An der Technischen Universität in Berlin wird die internationale Frauenkonferenz „Unsere Revolution: Das Leben befreien“ des Netzwerks „Women Weaving Future“ am zweiten Tag fortgesetzt. Der erste Konferenztag wurde mit einem Konzert der kurdischen Musikerin Yalda Abbasi abgeschlossen, viele Frauen tanzten begeistert.
Der zweite Tag der Konferenz wurde den politischen Gefangenen gewidmet. „Wir möchten an alle politischen Gefangenen erinnern. Es gibt viele Frauen, die heute nicht bei uns sein können, weil sie aufgrund ihres Freiheitskampfes inhaftiert sind. Der Preis, den sie dafür zahlen, ist ihre eigene Freiheit“, hieß es in der Begrüßungsansprache.
KJAR: Die Frauen werden die Straßen nicht wieder verlassen
Zu Beginn des Programms wurde ein Video der Gemeinschaft der freien Frauen Ostkurdistans (KJAR) gezeigt, in dem eine KJAR-Vertreterin ihre Überzeugung zum Ausdruck brachte, dass die Revolution in Rojhilat (Ostkurdistan) und Iran erfolgreich sein werde: „Seit 43 Jahren ist ein diktatorische Regime an der Macht, das ist genug. Die Frauen in Iran und Rojhilat mussten wie Sklavinnen in der Gesellschaft leben.“ Das faschistische Regime könne nur von Frauenhand gestürzt werden. Unter anderem mit dem Zwang zum Kopftuch seien Frauen ihrer Freiheit beraubt und systematisch entrechtet worden, führte die KJAR-Vertreterin aus. Es gebe Hunderte von Frauen, die vergewaltigt, ins Gefängnis eingesperrt oder mit Säure angegriffen wurden, aber sie hielten ihren Kopf hoch. Die Frauen seien auf die Barrikaden gegangen und würden die Straßen nicht wieder verlassen. Vor allem die kurdische Bevölkerung setze den Aufstand fort, damit die von der iranischen Sittenpolizei ermordete Kurdin Jina Mahsa Amini nicht vergessen werde. Die Parole „Jin Jiyan Azadî“ (Frau Leben Freiheit) basiere auf dem Erbe des jahrzehntelangen Widerstands in Kurdistan und zerstöre die Ideologie des iranischen Staates. Auch Männer hätten sich dem Protest angeschlossen und sich zusammen mit den Frauen erhoben, um gegen den Staat, in dem sie keine Hoffnung sehen, zu kämpfen. Die KJAR-Vertreterin grüßte die Teilnehmerinnen der Konferenz im Namen der Frauen von Rojhilat und wünschte allen viel Erfolg.
„Von den Balkonen auf die Barrikaden“
Die erste Sitzung am zweiten Tag der Konferenz wurde von Rahila Gupta moderiert, einer freien Journalistin und Aktivistin der Southall Black Sisters aus Großbritannien. Rahila erklärte einleitend, sie habe sich die Leseliste von Abdullah Öcalan angesehen, darunter seien viele feministische Autorinnen wie etwa Judith Butler.
„Wie kann die durch patriarchale Mentalität verursachte Fragmentierung von Klasse, Nationalismus, Religion überwunden werden und wie können wir uns von den Denkstrukturen des männerdominierten Systems unabhängig machen?“, fragte die Moderatorin und erklärte, die Kämpfe von Frauen würden Gefahr laufen, wieder in das System eingegliedert zu werden, wenn nicht ein echtes alternatives Paradigma entwickelt werde - ein Paradigma, das auf intellektueller und theoretischer Kritik beruhe und in der Lage sei, die Grenzen des Systems wirklich zu überwinden.
Der Titel der Sitzung laute „Das Leben, von dem wir träumen, wird nicht durch Wunder kommen, sondern durch die Revolution“ und sei ein Zitat von Abdullah Öcalan. Die Frage der Sitzung sei: „Wie bekommen wir die Frauen von den Balkonen auf die Barrikaden?“ Ein Teil des Erfolges der kurdischen Bewegung beruhe auf der Tatsache, dass die Aktivist:innen von Tür zu Tür gegangen seien, um mit allen darüber zu sprechen, wie die Gesellschaft aussehen solle. Der Bürgerkrieg in Syrien habe in Rojava die richtigen Bedingungen für eine „Revolution in der Revolution“ geschaffen und es sei wichtig zu reflektieren, dass die zweite Welle des Feminismus ein bedeutendes Fundament für Öcalans Arbeiten war.
