Zapatistas und Kurden schließen sich in die Arme
Die Zapatistas brechen zum 13. August nach Madrid auf. Dort werden sie verschiedene Widerstandsbewegungen treffen, unter anderem auch die kurdische Freiheitsbewegung.
Die Zapatistas brechen zum 13. August nach Madrid auf. Dort werden sie verschiedene Widerstandsbewegungen treffen, unter anderem auch die kurdische Freiheitsbewegung.
Am 5. Oktober letzten Jahres kündigte die Zapatistische Bewegung (EZLN-CCIG) an, dass sie ab April 2021 zapatistische Delegationen auf alle fünf Kontinente entsenden werde. Die ersten Delegationen werden am 13. August in Madrid ankommen. Der 13. August ist ein historischer Trauertag. Genau 500 Jahre zuvor brachen die spanischen Conquistadores den Widerstand der Méxica (Fremdbezeichnung: Azteken) und besetzten die letzte widerständige Hauptstadt des Dreierbundes, Tenochtitlan. Damit war der staatliche Widerstand gegen die Conquista gebrochen. Doch die dezentralen Gesellschaften, insbesondere der Maya-Völker, befinden sich bis heute in einer ungebrochenen Widerstandskontinuität. Die Zapatistas sind ein Ausdruck dieses Kampfes. Am 1. Januar 1994 traten sie in der verarmten Provinz Chiapas das erste Mal in Erscheinung, als sie die Provinzhauptstadt San Cristobal de las Casas kurzfristig befreiten, Besitzunterlagen zerstörten und Erklärung an die Weltöffentlich abgaben. Weltweit löste die Bewegung einen Sturm der Solidarität aus. Die Bewegung der Zapastistas ist gemeinsam mit dem Kampf für demokratischen Konföderalismus der kurdischen Freiheitsbewegung im Mittleren Osten sicherlich einer der global einflussreichsten Repräsentant:innen einer Alternative zur kapitalistischen Moderne, jenseits von Staat, Macht und Gewalt.
„Gemeinsamer Kampf der Unterdrücken statt sozialdemokratische Heuchelei“
Die Ankunft der Zapatistas in der Hauptstadt des Landes aus dem in den vergangenen fünf Jahrhunderten die meisten Conquistadores in die Amerikas aufbrachen, hat gerade am 13. August 2021 eine gewaltige symbolische Bedeutung. Sie zeigen: „Wir sind hier, sie konnten uns nicht kolonialisieren. Wir leisten weiter Widerstand, unser Aufstand geht weiter.“ Auf ironische Weise bezeichnen die Zapatistas daher ihre Delegationen selbst als „umgekehrte Conquista“.
Die Zapatistas kündigten an, dass sie sich mit ihrer Delegation an das Volk und nicht an die Regierungen richten: „Nicht zu drohen, zu beleidigen, zu beschuldigen oder zu fordern, und nicht um zu verlangen, dass sich jemand bei uns entschuldigt ... Es reicht! Es muss Schluss sein, damit die Vergangenheit zu missbrauchen, um durch Demagogie und Heuchelei aktuelle Verbrechen zu rechtfertigen.“ Dieser Punkt richtet sich auch an den mexikanischen Präsident Andrés Manuel Lopez Obrador, der direkt nach seinem Amtsantritt 2019 an den spanischen König Philipp und den Papst Franziskus ein Schreiben versandt hatte, in dem er forderte, sie sollten sich für alle während des Kolonialismus begangenen Verletzungen indigener Rechte zu entschuldigen. Dieses Anliegen wurde vom spanischen König umgehend abgelehnt. Die EZLN (Zapatistische Nationale Befreiungsarmee) bezeichnet das Schreiben des Präsidenten als reinen, sozialdemokratischen Populismus, denn die Projekte, die das Leben der indigenen Gemeinschaften bedrohten, würden fortgesetzt. Indigene, die ihren Lebensraum verteidigen, sind mit Genozid bedroht.
