Ayesha Khan: Kollektiver Kampf statt Karrierefeminismus

Die Journalistin, freie Autorin und Podcasterin Ayesha Khan verwebt in ihren Texten feministische, antirassistische und migrantische Perspektiven miteinander. Im Interview mit ANF spricht sie über Widerstand, Verantwortung und Solidarität.

„Feminismus ist nicht nur eine Identitätsfrage“

Wo andere sich in Floskeln verlieren, formuliert Ayesha Khan klare Kritik – fundiert, feministisch, antirassistisch. Ayesha Khan ist Journalistin, freie Autorin und Podcasterin – und eine der prägnantesten Stimmen, wenn es darum geht, feministische, antirassistische und migrantische Perspektiven miteinander zu verweben. In ihren Texten und Projekten setzt sie sich unermüdlich für Sichtbarkeit und Gerechtigkeit ein – und legt dabei den Finger immer wieder in die Wunden unserer Gesellschaft: in die Strukturen staatlicher Gewalt, in die blinden Flecken der Erinnerungskultur, in den ihr allzu oft elitären akademischen Feminismus.

Mit scharfem Blick analysiert sie die Kluft zwischen liberalen Gleichstellungsparolen und der gelebten Realität vieler marginalisierter Menschen – und stellt zentrale Fragen: Wer hat Zugang zu feministischen Diskursen? Wem wird zugehört? Und wie lässt sich ein Feminismus denken, der nicht nur inkludiert, sondern wirklich verändert?

Im Gespräch mit Ayesha geht es um migrantische Selbstorganisation, die Verstrickung von rechter Gewalt und Polizei, um das Erinnern jenseits staatlicher Rituale – und um die Kraft eines gelebten, kollektiven Feminismus. Ein Gespräch über Widerstand, Verantwortung und Solidarität.

In deinen Texten sprichst du über migrantische Selbstorganisation – wo siehst du die größten Unterschiede zwischen feministischen Kämpfen im globalen Süden und dem liberalen Feminismus in Europa?

Feministische Kämpfe im globalen Süden sind oft eingebettet in antikoloniale, antikapitalistische und widerständige Bewegungen – sie entstehen aus konkreten Erfahrungen von Armut, Ausbeutung und Gewalt. Im Gegensatz dazu kreist der dominante Feminismus in Europa oft um individuelle Aufstiegschancen innerhalb bestehender Machtverhältnisse.

Während es im globalen Süden um Kollektivität, Überleben und Systemkritik geht, bleibt der europäische Feminismus häufig in einer Mittelschichtsperspektive verhaftet, die Klasse, Rassismus und globale Ungleichheit oft ausblendet. Natürlich kann man dabei nicht verkennen, dass wir europäischen Frauenrechtler:innen sehr viele Freiheiten und Rechte zu verdanken haben. Auch das gehört zur Wahrheit dazu.

Du kritisierst die Akademisierung feministischer Diskurse – wie können wir einen Feminismus fördern, der näher an der Lebensrealität marginalisierter Gruppen ist?

Wenn feministische Diskurse vor allem in akademischen oder aktivistischen Eliten bleiben, verlieren sie den Kontakt zu den Menschen, die tagtäglich patriarchale, rassistische und ökonomische Gewalt erfahren. Feminismus muss eine Sprache sprechen, die auch im Jobcenter, im Taxi, in migrantischen Familien und unter prekären Arbeiter:innen verstanden und weitergetragen werden kann.

Es braucht Räume, in denen nicht akademischer Habitus, sondern gelebte Erfahrung zählt – und wo feministische Praxis auch bedeutet, sich gegenseitig beim Antrag ausfüllen oder Kinderbetreuung zu helfen, oder die nächste Abschiebung zu verhindern.

Wie verbindest du in deiner Arbeit feministische Perspektiven aus dem globalen Süden mit intersektionalen Kämpfen in Deutschland – und was könnten hiesige Aktivist:innen daraus lernen?

Feministische Bewegungen im globalen Süden zeigen, wie eng Kämpfe gegen Sexismus, Rassismus und Klassismus miteinander verwoben sind. In Deutschland gibt es migrantisch-feministische Organisierung, die genau daran anknüpft – zum Beispiel in Care-Kollektiven, antirassistischen Bündnissen oder selbstorganisierten Bildungsräumen. Diese Kämpfe stellen nicht nur patriarchale Verhältnisse infrage, sondern auch kapitalistische Ausbeutung und staatliche Repression. Sie zeigen, dass Feminismus nicht nur eine Identitätsfrage ist, sondern auch eine soziale und ökonomische.

Du hast sehr viel über Hanau geschrieben und bezeichnetest rechte Gewalt als „Normalzustand“ – warum tut sich Deutschland so schwer mit der Anerkennung dieser Realität?

