Was uns Zuversicht gibt – que nos da ánimo

„EZLN – Das Gemeinschaftliche und das Nicht-Eigentum“. Die EZLN präsentiert Schritt für Schritt ihre neue Autonomie und die Veränderung ihrer autonomen Strukturen. Ein Gastbeitrag von lisa-colectivo malíntzin.

„Selbst die Zeiten anders wenden“

Am 22. Oktober 2023 begannen die Zapatistas – die EZLN (Ejército Zapatista de Liberación Nacional) – nach längerem Schweigen mit der Veröffentlichung einer Serie von Kommuniqués, die am 20. Dezember 2023 in einen Vorschlag auch an uns Internacionalistas kulminierte: Das Gemeinschaftliche und das Nicht-Eigentum. Dass es zwanzig Kommuniqués werden würden, die von Kommuniqué zu Kommuniqué einen Spannungsbogen aufbauen, damit konnte kein Mensch zuvor rechnen. Aber nicht nur das schuf eine über zwei Monate andauernde Überraschung (manchmal folgte jeden Tag ein Kommuniqué), sondern – und jetzt bereits die nette Katze aus dem Sack – die EZLN präsentierte, Schritt für Schritt, ihre neue Autonomie, die Veränderung ihrer autonomen Strukturen, das Weshalb und Warum ihrer neuen politischen Offensive, die uns angeht. Was uns Zuversicht gibt, viel Zuversicht.

Nun, was ist der politische Spannungsbogen, den uns die EZLN präsentiert: Wenn alles schwierig ist, mit klarem Kopf in die Offensive zu gehen. Dem weltweit zerstörerischen patriarchalen-kapitalistischen System und seinem jetzt offenen allgemeinen Kriegszustand nicht auf den Leim zu gehen, sich nicht auf Dichotomien reduzieren zu lassen – und selbst „die Zeiten anders zu wenden“.

Unter so unterschiedlichen Kommuniqué-Überschriften wie – Die Motive des Wolfes/ Niesen die Toten?/ Erste und Zweite Warnung, sich zu nähern/ PS, welches hoffend zu finden sucht/ PS, was gelesen werden muss, um zu verstehen/ Über Pyramiden und ihren Gebrauch/ Bertolt Brecht, Cumbia-Musik und die Nicht-Existenz/ Nie wieder … / Die Wut/ Wen es angeht1 – gelangt die EZLN zur Präsentation ihrer neuen zapatistischen Autonomie, zu „das Gemeinschaftliche und das Nicht-Eigentum“ als Konsequenz aus dem allgemeinen Desaster.

Sie sprechen zu uns vom Krieg: Krieg in Chiapas, Krieg in Palästina/Israel („Krieg überall und immerzu“) – aber auch von notwendigen Veränderungen, die bereits die Gegenwart verändern, um auch kommenden Generationen eine Perspektive jenseits von Krieg und Ausbeutung zu geben. Konkret: „Die Motive des Wolfes“ zu erkennen und zu begreifen, jedoch der Logik des zum Wolfsein gezwungen werden aktiv zu widersprechen. Das heißt u.a: „weder Hamas noch Netanyahu“, weder ein Verharren noch ein Preisgeben, weder wehrlos zu sein, noch einen aufgezwungenen Krieg zu führen, noch ihn da, wo es eine*n nichts kostet zu rechtfertigen oder still zu schweigen – noch die universale Menschlichkeit, das heißt, die wehrhafte und solidarische Handlungsfähigkeit, zu verlieren.

Das heißt, dieses System zu zerstören, ohne sich darin fangen zu lassen in Schein-Alternativen, die das herrschende System zu erzwingen sucht und die zu einer Selbstzerstörung führen. Für die Zapatistas heißt das ganz konkret: in Chiapas, in Mexiko nicht wehrlos zu sein, sich jedoch nicht provozieren und spalten zu lassen, sondern immer wieder ihre Autonomie zu sichern und wenn notwendig „selbstkritisch anzupassen“ sowie neue und alte praktische Bündnisse lokal und weltweit zu schaffen und zu vertiefen – als einen offensiven politischen Schritt.

Hier ein paar Gedanken zu einzelnen ausgewählten Kommuniqués der Serie:

