In Deutschland hat heute die zweite Gedenkveranstaltung für die internationalistischen Gefallenen der Revolution in Kurdistan stattgefunden. Ein gemeinsames Komitee aus Vertreter:innen der kurdischen sowie der internationalistischen Strukturen in Deutschland lud zu dem Gedenken in Frankfurt am Main ein, an dem rund 400 Menschen teilnahmen. In einem großen, würdevoll geschmückten Saal gedachten die Anwesenden sowohl mit kulturellen Beiträgen wie mit emotionalen Reden der Gefallenen.
Gefallenenangehörige aus aller Welt in Frankfurt
Unter den Gäst:innen waren insbesondere auch Familienangehörige vieler Gefallener aus aller Welt. Um ihrem Verlust mit angemessenem Respekt und Würde zu begegnen, wurde die Eröffnung mit der Begrüßung der Familien begonnen. Die Schwester und weitere Familienangehörige von Asya Kanîreş (Kadriye Tetik, Türkei), die Mutter, der Vater und der Bruder von Azad Şergeş (Thomas J. Spies, Deutschland), die Mutter von Bagok Serhed (Reece Harding, Australien), die Mutter und die Schwester von Baran Sason (Sjoerd Heeger, Niederlande), die Mutter und der Vater von Andok Cotkar (Konstantin Gedig, Deutschland), die Mutter von Avaşîn Tekoşîn Güneş (Ivana Hoffmann, Deutschland), die Mutter von Gabar Rojava (John Robert Gallagher, Kanada), die Mutter von Şîyar Gabar (Jakob Riemer, Deutschland), die Mutter von Lêgerîn Çîya (Alina Sanchez, Argentinien), die Mutter von Şoreş Amanos (Jac Holms, Großbritannien), die Mutter, der Vater und die Schwester von Rodî Çekdar (Martin Gruden, Slowenien) sowie eine enge Freundin von Nûdem (Uta Schneiderbanger, Deutschland) wurden namentlich willkommen geheißen, worauf der gesamte Saal sich erhob und mit Applaus Mitgefühl wie auch Ehrwürdigung zum Ausdruck brachte.
Die kurdische Freiheitsbewegung ist international
„Von seinem ersten Tag an inspirierte der Freiheitskampf in Kurdistan viele Menschen über Kurdistan und den Nahen Osten hinaus. Vor Jahrzehnten schlugen die ersten Internationalist:innen, auch aus Deutschland, ihren Weg nach Kurdistan ein. Ihre Suche nach einem freien Leben, nach Lösungen für die Herausforderungen der Menschheit, hatte sie aus unterschiedlichen Teilen der Welt auf diesen Weg gebracht. Sie erkannten, dass die Revolution in Kurdistan etwas universales verteidigt: die Werte der Menschlichkeit“, hieß es im Einladungstext. Im Kampf gegen den selbsternannten Islamischen Staat (IS) und in der Verteidigung gegen das türkische Militär verloren nicht wenige dieser Revolutionär:innen ihr Leben. Die Trauer um den Verlust, aber ebenso das Bewusstsein und der Stolz für diese Hingabe der Gefallenen, prägten während der gesamten Veranstaltung die Atmosphäre.
Das freie Leben
Eingeleitet wurde das Gedenken durch eine Schweigeminute für alle Gefallenen der Revolution in Kurdistan, zu der sich der ganze Saal aus Respekt ihrem Andenken gegenüber erhob. Allein an diesem Tag in Frankfurt am Main seien so viele verschiedene Kulturen und Sprachen zusammen gekommen, doch was die Anwesenden vereine, sei der gemeinsame Kampf für ein freies Leben und seine Fortsetzung im Andenken der Gefallenen, hies es in der Eröffnungsrede.

Diese gemeinsame Überzeugung zeige sich nicht nur in Kurdistan, sondern überall auf der Welt und so wurde eingangs auch an Günther Sare, der 1985 während einer antifaschistischen Demonstration in Frankfurt durch die Polizei umgebracht wurde, und an Christy Schwundeck, die 2011 von der Polizei in Frankfurt erschossen wurde, erinnert.
