Mit einem Sitzstreik mitten im Stadtzentrum von Şirnex (türk. Şırnak) will der HDP-Abgeordnete Hasan Özgüneş auf die ökologische Vernichtung am Çiyayê Cûdî durch gezielt gelegte Waldbrände aufmerksam machen. Zwar lodern seit Beginn der Sommerzeit auch in vielen anderen Regionen Nordkurdistans Waldbrände, die vom türkischen Militär entzündet wurden, der Cûdî-Berg in Şirnex ist jedoch in besonderem Maße von dieser Politik der verbrannten Erde betroffen. Seit über drei Monaten brennt es dort jeden Tag, Lebensräume von Mensch und Tier sind von den Flammen bereits großflächig vernichtet worden.
Die Soldaten beschränken sich jedoch nicht nur darauf, die Brände zu legen – teils mittels Leuchtspurmunition, sondern verhindern auch Löschversuche der lokalen Bevölkerung oder der Behörden – oft in Zusammenarbeit mit dem Gouverneursamt für die Provinz. Kann ein Feuerherd von Anwohnenden trotz Androhung von Repression in Eigeninitiative doch erfolgreich bekämpft werden, entsteht an anderer Stelle schon der nächste - um mögliche Rückzugsräume für die Guerilla zu vernichten, wie es offiziell heißt.
Die türkische Armee setzt damit ein Beispiel der Naturzerstörung, die nur mit dem Einsatz von Agent Orange im Vietnamkrieg vergleichbar ist. Zu diesen Kriegsverbrechen vernimmt man kein Wort aus der deutschen Medienlandschaft, geschweige denn von Seiten der deutschen Regierung, während der Aufschrei bei Waldbränden in Touristengebieten in der Westtürkei groß ist. Die türkische Presse greift die Naturzerstörung in den kurdischen Gebieten ohnehin nicht auf – es sei denn, Wasserkraft- und/oder Bergwerke versprechen hohe Renditen für die AKP-geführte Regierung.
Bewohnerin des Dorfes Cifanê bei der Waldbrandbekämpfung, Aufnahme vom 7. September 2020
Alle sollen für den Cûdî eintreten
„Ich rufe die gesamte Bevölkerung von Şirnex auf, für den Cûdî einzutreten“, sagte Hasan Özgüneş am Donnerstag und rief zur Unterstützung für seine Aktion auf. Vorerst drei Tage lang will der Parlamentarier mit einem Sit-in vor dem Sitz des Provinzverbands der Demokratischen Partei der Völker (HDP) die Aufmerksamkeit der Bewohner*innen seines Wahlkreises auf die systematische Zerstörung des Cûdî lenken und gegen das Schweigen der Verantwortlichen in Ankara protestieren.
Gemeinsamer Kampf für die Verteidigung der Natur
„Mein Appell richtet sich an jeden Menschen, der sich an den verschiedenen Kämpfen in der Region beteiligt, im Widerstand gegen Unterdrückung ist, sich den Bäumen und der Natur verbunden fühlt auf, an der Verteidigung unserer Wälder teilzunehmen“, sagte Özgüneş. „Für den Erhalt unserer Umwelt müssen wir alle gemeinsam kämpfen.“
Der Cûdî hat vier Gipfel, die alle höher als 2000 Meter sind. Auf einem dieser Gipfel befinden sich Überreste eines Klosters, das im 4. Jahrhundert n. Chr. zu Ehren der Arche Noah gebaut wurde, die hier nach frühchristlicher und muslimischer Tradition gelandet sein soll. Zu den Ruinen können die Einheimischen oder Tourist*innen wegen der sogenannten Aufstandsbekämpfung seit Jahren nicht mehr pilgern.
Beliebtes Mittel zur Aufstandsbekämpfung: Waldbrände
In Kurdistan wurden zum ersten Mal im Jahr 1925 Waldbrände zur Aufstandsbekämpfung eingesetzt. Damals ging es um die Niederschlagung der Şêx-Saîd-Erhebung. Mit der Reformgesetzgebung und dem in diesem Zusammenhang verübten Massenmord von Dersim wurde diese Taktik fortgesetzt. Insbesondere ab den 90er Jahren bis heute werden Wälder systematisch vom Staat niedergebrannt.