Die Motive des Wolfes

Die Kommuniqué-Serie beginnt mit einem Gedicht von Ruben Darío, und ohne dass es dazu einen weiteren Kommentar gäbe. Das mag möglicherweise hier, „in unseren politischen Gefilden“, manche*n irritieren, sind wir es hier nicht mehr unbedingt gewohnt, dass die Literatur, die Künste, Teil des Widerstands sind. In diesem Gedicht wird die erzwungene gewaltsame Existenz des Wolfes hergeleitet: „… ich war friedlich … jedoch schlugen sie mich“. Diese Geschichte der Motive des Wolfes hat beim Lesen an uns mehr Fragen als Antworten gerichtet: Warum jetzt dieses Gedicht-Zitat aus Nicaragua und dem Jahr 1913? Warum als EZLN-Kommuniqué? Wer sind die Wölfe, die Wolf sein müssen? Zeigt sich darin die aktuelle Situation in Chiapas? Der offene Krieg gegen die Pueblos, die für ihre Autonomie kämpfen? Der Krieg der Narcos, der paramilitärischen Gruppen, die Militarisierung durch die aktuelle Regierung Mexikos als Aufstandsbekämpfung auch gegen die EZLN? Ist der Krieg in Israel/Palästina gemeint, auf den sich die EZLN bereits im Oktober 2023 in einem Kommuniqué bezog: „… weder Netanyahu noch Hamas?

In den folgenden Kommuniqués erhielten wir dann konkrete Antworten auf unsere Fragen: Als Konsequenz aus allem vertiefen die Zapatistas nun die Basisdemokratie ihrer Autonomie und schlagen als Weg aus dem hoffnungslos-kriegerischen Desaster das Gemeinschaftliche und das Nicht-Eigentum“ als politischen Weg vor.

Die Wut

Hier besteht das EZLN-Kommuniqué aus einem Video und einem kürzeren Text. Im Video wird ein Theaterstück zapatistischer Jugendlicher gezeigt, die den Aufstand vom 1. Januar 1994 szenisch darstellen: Aus unerträglichen Lebensumständen und mit zapatistischer Wut den allgemeinen Aufstand gegen die Unterdrückung zu machen. Es ist jedoch eine „würdige Wut“ – wie die Zapatistas sie nennen – die sich da realisiert. Sie ist kollektiv entschieden und organisiert; sie will nicht Rache sondern radikale Veränderung. Die würdige Wut bildet auch den Treibstoff, um zu kämpfen: In welchem Augenblick verwandelt sich die Wut in eine würdige Wut? Wann fängt sie an sich von Groll und Rache zu entfernen? Wann kommt sie der Gerechtigkeit nahe? (…) Und wenn das, was uns – trotz aller Unterschiede – vereint, eine selbe Wut ist? Wen wird es geben, der sich uns gegenüberstellt? Wer wird uns zur selben Niederlage von einst, jetzt und heute verurteilen? Wer droht uns mit demselben Morgen wie dem Heute? Wer wird verlieren und wer wird finden?“2

Nie wieder …

Auch hier besteht das Kommuniqué aus der Videoaufnahme eines Theaterstücks zapatistischer Jugendlicher, sowie einem kurzen Text, der es begleitet. Im gezeigten Theaterstück geht es um die Situation der Unterdrückung vor dem zapatistischen Aufstand, also vor 40 Jahren. Zu der Wichtigkeit, um die eigene Geschichte zu wissen, schreibt die EZLN: Die Erinnerung nährt nicht nur die würdige Wut, sondern ist auch die Wurzel des Baums der Würde und Rebellion. (…) Die von unten sehen die Vergangenheit wie eine einzige Seite, die noch nicht zu Ende geschrieben ist (...) Wenn die zapatistischen Pueblos auf ihre Vergangenheit blicken, sehen sie ihre Toten und sprechen mit ihnen. Sie bitten jene, die Gegenwart – sie eingeschlossen – zu hinterfragen. Und so blicken sie in die Zukunft.“3

Über Pyramiden und ihren Gebrauch

Mit dem weiter oben zitierten Blick auf Geschichte, Gegenwart und Zukunft unterwirft die EZLN in ihrem Kommuniqué Über Pyramiden und ihren Gebrauch4 die bis zum Sommer 2023 bestehenden Strukturen der zapatistischen Autonomie einer Kritik und Selbstkritik. Die zwanzigjährige Praxis der Räte der Guten Regierung (Juntas de Buen Gobierno) wurde in langen Diskussionen auf den Vollversammlungen aller zapatistischen Pueblos ausgewertet und hinterfragt. Ergebnis dieser kritischen und selbstkritischen Diskussion war: Die zapatistische Autonomie wird sich ändern, die altbewährten Strukturen sind der gewaltsamen Situation in Chiapas nicht mehr angemessen, auch hatten sich Verselbständigungen und Vermittlungsschwierigkeiten zwischen den Räten der guten Regierungen, den Räten der autonomen Landkreise und den Pueblos, den zapatistischen Gemeinden als Basis der Autonomie, gezeigt. Die Konsequenz daraus (siehe Kommuniqué: Die neue zapatistische Struktur der Autonomie5): Die Räte der Guten Regierung und die autonomen zapatistischen Landkreise und ihre Räte existieren nun nicht mehr.

