Otomí in Mexiko-Stadt feiern vier Jahre der Besetzung

Das Institut für indigene Angelegenheiten in Mexiko-Stadt ist seit vier Jahren besetzt und als Haus der Völker zu einem Zentrum des indigenen Widerstands gegen gesellschaftliche Ausgrenzung und zerstörerische Megaprojekte geworden.

Begrüßung zur Jubiläumsfeier der Besetzung

Seit vier Jahren ist das ehemalige staatliche „Institut für indigene Angelegenheiten“ (INPI) in Mexiko-Stadt besetzt. Unter dem neuen Namen „Casa de los Pueblos Samir Flores“ (Haus der Völker Samir Flores) ist es zu einem Zentrum des indigenen Widerstands gegen die gesellschaftliche Ausgrenzung und die zerstörerischen Megaprojekte geworden. Zudem ist es ein Knotenpunkt des Unterstützernetzwerks der EZLN (Ejército Zapatista de Liberación Nacional) in der Hauptstadt.

Der 12. Oktober markierte das vierte Jubiläum der Besetzung. Gleichzeitig ist es aber auch der 532. Jahrestag der Kolonialisierung Lateinamerikas – ein Tag, um den Widerstand zu feiern, der es geschafft hat, indigene Kulturen, Sprachen, Lebensweisen und Selbstverwaltungen zu erkämpfen und zu erhalten.

Doch wie kam es eigentlich dazu, dass das Institut für indigene Angelegenheiten der mexikanischen Regierung durch das Volk der Otomí besetzt wurde?

Joaquina vor dem Eingang des besetzten Bürogebäudes © Jonas Alter

Die Vorgeschichte

Joaquina, eine der Bewohnerinnen der Besetzung, erzählte mir, dass viele Otomí, unter ihnen auch ihre Eltern, in den 1980ern aus Santiago Mexquititlán nach Mexiko-Stadt kamen.

„Als sie hier ankamen, hatten sie keinen Ort zum Übernachten und mussten auf der Straße schlafen. Wenn es regnete oder Diebe vorbeikamen, waren unsere Eltern und ihre Kinder in großer Gefahr.“ Als das Erdbeben 1985 viele Gebäude der Stadt beschädigte und zerstörte, übernahmen sie einige der leerstehenden Immobilien und machten sie wieder bewohnbar. „Unsere Gemeinschaft organisierte sich und beschloss, diese leerstehenden Räume in Colonia Juárez und Colonia Roma zu besetzen, um zumindest ein Dach über dem Kopf für ihre Kinder zu haben.“ In einer dieser Besetzungen ist auch sie aufgewachsen. Doch das Erdbeben 2017 sollte alles verändern – die Häuser brachen komplett zusammen, von diesem Moment an lebten sie in Zelten auf der Straße vor ihren ehemaligen Wohnhäusern.

Camp der Otomí 2018 vor dem Gebäude, das sie zuvor bewohnten © Radio Zapatista

„Wir litten sehr, weil wir kein Wasser hatten. Wir mussten weit laufen, um Wasser zu holen, damit wir unsere Kinder baden konnten, damit sie zur Schule gehen konnten.“ Sie deutet auf einen am Straßenrand stehenden Baum und erklärt, dass sie das Wasser dort besorgten, wo immer sie es fanden. Oft aus der Bewässerung von Parkanlagen und Bäumen am Straßenrand.

Die Besetzung

Ihre Versuche, andere Gebäude zu finden oder mit dem Staat einen Kredit für ein neues Gebäude zu verhandeln, waren vergeblich. Sie wurden von den Nachbarn angefeindet, und einmal wurde ihr Camp gewaltsam durch eine Hundertschaft von Polizisten aufgelöst, wobei es rund 20 Verletzte gab. Es waren unerträgliche Bedingungen.

Durch Polizei Verletzte im Camp der Otomí © Radio Zapatista

„Wir waren schon lange draußen. Ich glaube, es waren schon etwa drei Jahre, in denen wir dort lebten, und es war Regenzeit. Wir sagten der Regierung, sie solle sich auf unsere Seite stellen, da wir litten, unsere Kinder litten, und wir nicht schlafen konnten, weil der starke Regen die Zelte und alles darin durchnässte. Aber leider mussten wir dort bleiben, weil wir keinen anderen Ort hatten, an den wir gehen konnten. In dieser Zeit organisierte sich die Gemeinschaft weiter und hielt Treffen ab. In unserer Versammlung sagten wir: ‚Sie werden uns niemals besiegen.‘ Wir müssen weitermachen, und deshalb haben wir als Gemeinschaft beschlossen, dieses Gebäude in Besitz zu nehmen.“

Am Morgen des 12. Oktober 2020 kamen sie in die Büros des INPI – nicht um zu verhandeln, sondern um es zu übernehmen.

Ursprünglich war die Besetzung nur für ein oder zwei Wochen angedacht; doch die angeblich progressive, linke Regierung reagierte nicht. Bis heute haben die Otomí noch keine Möglichkeit für einen Kredit oder eine andere Immobilie bekommen; daher sind sie geblieben.

Theaterstück der Kinder der Besetzung mit den für die EZLN typischen Skimasken © Jonas Alter

Mehr als nur Wohnraum

Die Kinder der Gemeinschaft führen ein Theaterstück auf, um die vier Jahre der Besetzung zu zelebrieren – und die bereits 532 Jahre des indigenen Widerstands. 532 Jahre, ohne dass die Otomí ihre Kultur und ihre Sprachen verloren haben. Sie feiern den Widerstand, den sie in diesen vier Jahren aufgebaut haben. Auf der anderen Seite ist es aber auch ein Armutszeugnis der Stadtverwaltung – vier Jahre der Untätigkeit. Und noch mehr Jahre, in denen die Regierung das Grundrecht der Otomí auf menschenwürdigen Wohnraum ignoriert hat. Doch es geht ihnen um mehr, als das Erfüllen der eigenen Grundbedürfnisse.