„Europa soll SLUMIL K´AJXEMK´OP heißen“
Unter dem Namen Geschwader 421 reisen sieben Indigenas, vier Frauen, zwei Männer und eine Transfrau auf einem Schiff mit dem Namen „Berg“ über den Atlantik. Der Segler trat am 3. Mai 2021 in Mexiko seine sechs bis achtwöchige Reise über den Atlantik an und wird in Galizien landen. Am gleichen Tag werden weitere Delegationen auf dem Luftweg eintreffen. Als erste Zapatist:in soll die Transfrau Marijose Europa betreten. Die Zapatistas benutzen den Begriff „otroa“ als Namen für alle alternative Formen von Dritten Geschlechtern. Xier wird erklären: „Im Namen der zapatistischen Frauen, Kinder, Männer, Alten und natürlich Otroas erkläre ich, dass der Name dieses Bodens, den seine Eingeborenen jetzt ‚Europa‘ nennen, fortan SLUMIL K´AJXEMK´OP, das heißt ‚widerspenstiges Land‘, oder ‚Land das nicht aufgibt und nicht verzagt‘ genannt werden wird. Und so wird es den Einheimischen und Fremden bekannt sein, solange es hier jemand gibt, der nicht aufgibt, sich nicht verkauft und nicht kapituliert.”
Dialektische Umkehr des Requerimiento
Dieses Statement setzt die dialektische Umkehr der europäischen Invasion vor 500 Jahren deutlich fort. Die Spanier verlasen damals ein Schreiben des Papstes und der „katholischen Könige“ in dem es hieß: „Ich (Name des Konquistadoren), sein Diener, Bote und Kapitän (Papst und König), verkünde euch und tue euch zu wissen, so gut ich kann, dass Gott, unser Herr, der eine und ewige, Himmel und Erde und einen Mann und eine Frau erschaffen hat, deren Söhne und Nachkommen wir und alle Menschen der Welt waren und sind und alle sein werden, die nach uns kommen werden. … Einer der früheren Päpste, der an seiner Stelle in dieser Würde und auf dem genannten Throne als Herr der Welt nachfolgte, machte diese Inseln und dieses Festland des Weltmeers den Genannten, d.h. dem König und der Königin und ihren Nachfolgern, zum Geschenke mit allem, was es drin gibt, wie es in gewissen Schriftstücken geschrieben steht, die darüber erlassen wurden, die ihr sehen könnt, wenn ihr wollt, so dass also ihre Hoheiten Könige und Herren dieser Inseln und des Festlandes sind, aufgrund der besagten Schenkung. … Wenn ihr es aber nicht tut oder es in boshafter Weise aufschiebt, so tue ich euch kund, dass ich mit der Hilfe Gottes mit Gewalt eindringen werde gegen euch und euch bekriegen werde in jeder Art und Weise, wie ich kann, und euch unterwerfen werde unter das Joch und den Gehorsam der Kirche und ihrer Hoheiten. Und eure Personen und eure Frauen und Kinder werde ich gefangen nehmen und zu Sklaven machen und als solche sie verkaufen und über sie verfügen, wie seine Hoheit es gebietet, und werde euch eure Güter nehmen und euch allen Schaden und Böse antun, wie ich kann, … und ich erkläre, dass die Tötungen und Schäden, die sich daraus ergeben werden, zu euren Schulden gehen und nicht zu denen seiner Hoheit noch der Herren, die mit mir gekommen sind. …“ Die Umkehr Requerimiento erfolgt gleich in mehrfacher Hinsicht, sowohl Inhaltlich, indem nicht an Unterwerfung, sondern an den demokratischen Widerstand appelliert wird, aber auch in der direkten Umbenennung des Kontinents in den Maya-Ausdruck SLUMIL K´AJXEMK´OP.