Die deutsche Erinnerungskultur funktioniert stark über Selbstvergewisserung – man stellt sich lieber als aufgearbeitetes Vorzeigeland dar, statt die reale Kontinuität rechter Gewalt zu benennen. Dabei zeigen die NSU-Morde, die Anschläge in Halle und Hanau oder auch der alltägliche Rassismus bei Polizei und Behörden, dass diese Gewalt nicht vom Rand kommt, sondern tief in den Strukturen verankert ist. Das anzuerkennen würde bedeuten, sich vom Mythos der gelungenen Aufarbeitung zu verabschieden – und genau davor schreckt das Land kollektiv zurück.

Welche Bedeutung hat für dich migrantisches Gedenken – vor allem im Vergleich zu staatlicher Erinnerungskultur?

Migrantisches Gedenken ist nicht ritualisiert oder staatlich reguliert – es ist lebendig, politisch und oft schmerzhaft. Es geht darum, Geschichten zurückzuholen, die aus offiziellen Erzählungen gelöscht wurden, und um die Würde derjenigen, deren Leben als weniger wertvoll betrachtet wurde. Im Gegensatz zur staatlichen Erinnerungskultur, die oft Täter anonymisiert oder strukturelle Ursachen ausblendet, benennt migrantisches Gedenken klar, wer Verantwortung trägt – und wer täglich um Anerkennung kämpfen muss.

In deinem Text über Racial Profiling („Mohammed sieht aus wie Ali“) sprichst du über Polizeigewalt – was sind für dich die sichtbarsten Kontinuitäten zwischen rechter Gewalt und rassistischem Polizeihandeln?

Rechte Gewalt und rassistische Polizeipraktiken hängen zusammen – nicht, weil sie identisch wären, sondern weil sie beide Teile eines Systems sind, das Menschen nach Herkunft, Aussehen und sozialem Status sortiert.

Während rassistische Täter oft über Jahre unbehelligt bleiben, erleben viele rassifizierte Menschen permanente Kontrolle, Gewalt oder Kriminalisierung – besonders, wenn sie gleichzeitig prekär leben, arm sind oder keinen sicheren Aufenthaltsstatus haben. Diese Kontinuitäten werden viel zu selten benannt.

Was müsste sich grundlegend an Polizei und Sicherheitsbehörden ändern, damit struktureller Rassismus nicht einfach weiterbesteht?

Es braucht nicht nur Reformen, sondern eine tiefgreifende Umverteilung von Macht und Ressourcen. Polizei und Sicherheitsbehörden müssen transparent kontrolliert werden – und rassistische Strukturen gehören konsequent aufgearbeitet und entwaffnet.

Gleichzeitig muss soziale Sicherheit – also Zugang zu Wohnraum, Gesundheitsversorgung, Bildung und Aufenthaltsrecht – Vorrang vor Repression haben. Solange Armut, Migration und Widerstand kriminalisiert werden, wird struktureller Rassismus in diesen Institutionen weiter bestehen.

Welche feministischen Perspektiven sind für dich zentral in der Kritik an staatlicher Gewalt – gerade im Hinblick auf Polizeireformen?

Ein intersektionaler Feminismus zeigt auf, dass staatliche Gewalt nicht alle gleich betrifft. Frauen, trans Personen, queere Menschen, People of Color, arme oder behinderte oder geflüchtete Menschen erleben Repression oft mehrfach – an den Grenzen, in Heimen, auf Ämtern oder durch die Polizei. Feministische Perspektiven helfen, diese Verwobenheit sichtbar zu machen – und fordern eine radikale Umkehr: von Kontrolle hin zu Fürsorge, von Strafe zu Gerechtigkeit.

Du hast dich mit Hatespeech beschäftigt – was hilft dir persönlich, mit digitaler Gewalt umzugehen?

Digitale Gewalt ist keine virtuelle Nebensache, sondern realer Stress, oft mit psychischen und sozialen Folgen. Aus Worten können auch schnell Taten werden. Was hilft, ist solidarische Vernetzung – mit Menschen, die ähnliche Erfahrungen machen, mit praktischer Unterstützung beim Dokumentieren, Melden, rechtlich Vorgehen. Gleichzeitig braucht es aber auch politische Verantwortung: Plattformen müssen stärker reguliert werden, damit sie Betroffene nicht alleinlassen.

Du bist auch in den Sozialen Medien aktiv – was bringt es, direkt mit Antifeminist:innen in den Diskurs zu gehen, zum Beispiel auf Instagram oder TikTok?

Nicht jede Diskussion ist sinnvoll – viele antifeministische oder rassistische Kommentare sind bewusst destruktiv. Aber sichtbare Gegenrede kann wichtig sein, gerade für jene, die mitlesen und vielleicht zum ersten Mal feministische oder antirassistische Positionen sehen.

Wichtig ist, sich nicht ausbrennen zu lassen – nicht jede*r muss alles beantworten. Manchmal ist Schweigen auch ein Akt der Selbstfürsorge. Andererseits sollten deren „Thesen“ nicht einfach so im Internet stehen dürfen, wir brauchen da viel mehr Bewusstsein für, wie gefährlich das für junge Heranwachsende ist.