekten- und Ingenieurkammern gegen das Kooperationsabkommen zum Zerstörungsprojekt „Kanal-Istanbul“ abgewiesen.

Das 8. Bezirksverwaltungsgericht Istanbul hat die Klage der Union der türkischen Architekten- und Ingenieurkammern (TMMOB) gegen das Kooperationsabkommen zwischen der Istanbuler Stadtverwaltung und der türkischen Regierung zum Katastrophenprojekt „Kanal-Istanbul“ als unbegründet abgewiesen. Das Protokoll über die Zusammenarbeit, das die Ministerien für Umwelt und Stadtentwicklung sowie Transport und Infrastruktur mit der Stadtverwaltung vereinbarten, verstoße nicht gegen das Grundgesetz und sei mit den entsprechenden Konventionen im Einklang, argumentierte das Gericht.  

Die TMMOB, der Dachverband aller türkischen Ingenieurs- und Architektenverbände, reichte die Klage zur Auflösung des Kooperationsabkommens über das umstrittene Bauprojekt „Kanal-Istanbul“ im Jahr 2018 ein. Mit dem Kanal soll ein künstlicher Seeweg quer durch die Stadt gegraben werden, der das Schwarze Meer mit dem Marmarameer verbindet. Insgesamt geht es um eine Strecke von etwa 45 Kilometern. Die Beschwerdeführer*innen führten ins Feld, das Protokoll verstoße gegen alle internationalen Konventionen sowie die einschlägige Völkerrechtsprechung, die türkische Verfassung und den nationalen Umweltplan. Die Realisierung des Kanals würde landwirtschaftliche Flächen und das terrestrische Ökosystem sowie Natur- und Landschaftsschutzgebiete und archäologische Kulturstätten irreversibel zerstören. Dieser Argumentation folgte das Gericht nicht.

Projekt wird Wasserreservoirs zerstören

Der Istanbul-Kanal ist eines der „Prestigeprojekte“ des größenwahnsinnigen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Auch er selbst nannte es „verrückt“, als er es 2011 vorstellte. Das Projekt schafft quasi eine neue Insel zwischen Kanal und Bosporus. Die Wasserstraße würde einen 400 Meter breiten Streifen durch Wälder und Ackerland schneiden. Wasserreservoirs, das Grundwasser und ein Auffangsystem, die zusammen fast ein Drittel der mehr als 16 Millionen Einwohner*innen Istanbuls mit Trinkwasser versorgen, würden zerstört werden. Außerdem würde sich das salz- und sauerstoffarme Wasser des Schwarzen Meeres in das Marmarameer ergießen, dabei Meereslebewesen töten und Istanbul mit einem Geruch von Schwefelwasserstoff überziehen.

Verletzung des Status quo der internationalen Meerengen?

Obwohl das Projekt dem Abkommen von Montreux, in dem die unreglementierte Durchfahrt aller zivilen Schiffe durch den Bosporus geregelt wird, widerspricht, soll der Bosporus dann für alle Tanker geschlossen werden. In Artikel 2 des Vertrags über die türkischen Meerengen heißt es aber: „In Friedenszeiten genießen Handelsschiffe in den Meerengen die vollständige Freiheit der Durchfahrt, bei Tag und bei Nacht, unter jeder Flagge und mit jeder Art von Ladung, ohne Formalitäten.“

Das bedeutet: mit Ausnahme von Gesundheits- und Sicherheitskontrollen durch die Behörden muss der Bosporus für die Durchfahrt von zivilen Schiffen gebührenfrei offenbleiben. Auch schwere Havarien geben der Türkei nicht das Recht, eine Lotsenpflicht auf ausländischen Handelsschiffen durchzusetzen. Ein künstlicher Bosporus aber würde unter die volle Souveränität der Türkei fallen und dank hohen Gebühren für Schiffe eine lukrative Einnahmequelle werden. Strebt Ankara mit dem Kanal, den der Istanbuler Bürgermeister Imamoğlu als „Mordprojekt“ bezeichnet, etwa eine Umwandlung der internationalen Meerengen in türkische an?

TMMOB warnt vor Katastrophen

Die TMMOB gab zuletzt Anfang der Woche eine letzte Warnung ab: „Durch die Verstärkung des Drucks auf ein Gebiet, durch das drei aktive Verwerfungslinien laufen, steigt die Gefahr von Katastrophen. Wir akzeptieren dieses Projekt nicht. Bereits heute muss Istanbul 70 Prozent seines Trinkwassers aus anderen Landkreisen beziehen und Präsident Erdoğan sagt: ‚Istanbul geht Wasserproblemen entgegen‘. Unsere Quellen dürfen nicht vernichtet werden.“

Titelbild: Giorgi Balakhadze | Creative Commons CC BY-SA 4.0