„Tag der Toten“: Ein Friedhof der Menschen- und Umweltverteidiger
In der Amtszeit der Morena-Regierung sind mindestens 225 Menschen für ihren Einsatz für Menschen- und Umweltrechte in Mexiko ermordet worden, 27 gelten als „verschwunden“.
In der Amtszeit der Morena-Regierung sind mindestens 225 Menschen für ihren Einsatz für Menschen- und Umweltrechte in Mexiko ermordet worden, 27 gelten als „verschwunden“.
Mexiko ist ein „Friedhof der Verteidiger*innen“ – unter diesem Titel veröffentlichte die mexikanische Nichtregierungs-Organisation EDUCA (Oaxaca) erschreckende Zahlen: Allein in der sechsjährigen Amtszeit der sich selbst als „links-progressiv“ darstellenden Morena-Regierung wurden mindestens 225 Menschen für ihren Einsatz für Menschen- und Umweltrechte ermordet, weitere 27 gelten als „verschwunden“. Die meisten Morde fanden in Oaxaca, Guerrero, Michoacán und Chiapas statt. Damit ist der Süd-Südosten des Landes, in denen unter anderem die Megaprojekte des „interozeanischen Korridors“ und des „Tren Maya“, für Landrechtsverteidigung und Widerstand zur gefährlichsten Region des Landes geworden.
Zuletzt entsetzte der feige Mord am indigenen Priester und Menschenrechtsverteidiger Padre Marcelo. Seit Jahren engagierte er sich im Bundesstaat Chiapas für die Rechte der indigenen Bevölkerung. Seit dem Eskalieren der Kartellgewalt setzte er sich für die Betroffenen und Vertriebenen ein, und bewies nicht nur durch das regelmäßige Singen von „Wir haben keine Angst“ in seiner Kirche großen Mut. Vor ebendieser Kirche wurde er nun, am 20. Oktober 2024, nach seiner morgendlichen Messe im Barrio de Cuxtitali im touristischen San Cristóbal de las Casas erschossen.
Am in Mexiko bedeutendem „Tag der Toten“ gedachten solidarische Menschen dem Ermordeten Padre Marcelo auch vor der mexikanischen Botschaft in Berlin. Die Menschenrechtsorganisation CAREA e.V. überreichte während der Aktion ein Schreiben mit der Forderung einer sofortigen Untersuchung des Mordes und einem Ende der Bedrohung von Menschenrechtsaktivist*innen in Chiapas.
Vor der mexikanischen Botschaft in Berlin
Hier der Text in vollständiger Länge:
„CAREA e.V., Haus der Demokratie u. Menschenrechte, Greifswalder Str.4, 10405 Berlin
an den
Herrn Botschafter der
Vereinigten Mexikanischen Staaten
Francisco José Quiroga Fernandes
Berlin, den 01. November 2024
Dringender Appell zur Aufklärung des Mordes an Padre Marcelo Pérez Pérez und Schutz für Menschenrechtsverteidiger*innen in Mexiko
Sehr geehrter Herr Botschafter,
wir versammeln uns heute an diesem Ort, um unsere Trauer und Empörung über den Mord an dem mexikanischen Menschenrechtsverteidiger und Priester Padre Marcelo Pérez Pérez zum Ausdruck zu bringen. Padre Marcelo wurde am Sonntag, dem 20. Oktober 2024 nach der morgendlichen Messe im Barrio de Cuxtitali, San Cristóbal de Las Casas, Chiapas, von bewaffneten Tätern erschossen.
Padre Marcelo war ein engagierter Verteidiger der Menschenrechte, der sich seit Jahren für den Schutz indigener Gemeinden und den Frieden in Chiapas einsetzte und mutig die systematische Gewalt im Bundesstaat anprangerte. Seine Arbeit fand sowohl bei der indigenen Bevölkerung von Chiapas als auch international große Anerkennung.
Er war regelmäßig Bedrohungen und Angriffen seitens der organisierten Kriminalität ausgesetzt. Bereits 2015 ordnete die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (CIDH) Schutzmaßnahmen für Padre Marcelo an, doch es scheint als habe die mexikanische Regierung es verpasst, diese effektiv umzusetzen. Stattdessen wurde er mehrfach kriminalisiert und sogar juristisch verfolgt.
Über unsere mexikanische Partnerorganisation, das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de Las Casas (Frayba), mit dem wir seit 25 Jahren zusammenarbeiten, sind wir darüber informiert, dass zahlreiche Personen, die sich für Menschenrechte und Umweltschutz einsetzen von verschiedenen Seiten bedroht werden. Frayba selbst beklagte erst kürzlich Überwachung, Verfolgung und Hausfriedensbruch gegen Mitarbeiterinnen des Zentrums. Eine Dokumentation dieser beängstigenden Vorfälle, über die auch die CIDH informiert ist, liegt uns vor.
Der Mord an Padre Marcelo verdeutlicht das besorgniserregende Ausmaß der Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger*innen und die breite Eskalation der Sicherheitskrise in Chiapas.
