Einem US-Amerikaner ist durch die türkische Behörde für Umwelt- und Naturschutz in der nordkurdischen Provinz Dersim eine Lizenz für die Jagd einer Bergziege erteilt worden. Der Trophäensammler werde sich im Zeitraum vom 7. bis einschließlich 13. Dezember in der Region um das Dorf Salördek im Landkreis Pilemor (tr. Pülümür) aufhalten, teilt der Verein für Dersim-Studien (DAM) mit. Die Bevölkerung Dersims ist alarmiert: Bergziegen gelten im alevitischen Glauben als heilig. Zudem sind sie vom Aussterben bedroht.
Im Juli musste das türkische Ministerium für Land- und Forstwirtschaft einen Ausschreibungstermin für die Jagd von siebzehn dieser Tiere in mehreren Gebieten von Dersim zurücknehmen – nach heftigen Protesten von Tierschutzorganisationen und den Bewohnerinnen und Bewohnern der Provinz. Nun scheint die Behörde mit der Jagdverpachtung einen neuen Versuch starten zu wollen, das unter anderem auch von der Türkei ratifizierte Berner Artenschutzabkommen zu missachten.
Grausame Freizeitbeschäftigung: Trophäenjagd
Die Trophäenjagd ist eine besonders grausame Freizeitbeschäftigung, die unzählige Lebewesen mit ihrem Tod bezahlen. Auf der Suche nach dem besonderen Nervenkitzel reisen Hobbyjäger in ferne Länder, um exotische und seltene Tiere zu töten. Die Anbieter von Jagdreisen lassen den Kunden dabei keine Wünsche offen, denn wie auch der aktuelle Fall aus Dersim zeigt, können selbst Abschussgenehmigungen für gefährdete Arten erworben werden. Bei den Wildziegen ist zwischen Dezember und Februar Paarungszeit. Nach Angaben von Umweltaktivist*innen aus der Region fanden in den letzten Jahren häufig illegale Jagdreisen nach Dersim gezielt in dieser Phase statt, um möglichst viele Tiere zu erlegen.
Name des Jagdtouristen bekannt
Bei dem US-Amerikaner, der spätestens ab kommendem Montag in Dersim auf Ziegenjagd gehen will, soll es sich laut DAM um Bradley Garrett Van Hoose handeln. Die Menschen aus der Region sind empört und fordern die Behörden auf, die Lizenzvergabe rückgängig zu machen. Der Abschuss von Bergziegen wird als Massaker an der Natur betrachtet.
Früherer Gouverneur hatte Jagd verboten
Im Januar 2019 war in Dersim nach einer massiven Protestwelle und einer Unterschriftenkampagne die Jagd von Wildtieren verboten worden. Das Verbot wurde vom damaligen Provinzgouverneur erteilt und umfasste die Wilderei von Tieren wie den Wildziegen, dem Luchs, Ottern, Braunbären, Rebhühnern, Wölfen und anderen Arten. Seit der frühere Gouverneur Tuncay Sonel in eine andere Provinz versetzt wurde, gelten in den türkischen Behörden wieder andere Regeln.
Bergziegen im alevitischen Glauben heilig
Dersim ist die Region mit dem höchsten Anteil an Personen alevitischen Glaubens. Das Alevitentum ist ein Glaube an eine natürliche Gesellschaft, wonach die Beziehungen zwischen sämtlichen Lebewesen auf gegenseitiger Anerkennung fußen, auf der Grundlage einer kommunalen, solidarischen und teilenden Gesellschaft. Alle Völker sind unabhängig von ihrer Ethnie und ihrer Religion gleichwertig. Lebewesen, also Menschen, Tiere und Pflanzen gelten als heilig. Die Bergziegen genießen einen besonderen Status im Alevitentum, da sie als Herdentiere des Propheten Xizir (Hızır) verehrt werden. Der alevitischen Glaubenslehre nach lebten die Brüder Xizir und Ilyas als Propheten und tranken das „Wasser der Unsterblichkeit“, um Bedürftigen zur Hilfe zu eilen. Xizir kommt dem Glauben zufolge den Hilfsbedürftigen zu Lande zur Hilfe, Ilyas hingegen denen zur See.