Brief von Sawsan Shouman aus dem Libanon

Die libanesische Aktivistin Sawsan Shouman hat für Medya News beschrieben, wie ihr Haus in der Bekaa-Ebene durch einen israelischen Luftangriff zerstört und ihre Tochter schwer verletzt wurde und wie die Menschen im Libanon zur Hisbollah stehen.

Medya News

Vor anderthalb Jahren besuchten drei Frauen aus dem Libanon, Kolumbien und Frankreich als Delegation den Europarat, um sich mit Abgeordneten zu treffen. Jede von ihnen war vom kurdischen Kampf und den Ideen von Abdullah Öcalan inspiriert. Die Autorin und Journalistin Sarah Glynn sprach damals mit ihnen über ihre Beweggründe. Eine der drei Frauen war die libanesische Aktivistin Sawsan Shouman, die erzählte, dass sie Öcalans Ideen mit Frauen aus anderen Ländern des Nahen Ostens über Zoom diskutiert und auch Gruppengespräche in ihrem Haus abhielt. Am Dienstag wurde dieses Haus durch eine israelische Bombe in Schutt und Asche gelegt, Mitglieder ihrer Familie wurden schwer verletzt.

Sarah Glynn hat Sawsan Shouman gefragt, was passiert ist, wie sie auf die Behauptung Israels über ausschließliche Angriffe auf die Hisbollah reagiert, wie die Menschen im Libanon zur Hisbollah stehen, was westliche Aktivist:innen tun können und welche Bedeutung Öcalans Ideen in dieser Situation haben. Ihre Antwort wurde heute im englischsprachigen Nachrichtenportal Medya News veröffentlicht. Wir dokumentieren Ausschnitte aus dem Brief in deutscher Übersetzung:

Wir haben nicht damit gerechnet“

Der Dienstagabend war einer der herausforderndsten Abende, die wir je erlebt haben. Wir erfuhren aus den Medien, dass die israelischen Streitkräfte Luftangriffe in der Bekaa-Ebene planten, die auf Stellungen der Hisbollah abzielten. Abgeschieden in unserem Haus in Sirin, in der Nähe von Baalbek, hatten wir nicht damit gerechnet, ins Kreuzfeuer zu geraten, da wir uns als bloße Zivilpersonen in Sicherheit wähnten – zumal ich Aktivistin in zivilgesellschaftlichen Organisationen bin, die mit keiner politischen Partei in Verbindung stehen.

Plötzlich erschütterte eine gewaltige Explosion die Nacht und die Wände unseres Hauses begannen zu bröckeln. Uns wurde schnell klar, dass unsere Umgebung getroffen worden war, was zu schweren Verletzungen bei meiner Tochter, die draußen betete, sowie bei meinem Sohn in seinem Schlafzimmer und bei meinem Mann, der am Kopf getroffen wurde, führte. Wir stürzten hinaus in das Chaos und schnappten nach Luft inmitten des beißenden Gestanks von Schießpulver.

Meine Tochter wurde mit Verbrennungen am ganzen Körper und einer tiefen Kopfwunde ins Krankenhaus eingeliefert. Auch ihre Lungen waren verletzt, sodass sie nicht richtig atmen konnte. Dennoch mussten wir sie wegen des Mangels an verfügbaren Betten wieder entlassen, da immer mehr schwere Fälle eingeliefert wurden. Wir verließen unser Zuhause, unfähig, in den Ruinen dessen zu bleiben, was einst unser Zufluchtsort gewesen war, der nun halb zerstört war. Wir mussten eine lange Strecke zu Fuß zurücklegen, da die Straßen von den Besatzungstruppen bombardiert worden waren. Wir suchten Zuflucht an einem Ort, von dem wir hofften, dass er sicherer sei, aber auch hier wurden wir Zeugen endloser Massaker – unschuldige Zivilpersonen, die keiner Partei angehörten, fielen dieser Brutalität zum Opfer. Es ist ein Verbrechen, eine so große Grausamkeit, dass man sie mit Worten nicht fassen kann.

Friedliche Lösungen und Verhandlungen?

Die Besatzungstruppen täuschen mit ihren Behauptungen. Tausende Märtyrer sind Zivilpersonen – Frauen und Kinder – unsere Nachbarn, Menschen, die wir gut kennen, deren Identität und Leben uns vertraut sind. Israel ist ein kriminelles und schamloses Gebilde, das unter dem falschen Vorwand, die Macht der Hisbollah zu zerstören, einen Völkermord an Zivilpersonen begeht. Haben sie Kräfte der Hisbollah in meinem Haus gefunden, unter meinen fünf Kindern, die unschuldig spielten, ohne zu wissen, dass ein brutaler Feind lauert, der nicht zwischen einem Kind und einem Kämpfer unterscheiden kann?

Wenn wir die Brutalität dieses Feindes, seine Massaker und die an Zivilpersonen begangenen Gräueltaten mitansehen, werden wir immer entschlossener in dem Glauben, dass friedliche Lösungen und Verhandlungen mit einem solchen Ungeheuer nicht der richtige Weg sein können. Der Weg zum Frieden ist mit einem Feind, der sowohl Leben als auch Land zerstört, weder möglich noch vorstellbar. Diese abscheulichen Taten vertiefen nur die Entschlossenheit der Menschen, die Hisbollah zu unterstützen. (...)

Humanitäre Organisationen sind aufgerufen, die Brutalität der Handlungen dieses Feindes im Libanon und im Gazastreifen, wo die Opfer überwiegend Zivilpersonen sind, zu beleuchten. Wenn diese Organisationen ihre Stimme nicht gegen solche Verstöße erheben – Verstöße, die gegen jede Menschenrechts-Charta und jeden internationalen Standard verstoßen –, welchen Zweck erfüllen sie dann wirklich, wenn sie angesichts solcher Gräueltaten keine sinnvollen Maßnahmen ergreifen?

Inspiriert von Abdullah Öcalan

Abdullah Öcalan widersetzte sich Tyrannei und Unterdrückung und zahlte den Preis dafür mit dem Verlust seiner Freiheit seit 25 Jahren. Es ist kein Geheimnis, dass der israelische Geheimdienst eine Schlüsselrolle bei seiner Festnahme in Kenia spielte. Inspiriert von seinen Ideen des Widerstands gegen Ungerechtigkeit und des Strebens nach Freiheit bekräftigen wir unsere Verurteilung der Brutalität dieses Feindes, dessen Grausamkeit keine Grenzen kennt. Ich komme aus einer Denkschule, die an ein Leben in Freiheit glaubt und sich für die Rolle der Frau einsetzt – Frauen, die sich nun selbst einer beispiellosen Kampagne der Vernichtung und Arroganz gegenübersehen.