Die mexikanische Bundesregierung wie auch die Landesregierungen stehen in der Verantwortung, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um die Sicherheit der Bevölkerung und insbesondere die der Menschenrechtsverteidiger*innen zu gewährleisten.
Wir als Teil der deutschen Zivilgesellschaft, die eine lange und tiefe solidarische Verbindung zu Mexiko haben, sind sehr besorgt über die Sicherheit unserer mexikanischen Kolleg*innen und Freund*innen. In gleicherweise wie das Büro des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte in Mexiko (OHCHR) verurteilen wir die Ermordung von Padre Marcelo und bitten die mexikanische Regierung daher dringend um:
eine baldige, transparente und umfassende Aufklärung des Mordes an Padre Marcelo Pérez Pérez. Nicht nur die materiellen Täter, sondern vor allem die intellektuellen Täter müssen ermittelt werden.
ein sicheres Umfeld für Menschenrechtsverteidiger*innen in Chiapas, das es diesen Personen ermöglicht, ihre Arbeit ohne Bedrohung und Verfolgung fortzuführen.
die Benennung und Anerkennung der Krise der Gewalt in Chiapas, die mindestens seit 2021 sichtbar ist und die Implementation effektiver Strategien der Konflikttransformation.
Es ist von größter Dringlichkeit, dass Mexiko seinen Verpflichtungen zum Schutz der Menschenrechte nachkommt und der Straflosigkeit gegenüber kriminellen Gruppen ein Ende setzt. Unsere Gedanken sind bei der Familie von Padre Marcelo sowie seinen Weggefährt*innen.
Mit freundlichen Grüßen,
Melanie Geuking, Vorstand CAREA e.V.“
Appell am Honorarkonsulat Mexikos in Hannover
Auch in anderen deutschen Städten fanden Solidaritätsaktionen statt, die den Mord an Padre Marcelo und die Bedrohung zapatistischer Gemeinden durch bewaffnete Gruppen anprangerten, so etwa in Hannover, Hamburg oder Freiburg. In Mexiko gedachte man am „Tag der Toten“ ebenfalls den ermordeten Menschenrechtsverteidiger*innen. Der Nationale Kongress der Indigenen in Mexiko beklagt seit 1996 mindestens 128 ermordete Mitglieder. Vor dem besetzten „Haus der Indigenen Völker Samir Flores“ errichten sie eine große Ofrenda (Altar) und veröffentlichten folgendes Kommuniqué:
Gedenkort vor besetzten Haus der Indigenen Völker Samir Flores
„Und nicht mit Worten umarmen wir unsere zapatistischen Genossen, Atheisten und Gläubige,
diejenigen, die nachts ihre Rucksäcke und die Geschichte auf dem Rücken trugen,
diejenigen, die mit ihren Händen den Blitz und den Donner ergriffen haben,
an diejenigen, die Stiefel ohne Zukunft anzogen,
denen, die ihr Gesicht und ihren Namen verhüllten,
die, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, in der langen Nacht starben
damit andere, sie alle, in einem zukünftigen Morgen,
den Tag so sehen können, wie er gesehen werden sollte,
Das heißt, mit dem Blick nach vorne, aufrecht stehend und mit aufrechten Augen und Herzen.
Für sie gibt es weder Biographien noch Museen.
Für sie unser Gedenken und unser Aufbegehren.
Für sie unser Schrei:
Freiheit! Freiheit! FREIHEIT! FREIHEIT!“
Ok. Prost und mögen unsere Schritte so groß sein wie unsere Toten.
[…]
Am traditionellen „Tag der Toten“ gedenken wir jenen, die ihr Leben im Kampf für eine bessere Welt opferten.
Schwestern und Brüder
Heute, am 1. November 2024, informieren wir vom Haus der indigenen Völker und Gemeinschaften Samir Flores Soberanes und im Rahmen des Tages des Kampfes gegen den Krieg gegen die zapatistischen Völker, dass wir ein kollektives Opfer zu Ehren unserer Toten, aber auch zur Anprangerung des Krieges errichtet haben.
Hier, in diesem Raum des Widerstands und der Rebellion, ehren wir unsere Comandanta Ramona, Frau, Indigene, Tzotzil, Revolutionärin und Mitglied des Geheimen Revolutionären Indigenen Komitees des Generalkommandos der EZLN und mit vielen anderen Gemeinschaften verantwortlich für das Revolutionäre Frauengesetz.
Wir gedenken hier dem Subcomandante Insurgente Pedro, dem ‚Großen Militärchef‘, dem Gründer der EZLN, der am 1. Januar 1994 bei der Einnahme der Stadt Las Margaritas in Chiapas starb.
Hier ehren wir auch unsere Brüder und Schwestern, die in den frühen Morgenstunden des 1. Januar 1994 im Kampf gefallen sind.