Diese EZLN-Erklärung löste außerhalb der zapatistischen Pueblos Irritationen aus, da Veränderungen hier manchmal nicht mitgedacht werden oder nicht vorstellbar scheinen und in unseren Geographien der Begriff des Scheiterns des öfteren mit einem gewissen depressiv-masochistischen Wohlgefallen unbedacht verwendet wird. Nun, es gab da ein laut-leises Gemurmel: „Die Zapatistas hören auf …“

Dem ist nicht so, ganz im Gegenteil: Die zapatistische Autonomie hat sich basisdemokratisch vertieft, denn nun gibt es hunderte von Lokalen Autonomen Regierungen der Pueblos (Gobiernos Autónomos Locales – GAL), die selbst entscheiden, welches ihre Notwendigkeiten sind und wie sie umgesetzt werden, sowie ihre Ressourcen selbst verwalten, ohne jegliche Zwischeninstanz. Sie sind jetzt die einzige Entscheidungs- und Selbstregierungsinstanz der zapatistischen Autonomie; alle anderen zapatistischen kollektiven Strukturen haben nun lediglich koordinierende, vorschlagende Aufgaben, um die Bedürfnisse und Notwendigkeiten der Pueblos umzusetzen.

Das Gemeinschaftliche und das Nicht-Eigentum

Aus der langjährigen Erfahrung einer kollektiv organisierten Ökonomie als existentielle Grundlage ihrer Autonomie (u.a. das nach dem Aufstand wiedergewonnene Land, die kollektiven Arbeiten und Kooperativen, die Kollektive der Compañeras, mit der sie ihre nun auch materielle Unabhängigkeit geschaffen haben) sowie dem Erkennen der gesellschaftlichen Auswirkungen der offensiven neoliberalen Strategie der mexikanischen Regierung, welche die Pueblos in Chiapas mit individualisierten monetären Sozial-Programmen gewaltsam zu spalten und kommunales Land zu privatisieren sucht ziehen die Zapatistas den praktischen Schluss:

Das Gemeinschaftliche und das Nicht-Eigentum kollektiv organisiert zum Gemeinwohl und zum nicht-kapitalistischen Gebrauch schafft und webt eine neue soziale Realität: gegen die allgemeine Zerstörung, die gewaltsame Spaltung innerhalb der Pueblos und den generalisierten Krieg. Die Zapatistas laden nun andere (auch nicht-zapatistische) Comunidades, Pueblos und Kollektive ein, Land kollektiv zu bearbeiten, zum eigenen Nutzen und Gebrauch, zur Selbstversorgung – auf Ländereien, die während des zapatistischen Aufstands 1994 wiedergewonnen wurden. Die Landnutzung wird in Absprache mit den Lokalen Autonomen Regierungen organisiert werden unter der Bedingung, dass das Land Nicht-Eigentum bildet (es gehört keiner/keinem) und gemeinschaftlich genutzt wird; es kann weder verkauft noch verpachtet oder in anderer Form kommerzialisiert werden. Eine weitere Grundbedingung ist: Kein Anbau von Drogen; Paramilitärs haben keinerlei Zugang.

Am Ende dieses Kommuniqués vom 20. Dezember 2023 schreibt die EZLN auch: Einige Hektar dieses Nicht-Eigentums werden den geschwisterlichen Pueblos der Welt zugedacht. Wir werden sie einladen, zu kommen und dieses Land zu bearbeiten, mit ihren eigenen Händen und Kenntnissen. (...) Es ist wie ein Austausch, ein Mit-Teilen, jedoch nicht nur in Worten, sondern in der Praxis.“6

Und weiter: Das weltweit Gemeinschaftliche ist der Austausch, das Mit-Teilen von Geschichten, Kenntnissen und Kämpfen. Das bedeutet, wie so schön gesagt wird: Die Reise für das Leben geht weiter. Nun, für/wegen dem Kampf.“7

 

Die zwanzigteilige Kommuniqué-Serie liegt seit April in deutscher Übersetzung auch als Buch vor, mit Vorwort und ausführlichem Glossar zu zentralen zapatistischen Begriffen, mit einer Karte von Chiapas und den zapatistischen Caracoles/Gebieten. Erschienen ist es im Immergrün-Verlag, herausgeben von cronopi@s internacionales, hat 200 Seiten und kostet 12,- Euro; die Überschüsse aus dem Buchverkauf gehen an die Pueblos Zapatistas.


 

1EZLN – Pueblos Zapatistas: 30/40 Jahre EZLN. Das Gemeinschaftliche und das Nicht-Eigentum. Berlin 2024. Immergrün-Verlag. Oder auf der Webseite der EZLN: enlacezapatista.ezln.org.mx

2a.a.O., Seite 155/156

3a.a.O., Seite 151

4a.a.O., Seite 87-101

5a.a.O., Seite 79-86

6a.a.O, Seite 176

7a.a.O, Seite 178

Titelbild: Antikriegsmobilisierung, März 2022 in San Cristóbal de las Casas, Chiapas. (c) Tercios Compas Zapatistas