„Sie kümmerten sich nicht um die indigenen Völker, im Gegenteil. Deshalb haben wir entschieden, dieses sogenannte Indigene Institut wirklich im Sinne der Völker zu nutzen.“ „Hier gab er (Adelfo Regino Montes, der Leiter des INPI) auch die Genehmigungen. Er unterzeichnete, dass zerstörerische Megaprojekte wie der Maya-Zug, der Interozeanische Korridor und der Zug von Santa Lucía gebaut werden dürften. Der Maya-Zug, die Mitstreiter aus Oaxaca und die Mitstreiter aus Puebla, denen das Wasser gestohlen wurde, oder? Deshalb waren wir wütend und beschlossen, dieses Gebäude zu besetzen, um zu sagen, dass sie damit aufhören sollen. Alle verschiedenen Kollektive und Völker aus verschiedenen Regionen sollen hierherkommen, ihr Wort sprechen und ihren Kampf bekannt machen. Jedes Volk, und so halten wir es immer noch, dies ist jetzt das Haus der Völker.“

Feier der 40 Jahre seit der Gründung der EZLN, in den Räumen vom Haus der Völker © Facebook Otomi Rebelde

Das ehemalige Bürogebäude, heute das Haus der Völker „Casa de los Pueblos Samir Flores“, fungiert als Ort der Zusammenkunft und der politischen Organisation vieler indigener Völker im Widerstand gegen die mexikanische Regierung und internationale Großunternehmen. Hier finden Veranstaltungen des Nationalrats der Indigenen (CNI) statt, Treffen zur Organisation gegen Großprojekte wie den Tren Maya oder den geplanten Interozeanischen Korridor, der Bewegung für das Wasser und viele mehr. In der Besetzung koordiniert sich zudem das Netzwerk der Unterstützer:innen der EZLN, der indigenen paramilitärischen Gruppe im Süden Mexikos, die 1994 den bewaffneten Aufstand für die Selbstbestimmung der Völker und ein würdevolles Leben wagte. Aus der staatlichen Behörde zur Kleinhaltung und Assimilation wurde ein Zentrum des Widerstands der indigenen Völker.

Repressionen und Angriffe

In den nun vier Jahren hat die Regierung aber nicht einfach tatenlos zugesehen, wie ihr ehemaliges Gebäude übernommen wurde. „Sie stellen uns den Strom ab, damit wir das Gebäude verlassen, sie haben das schon sechs oder sieben Mal gemacht.“ Wenn der Strom weg ist, können die Bewohner:innen den Herd nicht benutzen, haben keinen funktionierenden Kühlschrank, kein Wasser und auch die Toiletten funktionieren dann nicht mehr. „Es schränkt uns sehr ein, dass wir nicht ins Badezimmer gehen können, dass die Abwasserpumpe nicht funktioniert. Aber selbst dann zeigen wir ihnen, dass wir hier weitermachen werden, auch wenn sie uns tausend Dinge antun. Wir werden weiter Widerstand leisten.“

Bei Angriff der Polizei verletzter Bewohner hinter einer der zur Verteidigung errichteten Barrikaden © Facebook Otomi Rebelde

Die stärksten Repressionen kamen jedoch im letzten Jahr. Wenige Tage nach dem dreijährigen Jubiläum versuchte die Polizei mit rund 500 Aufstandsbekämpfungs-Polizisten, die Besetzung zu räumen. Durch die schnell agierenden Netzwerke des Widerstands wurde es verhindert, 20 der Bewohner wurden jedoch verletzt. Noch in derselben Nacht fuhren vermummte Motorradfahrer am Haus vorbei und schossen auf davor stehende Bewohner. Zum Glück wurde keiner von ihnen getroffen. Doch der Schock bleibt.

Eine Patronenhülse der abgefeuerten Schüsse © Facebook Red de Apoyo Iztapalapa Sexta

Die Zukunft der Besetzung

„Ich möchte nicht, dass mein Sohn die gleichen Bedingungen erlebt, unter denen wir gelebt haben, als wir weder Wasser noch Strom noch Abwasseranschlüsse auf den Grundstücken hatten. Ich möchte nicht, dass meine Kinder ohne diese Dinge leben. Ich möchte, dass sie ein Zuhause haben, damit sie gut leben können. Nicht, dass sich die gleiche Geschichte wiederholt, die ich erlebt habe.“ Ihr Ziel, das Ziel der Gemeinschaft, ist es, endlich anständigen Wohnraum zu finden. Keine halb eingestürzten Wohnungen ohne Wasser und Strom, keine Zelte und auch kein besetztes Bürogebäude. „Wir erschöpfen uns nicht, indem wir hier bleiben, aber wir möchten auch endlich einen Ort haben, an dem wir in Frieden leben können, weil sie hier versucht haben, uns zu räumen.“

Begrüßung zur Feier des Jubiläums der Besetzung © Jonas Alter

Am 23. Oktober haben sie einen Termin mit der neu gewählten Stadtverwaltung. Ihr Ziel ist es, endlich einen Dialog zu etablieren, um einen Kredit für eine neue Immobilie zu bekommen. Es könnte bedeuten, dass die Otomí nach Jahrzehnten endlich in richtige Wohnungen ziehen; ein Blick auf die Reaktionen der vorherigen Regierungen, egal von welcher Partei, stimmt sie jedoch nicht optimistisch.