Der Kampf der Gefallenen wird fortgeführt
Im Jahr 2025 jährt sich Befreiung Kobanês, die weltweit als Symbol des Widerstands gegen den IS gilt, zum zehnten Mal. Sefkan Kobanê war einer der Kommandanten der Volksverteidigungseinheiten (YPG), die vom 13. September 2014 bis zum 26. Januar 2015 einen beispiellosen Kampf gegen den IS in Kobanê führten. Der Widerstand endete erfolgreich in der Befreiung der Stadt und gilt als Wendepunkt in der militärischen Verteidigung gegen die islamistische Terrororganisation. Und so sprach der kurdische Kämpfer und Autor als erster Redner.
In seiner Rede hob er immer wieder die Bedeutung der Gefallenen und ihrer Familien hervor. Das neue Paradigma einer ökologischen, geschlechterbefreiten und basisdemokratischen Gesellschaft habe der kurdische Vordenker Abdullah Öcalan der Menschheit als Geschenk übergeben. Im Andenken der Gefallenen, so versprach Kobanê von Angesicht zu Angesicht den anwesenden Angehörigen, würden alle Menschen, die durch die revolutionären Gefallenen weltweit zusammengebracht werden, diese Gesellschaft unter Führung der Frauen aufbauen.
„Diejenigen, die das Leben so sehr liebten, dass sie ihr eigenes dafür gaben“
Nach dieser eindrücklichen Rede folgte ein kultureller Beitrag. Auf der Leinwand wurde die Aufnahme eines Figurentheaters abgespielt. Die feministische Organisierung: „Gemeinsam kämpfen!“, die Kampagne „Women Defend Rojava“ sowie Astare Art stellten hierin auf künstlerische Weise die Zerstörung des ursprünglich natürlichen Kreislaufs von Leben und Tod durch das kapitalistische Patriarchat dar. Die Wut hierüber habe viele Entschlossene dazu geführt, sich zu vereinen und ihren Träumen zu folgen. Anhand eingesprochener Zitate Gefallener wurden diese eindrücklich in Worte gebracht. Diese hätten entgegen der Zerstörung das Feuer der Hoffnung in die Welt getragen, hieß es in der Aufnahme. Das Figurentheater solle das Gedenken derjenigen würdigen, „die das Leben so sehr liebten, dass sie ihr eigenes dafür gaben“.

„Sie haben zwar ihr Leben, nicht aber ihre Träume gegeben“
Die internationalistische Junge Frauen Bewegung brachte anschließend in diesem Sinne zum Ausdruck, dass „ein Leben voller Lügen, das bereits vorgefertigt ist“ zwar die „vom System gegebene“ jedoch für viele Jugendliche weltweit nicht annehmbare Antwort auf die Frage nach der Zukunft sei. Statt eine Ausflucht in Konsum oder Drogen zu suchen, müssten Fragen nach dem Wie des internationalen gemeinsamen Kampfes in den Mittelpunkt gestellt werden. Für eben diese Suche stünden die Gefallenen, die als junge Menschen eine klare und wertegebundene Entscheidung getroffen hätten. „Sie haben zwar ihr Leben, nicht aber ihre Träume gegeben“, sagte die Vertreterin. Die Freiheit der Menschheit sei aus ihrer Perspektive das Schönste, was man sich vorstellen könne. Dies mache die Gefallenen der Revolution zu einer Quelle tiefgreifender Inspiration.
Musikalisches Gedenken
Anhand des von ihr selbst als Solo vorgetragenen Liedes „Sag mir wo die Blumen sind“ stellte Christa Spies, die Mutter von Azad Şergeş, die Frage der Erkenntnis aus Fehlern ins Zentrum und somit den Wunsch nach Frieden und dem Ende des Leids.
Im Anschluss trug ein breit aufgestellter Chor, der von verschiedenen Instrumenten begleitet wurde, eindrücklich revolutionäre Lieder vor. Der Gesang – mal mehrstimmig, mal im Kanon – erklang in unterschiedlichen Sprachen. Die Initiative Demokratischer Konföderalismus, die feministische Organisierung: Gemeinsam kämpfen! und die Jugendorganisation Yuna hatten hierfür eine vielfältige Auswahl getroffen.