Wir gedenken des zapatistischen Genossen und Lehrers Galeano, der von Paramilitärs der Regionalen Organisation der Kaffeebauern von Ocosingo (ORCAO) ermordet wurde.
Wir ehren hier den verstorbenen Subcomandante Insugente Marcos und gedenken all jener Männer und Frauen, die ihr Leben gaben, um eine Welt zu schaffen, in der viele Welten Platz haben. Jene zapatistischen Brüder und Schwestern, die starben, um zu leben, aber vor allem, um uns Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit zu geben.
Hier ehren wir auch unsere Brüder und Schwestern des Nationalen Indigenen Kongresses und des Indigenen Regierungsrates, die ermordet wurden, weil sie Wasser, Land, Territorium und Leben verteidigt haben; weil sie sich den schlecht benannten Megaprojekten des Todes widersetzt haben, wie dem Maya-Zug, dem Interozeanischen Korridor, dem Projekt Integral Morelos, das unserem Bruder Samir Flores Soberanes das Leben gekostet hat.
Wir prangern an, dass seit der Gründung des Nationalen Indigenen Kongresses, CNI-CIG, im Jahr 1996, bis Oktober 2023 mindestens 128 Morde an seinen Mitgliedern gezählt wurden, in anderen Fällen kam es zu gewaltsamem Verschwindenlassen und Folter. Diese Morde wurden in den Bundesstaaten Chiapas, Jalisco, dem Bundesstaat Mexiko, Oaxaca, Chihuahua, Michoacán, Puebla, Morelos, Guerrero und Mexiko-Stadt registriert, wobei 45% dieser Morde auf Chiapas entfallen, gefolgt von Guerrero mit 20%, Michoacán mit 14% und Oaxaca mit 12%, der Rest verteilt sich auf die anderen Bundesstaaten. In diesen Zahlen sind die bisher im Jahr 2024 registrierten Morde noch nicht enthalten.
Schwestern und Brüder, diese Zahlen zeigen den Vernichtungskrieg und die Aufstandsbekämpfung, die zusammen mit dem organisierten Verbrechen gegen die indigenen Völker und die indigenen zapatistischen Gemeinden geführt wird. Die Militarisierung der Territorien ist nicht genug. Heute prangern wir die Komplizenschaft und Straflosigkeit an, mit der das organisierte Verbrechen gegen die indigenen Völker vorgeht. Wir verurteilen die Tatsache, dass in Chiapas und insbesondere in den zapatistischen Gebieten eine Strategie des Krieges gegen ihre Organisations- und Autonomieprozesse durchgeführt wird. Von hier aus fordern wir, dass Claudia Sheinbaum Pardo, Leiterin der Bundesexekutive und der 2. Etage der Vierten Transformation, sowie der Gouverneur von Chiapas, Rutilio Escandón, die repressive Eskalation gegen unsere zapatistischen Schwestern und Brüder stoppen, die zuerst vor einem Bürgerkrieg in Chiapas gewarnt haben und ihn heute erleben, obwohl die schlechten Regierungen dies leugnen.
Aus all diesen Gründen fordern wir weiterhin ein Ende des Krieges gegen die zapatistischen Völker. Keine weiteren Drohungen Angriffe gegen die compas der Gemeinschaft ‚6 de octubre‘, Mitglieder des Caracol [Schnekenhauses] de Jerusalem, denen mit der Vertreibung von ihrem Land gedroht wird, dass sie seit mehr als dreißig Jahren besetzt und bearbeitet haben. […]
Da es in unserem Kampf um das Leben geht, können wir dem kapitalistischen Krieg, der gegen unsere zapatistischen Brüder und Schwestern geführt wird, nicht gleichgültig gegenüberstehen. Wir rufen diejenigen auf, die die ERKLÄRUNG FÜR DAS LEBEN unterschrieben haben, und diejenigen, die in anderen Kalendern und Regionen kämpfen und Widerstand leisten, wie z.B. das würdige und rebellische, ungehorsame Europa, damit wir gemeinsam eine ‚GLOBALE AKTION GEGEN DEN KRIEG GEGEN DIE ZAPATISTISCHEN VÖLKER‘ aufbauen. Wir schlagen vor, dass diese Aktion vom 10. November bis zum 17. November, dem 41. Jahrestag der Gründung der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung, stattfinden soll.
[…]“
Zudem rufen Freundinnen und Freunde dazu auf, sich den Aktionen vom 10. bis17. November anzuschließen. Der Widerstand geht also weiter. Nicht nur in Chiapas: In Guerrero wehrt sich etwa der CIPOG EZ (der Indigene Populäre Rat Emiliano Zapata) als Teil des Nationalen Kongresses der Indigenen gegen die fortwährenden Angriffe durch paramilitärische Gruppen, die auch 2024 weitere Tote forderten. Zum Aufbau eines kommunitären Gemeinderadios des CIPOG-EZ werden aktuell Spenden gesammelt:
Transgalaxia e.V. // IBAN DE40 4306 0967 1152 49 2600 // Betreff: Radio Guerrero