Der irakische Ministerrat für nationale Sicherheit hat die tödlichen Luftangriffe der Türkei auf Şengal verurteilt. In einer am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme des Büros von Ministerpräsident Mustafa al-Kadhimi heißt es: „Der Rat verurteilt die einseitigen Militäraktionen, die gegen die Grundsätze der guten Nachbarschaft verstoßen, und lehnt die Nutzung irakischen Territoriums zur Begleichung von Rechnungen mit irgendeiner Partei ab.” Zuvor hielt der Rat unter der Leitung von al-Kadhimi eine Sitzung ab, bei der die Lage sowie Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit in dem ezidischen Siedlungsgebiet und die Umsetzung des sogenannten Şengal-Abkommens erörtert wurden.
Zehn Tote durch türkische Luftangriffe in zwei Tagen
Am Dienstag sind bei einem Luftschlag der türkischen Luftwaffe auf ein Krankenhaus in Şengal acht Menschen ums Leben gekommen, vier weitere Personen erlitten Verletzungen. Bei den Todesopfern handelt es sich um vier Kämpfer der ezidischen Widerstandseinheiten YBŞ und vier Mitarbeiter:innen des Hospitals. Als Menschen aus der Umgebung den unter den Trümmern Verschütteten zur Hilfe eilen wollten, wurden auch sie aus der Luft attackiert.
In dem durch mehrere Bombardements völlig zerstörten Sikêniyê-Krankenhaus wurden unter anderem Verletzte behandelt, die bei dem gezielten Drohnenangriff vom Montag auf das Fahrzeug des YBŞ-Kommandanten Seîd Hesen (Saeed Hassan) verwundet worden waren. Hesen hatte sich auf dem Weg zu einem persönlichen Treffen mit dem irakischen Ministerpräsidenten befunden, als sein Wagen in einer „koordinierten Aktion“ der türkischen Armee und des Geheimdienstes MIT, wie es in der regierungsnahen Presse heißt, in der Altstadt von Şengal bombardiert wurde. Bei dem Angriff starb auch sein Neffe Îsa Xwedêda, drei weitere Personen wurden verletzt.
YBŞ Teil der irakischen Streitkräfte
Die Klinik war vor einigen Jahren für die ezidische und arabische Bevölkerung der Region eingerichtet worden, diente aber auch den YBŞ. Die ezidischen Widerstandseinheiten haben sich im September 2014 unter dem Eindruck des Genozids der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) an ihrer Gemeinschaft gegründet. Mittlerweile gehören die YBŞ zur 80. Brigade der Volksmobilisierungseinheiten und sind damit Teil der irakischen Streitkräfte. Ankara hält sie für einen Ableger der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und legitimiert mit dieser Behauptung völkerrechtswidrige Angriffe.
Krankenhäuser nach Genfer Konvention unter besonderem Schutz
Krankenhäuser stehen laut Genfer Konvention unter besonderem Schutz. Der Demokratische Autonomierat Şengal (ku. Meclîsa Xweseriya Demokratîk a Şengalê, MXDŞ) sieht in dem Angriff auf die Klinik ein Kriegsverbrechen und erklärte: „Die Bombardierung des Krankenhauses geht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit in die Geschichte ein.” Die Luftschläge der letzten Tage stellten „ein neues Glied in der Kette des Völkermords in Şengal“ dar. Wer dennoch schweige, sei am fortdauernden Genozid beteiligt, so der MXDŞ.
Telefonat zwischen Erdoğan und Kadhimi
Dass die dürftige Erklärung des irakischen Ministerrats nur beschwichtigende Worte enthält und keine Absicht erklärt wird, den Worten auch Taten folgen zu lassen, dürfte daran liegen, dass beide Länder ihre bilateralen Beziehungen stärken wollen. Vergangene Woche hatten Iraks Ministerpräsident al-Kadhimi und der türkische Regimechef Recep Tayyip Erdogan in einem Telefonat vereinbart, ihre Zusammenarbeit in den Bereichen Politik, Sicherheit und Wirtschaft auszuweiten.