Die Gefallenen bleiben lebendig
Nach drei Chorliedern sprach Patricia Gregorini, die Mutter von Lêgerîn Çîya, die eigens aus Argentinien angereist war. Ihre Tochter sei bereits in ihrer Kindheit stets eine fröhliche und „voranschreitende“ Persönlichkeit gewesen. Nach ihrem Medizinstudium auf Kuba habe sie der Familie mitgeteilt, ihre Kenntnisse in Kurdistan einbringen zu wollen. Als diese fragte: „Warum nicht hier?“, habe Lêgerîn erwidert: „Nicht ich habe den Ort gewählt, es war der Ort, der mich gewählt hat und darum muss ich gehen.“ Ihre Tochter habe für die Liebe und das Leben gestanden, dementsprechend schloss die Hinterbliebene mit den emotionalen Worten: „Alina ist hier präsent, das fühle ich, sie ist hier präsent und lebendig.“
Ausdruck von wahrem Internationalismus
In ihrer folgenden Rede stellte Pero Dündar, die für die kurdische Frauenbewegung in Europa sprach, hervor, dass die Mütter und ihre Gefühle sehr besonders seien. Egal an welchen Orten auf der Welt erkenne Dündar Parallelen: „Sie verkörpern überall die gleiche Essenz und Aura.“ Ihre Worte und die der Jugend ebenso wie die musikalischen und poetischen Beiträge zeigten, welche Energie und Emotionen zusammenkämen. Unzählige Sprachen, Kulturen und Identitäten träfen hier aufeinander und zeigten ihre enge Verbundenheit. Dies sei für Dündar die Essenz der Freiheitsrevolution und Ausdruck wahren Internationalismus’, der heute wie gestern bedeutsam und notwendig sei.

In einem darauffolgend gezeigten Video wurden mit ergreifender Musik hinterlegt Bilder der internationalen Gefallenen der Revolution in Kurdistan gezeigt. Die Teilnehmenden waren sichtlich berührt und erhoben sich am Ende der Vorführung voller Emotionen, die sie in dem gemeinsamen Ausruf „Şehîd namirin“ (Die Gefallenen sind unsterblich) zum Ausdruck brachten.
Eine zutiefst menschliche Motivation
Auch die Eltern von Andok Cotkar, Ute und Thomas Gedig, waren noch sichtlich ergriffen, als sie danach auf der Bühne das Wort an die Anwesenden richteten. Ein Grab, um um ihren Sohn zu trauen, haben sie nicht. Über seine sterblichen Überreste verfügt noch immer der türkische Staat. Doch die beiden finden Trost in der Gewissheit, dass sich ihr Kind aus einer zutiefst menschlichen Überzeugung der Verteidigung der Revolution in Rojava angeschlossen habe. Und so stellten sie Hoffnung in das Zentrum ihrer Ansprache, denn dies sei, was Andok für sie verkörpere. In diesem Sinne sei das Zitat des Holocaust-Überlebenden Elie Wiesel für sie zu einer persönlichen Aufgabe geworden: „Es mag Zeiten geben, in denen wir machtlos sind, Ungerechtigkeit zu verhindern, aber es darf nie eine Zeit geben, in der wir nicht protestieren.“
„Unsere Herzen schlagen gemeinsam für Freiheit“
Anschließend wurde eine Videobotschaft einer Vertreterin der Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) gezeigt, die im Namen der Generalkommandantur der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) sprach. Jede:r einzelne internationale Gefallene zeige die Universalität der Verteidigung und der Revolution. Immer und überall stünden Menschen gegen Tyrannei und Unterdrückung auf und vereinten sich darin. „Wo auch immer wir sind und herkommen, unsere Herzen schlagen gemeinsam für Freiheit“, brachte sie eindrücklich ihre Verbundenheit zum Ausdruck und würdigte das Andenken der Gefallenen: „Wir durften mit euren Kindern leben und sie kennenlernen. Wir haben gelernt, dass Menschen, egal woher sie stammen oder welcher Nationalität sie angehören, sich dem freien Leben verschreiben.“