Gemeinsamer Kampf gegen kapitalistische Moderne
Das größte Ziel der Zapatistas ist mit ihrer „Reise für das Leben“ die aufständischen Menschen und Europa „wachzurütteln“. Bereits vor zwanzig Jahren zog die EZLN mit Delegationen durch ganz Mexiko, um sich mit den Kämpfen der Bevölkerung zusammenzuschließen und von ihnen zu lernen. Dabei machen die Zapatistas klar, dass es ihnen nicht darum geht, Kämpfe zu dominieren oder zu instrumentalisieren, sondern den Menschen zuzuhören und von ihnen zu lernen. Sie besuchten die abgelegensten Dörfer und tragen nun die Stimmen dieser Menschen und ihren Widerstand gegen Megaprojekte, Staudämme, Femizide, Drogenmafia, Paramilitärs, die Zerstörung des kollektiven und natürlichen Lebens über den Ozean, nach Europa. Subcommandante Galeano erklärte zum Ziel der Mission: „Wege zu finden, dass die Kämpfe einander erreichen; eine gemeinsame Perspektive zu schaffen, die Vergangenheit, Gegenwart betrachtet und Zukunft schafft. Das ist der Internationalismus der Zapatistas: Es geht darum, das Gemeinsame für das Leben zu suchen.“
„Den Kontinent wachrütteln“
Seit Oktober finden Online-Treffen mit Solidaritätskomitees in Europa statt, während im Lacandonischen-Wald in Chiapas fieberhaft die Vorbereitungen für die Delegationen begonnen hatten. Wie Zapistas, die keinen Ausweis, keinen Pass haben und ihr Dorf niemals verlassen hatten über den Ozean reisen könnten, war ein entscheidender Punkt der praktischen Diskussionen. Dabei ging es auch darum, wie die durch die Pandemie noch weiter verschärfte Grenzpolitik überwunden werden könne und wie in diesem Kontext Volksversammlungen durchgeführt werden können. Die Zapatistas erklären: „Wenn sie es uns nicht erlauben, uns den nationalen Grenzen in Europa zu nähern, dann werden wir ein Transparent mit der Parole ‚Wacht auf‘ ausrollen und werden warten bis es jemand liest und etwas unternimmt.“ Die Zapatistas hoffen, mit der Delegation die europäischen Gesellschaften wachzurütteln. Obwohl viele behaupteten, es sei unmöglich, wurden in den Zapatistischen Bergen Boote gebaut und in der Überzeugung, dass „eine andere Welt möglich sei“, erklärte die Bewegung die Hoffnung werde sich schneller verbreiten als das Corona-Virus. Subcommandante Moises, der die Reise koordiniert berichtet, die Delegation habe Einladungen aus Deutschland, Österreich, Slowenien, Katalonien, Sardinien, Zypern, Kroatien, Dänemark, Spanien, Finnland, Frankreich, Griechenland, Niederlande, Ungarn, Italien, Luxemburg, Norwegen, dem Baskenland, Polen, Portugal, Großbritannien, Rumänien, Russland, Serbien, Schweden, Schweiz, Türkei und der Ukraine erhalten. Die Delegationen würden allen Ladungen, soweit es die gesundheitlichen und zeitlichen Bedingungen ermöglichen, nachkommen.
Die Zapatisten erklären, dass sie sich mit den Basis- und linken Bewegungen als eine Bewegung von unten treffen werden. Zu den Veranstaltungen gehören öffentliche Versammlungen, Märsche, Proteste, Meetings, Panels, Konferenzen, Workshops; aber auch kulturelle Veranstaltungen, Fußballspiele und das Kennenlernen von Sprache.
Zapatistas kommen mit kurdischer Freiheitsbewegung zusammen
Die Zapatistas kommen in Europa mit einer anderen Volksbewegung zusammen, der kurdischen Freiheitsbewegung. Seit langem bestehen schon Beziehungen zwischen den Zapatistas und der kurdischen Freiheitsbewegung. Nun soll es zu einem weiteren direkten Erfahrungsaustausch kommen. Beide Bewegungen haben, so weit voneinander entfernt, ähnliche Konzepte und soziale Praktiken entwickelt und verfolgen ein Frauenbefreiendes, radikaldemokratisches Paradigma jenseits des Nationalstaats und der kapitalistischen Moderne. Diese Begegnung stellt ein wichtiges Ereignis in der Geschichte des antikapitalistischen Kampfes weltweit dar. Hier werden die Zapatistas die Kurd:innen kennenlernen, ihre Sprache sprechen, ihre Kultur leben, ihre sozialen Organisationen besuchen, Gäste in ihren Häusern sein. So können diese Völker, die den Fluss der Geschichte mit ihren Rebellionen verändert haben, direkten Dialog führen und ihre Schmerzen und Träume sowie ihre Kämpfe teilen. Diese Umarmung wird die Kolonialgeschichte ändern, die die Herrschenden auf beiden Kontinenten fortsetzen wollen.
Die Orte, Termine, der Rahmen und die Inhalte der Treffen werden offiziell von der kurdischen und der zapatistischen Bewegung gemeinsam bekanntgegeben werden. Es werden auch Zusammenkünfte zwischen den zapatistischen und den kurdischen Frauen zum Thema Femizide und Widerstand gegen das globale Patriarchat stattfinden. Ein entsprechendes, für alle Frauen in Europa offenes Panel ist in Vorbereitung. Die ist nur eines von vielen.