Das türkische Ministerium für Land- und Forstwirtschaft will die geschützten und vom Aussterben bedrohten Bergziegen in der nordkurdischen Provinz Dersim zum Abschuss freigeben. Ein Ausschreibungstermin für die Jagd von siebzehn Tieren in acht Gebieten der Region, darunter Aliboğazı und Salördek, wurde bereits für den kommenden Montag (13. Juli) festgelegt. Tierschutzorganisationen sind alarmiert, Hasan Şen vom Ausschuss zum Schutz des Munzur, der zur Föderation der Dersim-Vereine gehört, sieht in der Entscheidung einen Verstoß gegen die Berner Konvention. „Die Bezoarziege beispielsweise, eine Unterart der Wildziegen in den Bergen von Dersim, die von der Türkei bis Afghanistan verbreitet ist, kommt auch in der östlichen Schwarzmeerregion vor. Dort steht sie unter Artenschutz, hier darf ihr Bestand laut der Jagdkommission des Gouverneursamtes abgeschossen werden – wenn auch ‚nur‘ reguliert‘, wie es im offiziellen Jargon heißt. Dennoch wird durch die geplante Jagdverpachtung das unter anderem auch von der Türkei ratifizierte Berner Artenschutzabkommen missachtet. Behörden wie die Gemeinden, Dorfvorsteherämter und Sicherheitskräfte, die weit reichende Befugnisse zur Überwachung artenschutzrelevanter Aspekte haben, greifen kaum ein.“
Alican Önlü, Abgeordneter der Demokratischen Partei der Völker (HDP), konkretisierte die Aussagen von Şen. „Es sind nicht nur die Kurden selbst, ihre Kultur und Sprache, ihr Glaube und ihre Natur, die erklärter Feind des Bündnisses aus AKP und MHP sind. Auch des Kurden Tiere gehören zum Feindbild dieser Regierung“, sagte Önlü am Freitag in Ankara.
Früherer Gouverneur hatte Jagd verboten
Im Januar 2019 war in Dersim nach einer massiven Protestwelle und einer Unterschriftenkampagne die Jagd von Wildtieren verboten worden. Das Verbot wurde vom damaligen Provinzgouverneur erteilt und umfasste die Wilderei von Tieren wie den Wildziegen, dem Luchs, Ottern, Braunbären, Rebhühnern, Wölfen und anderen Arten. Seit der frühere Gouverneur Tuncay Sonel in eine andere Provinz versetzt wurde, gelten in den türkischen Behörden wieder andere Regeln.
Bergziegen im alevitischen Glauben heilig
Dersim ist die Region mit dem höchsten Anteil an Personen alevitischen Glaubens. Das Alevitentum ist ein Glaube an eine natürliche Gesellschaft, wonach die Beziehungen zwischen sämtlichen Lebewesen auf gegenseitiger Anerkennung fußen, auf der Grundlage einer kommunalen, solidarischen und teilenden Gesellschaft. Alle Völker sind unabhängig von ihrer Ethnie und ihrer Religion gleichwertig. Lebewesen, also Menschen, Tiere und Pflanzen gelten als heilig. Die Bergziegen genießen einen besonderen Status im Alevitentum, da sie als Herdentiere des Propheten Xizir (Hızır) verehrt werden. Der alevitischen Glaubenslehre nach lebten die Brüder Xizir und Ilyas als Propheten und tranken das „Wasser der Unsterblichkeit“, um Bedürftigen zur Hilfe zu eilen. Xizir kommt dem Glauben zufolge den Hilfsbedürftigen zu Lande zur Hilfe, Ilyas hingegen denen zur See.
Eine Bergziege im verschneiten Dersim © Ismail Ateş
Neue Petition
Auch jetzt wurde wieder eine Petition initiiert, mit der ein Verbot der Jagd in Dersim und vor allem die Absage der Jagdausschreibung für die siebzehn Geweihträger*innen erwirkt werden soll. Alican Önlü hat einen entsprechenden Antrag beim zuständigen Ministerium eingereicht. Der Politiker bezeichnet den geplanten Abschuss der Bergziegen als „Ethnozid” und ruft die Bevölkerung von Dersim, Kunstschaffende, Intellektuelle und Organisationen zum gemeinsamen Kampf gegen die Angriffe auf die Provinz, ihre Menschen und Tiere auf.