„Sei Stolz auf meinen Schritt“
Genauso habe Asya Kanîreş ihre Entscheidung getroffen, erzählte deren Schwester. „Sie hat ihre Ohren vor dem Leid und der Unterdrückung nie verschlossen“, beschrieb sie. In der Türkei zu sein, aber nur oberflächlich Solidarität mit dem kurdischen Volk zu zeigen, erschien ihr nicht ausreichend. Stattdessen habe Asya sich entschieden, an vorderster Front zu kämpfen. In einem Brief an ihre Mutter, in dem sie dieser ihre Entscheidung mitteilte, schrieb sie auf einfühlsame Weise und appellierte an den innigsten Wunsch einer Mutter, ihr Kind glücklich sehen zu wollen: „Wenn du mich nicht unglücklich sehen willst, sei stolz auf meinen Schritt und sei niemals traurig.“
Die Liebe der Völker
Auf Menschlichkeit, Gleichwertigkeit und Demokratie zu bestehen, sei der Weg, um gegen das System der Unterdrückung und Ungleichheit vorzugehen, unterstrich folgend auch die KOMAW-Vertreterin Cahîde. Die Revolution und der Geist, den diese verkörpere, seien von dem kurdischen Vordenker Abdullah Öcalan inspiriert. Auch für ihn stellten die internationalen Mitstreiter:innen einen unverzichtbaren Teil dieser Revolution dar. Ohne deren unermesslichen Einsatz würde die kurdische Freiheitsbewegung heute nicht an einem solch herausragenden Punkt stehen.

In dieser tiefen Verbindung, die nicht einmal einer gemeinsamen Sprache bedürfe, habe auch Michelle, die Mutter von Bagok Serhed, Trost gefunden. Sie berichtete von ihren Erfahrungen, die sie auf einer Reise nach Rojava sammeln konnte. Angeleitet von Fragen was ihr Sohn dort tat und wie er dort behandelt worden sei, habe sie sich auf den Weg gemacht. In Rojava sei sie dann auf eine derart herzliche Willkommenskultur der kurdischen Bevölkerung getroffen, die ihr jegliche Sorge genommen habe.
Und nicht nur dort, sondern auch überall sonst, wo die Mutter auf kurdische Familien traf, habe sie diese liebevolle Annäherung vorgefunden, für die sie tiefsten Dank empfände: „Auch wenn mein Sohn nie wieder zurückkommt, bin ich dankbar, dass er in einer solchen Umgebung war.“ Die Begegnung mit Müttern anderer Gefallener habe ihr auch ein Stück Lebensmut wiedergegeben. Ohne eine gemeinsame Sprache zu haben, allein darüber, sich an den Händen zu halten, konnten sie gegenseitig ihren tiefen Schmerz fühlen. Dass die kurdischen Familien trotz aller Trauer ihre Lebensfreude nicht verlieren, sondern in gemeinsamem Tanz zum Ausdruck brächten, bestärkte Michelle in der Verarbeitung ihrer Trauer.
„Bella ciao“ zum Abschluss
Bevor der Chor abschließend zwei weitere Lieder vortrug, ergriff die Mutter von Şoreş Amanos spontan das Wort und teilte einen Brief seines ehemaligen Kommandanten mit den Anwesenden. In dem Brief wurde er als geduldiger und bedachter junger Mann und als ein geborener Kämpfer beschrieben. In seiner Entscheidung, nicht nach Europa zurückzukehren, obwohl ihm dies jederzeit möglich gewesen wäre, habe sich seine selbstlose Annäherung gezeigt. Obwohl dies die Trauer der Mutter nicht aufwiegen könne, wurde unterstrichen, dass sie allen Grund habe, Stolz für die Taten ihres Sohnes zu empfinden.
Ihren Abschluss fand die Gedenkveranstaltung in stimmungsvoll vorgetragenen kurdischen Liedern von Koma Amargî. Als letztes spielten sie das weltweit bekannte Lied „Bella ciao“, in das alle nach und nach in unterschiedlichen Sprachen einstimmten.