Frauenrevolution im Sudan
Als erste Referentin sprach Shahida Abdulmunim vom Gender Centre for Research and Training aus dem Sudan. Auch die Revolution in ihrem Land werde von Frauen gemacht, sagte Shahida und führte aus, dass seit 80 Jahren, also seit Beginn der Diktatur im Sudan, Frauen in der ersten Reihe des Widerstandes gestanden haben. In den Jahren 1990-1999 waren fast nur Frauen auf der Straße, sie kämpften gegen das Bashir-Regime und feierten große Erfolge. Auch während des Aufstandes von 2018 seien Frauen vorbereitet gewesen und führten die Kämpfe an. Sie kämpften gegen die toxische Männlichkeit und das Patriarchat, erklärte die Referentin. Sie selbst sei auf der Straße gewesen und eine der Teilnehmerinnen der Revolution, 70 Prozent der Menschen auf der Straße wären Frauen gewesen. Diese Frauen seien aus 50 verschiedenen Gruppen gekommen und mussten sich vereinigen.
Der patriarchale Widerstand und der Staat versuchten diese Bewegung zu schwächen, unter anderem dadurch, dass eine Frau als Repräsentantin der Bewegung bestimmt werden sollte. Drei Frauen wurden dadurch Teil des Kongresses der Regierung, diese waren aber keine Vertreterinnen der Bewegung. Viele Gesetze wurden zum Nachteil der Frauen verändert. Shahida verglich diese Gesetze mit denen Irans. 5000 Frauen seien im Sudan aus politischen Gründen im Gefängnis. Das Regime finanziere sich sogar aus den Strafen, die Frauen zahlen müssten. Ziel des Regimes sei es, die Hälfte der Menschen im Sudan aus dem politischen Leben auszuschließen. Der Hidschab sei ihrer Meinung nach nicht nur ein Tuch, sondern verbiete Frauen die Teilhabe und ihr Leben in der Gesellschaft.
Abschließend sagte Shahida: „Was wir tragen, was wir wollen, wohin wir gehen, ob wir einen Hidschab tragen oder nicht, ist kein religiöses Thema, sondern ein politisches. Wir müssen die Regime in unseren Ländern bekämpfen. Wir kämpfen gegen den Neoliberalismus und das Patriarchat, und wir wollen unsere Länder befreien, um uns zu befreien!“
Die kurdische Bewegung ist eine der stärksten demokratischen Bewegungen in Europa
Die zweite Rednerin war die kurdische Soziologin und Autorin Dr. Dilar Dirik. Zu ihrer eigenen Sozialisation sagte sie, sie sei eine Tochter der Bewegung. „So viele Frauen in diesem Raum haben mich aufgezogen“, erklärte sie und begann ihre Rede mit dem Gedenken an die in Südkurdistan vom türkischen Geheimdienst MIT ermordete Journalistin und Jineolojî-Forscherin Nagihan Akarsel.
Dilar erklärte, man müsse auf der weltweiten Ebene über Fragmentierung sprechen. Auf der
letzten Konferenz sei darüber gesprochen worden, dass Frauenorganisierung zunehme, aber gleichzeitig auch ein Anstieg rassistischer, faschistische Bewegungen stattfinde. Die Trumps, Erdoğans, Bolsonaros seien Ergebnis der faschistischen Bewegungen, sie repräsentierten das nackte Gesicht des kapitalistischen Patriarchats. Den entstehenden Frauenkämpfen werde der Liberalismus aufgedrängt und angesichts der Gewalt der NATO finde ein „Pinkwashing“ statt. Auch die eigenen Bewegungen würden vom Neoliberalismus vereinnahmt und zum Produkt des Kapitalismus gemacht. Das kapitalistische System benutze selbst das Bild der kämpfenden Frauen und versuche, feministische Bewegungen zu vereinnahmen. Dilar fragte: „Welche Art des Widerstands ist erlaubt und welche wird kriminalisiert?“ Dafür sei die kurdische Bewegung ein gutes Beispiel.
Wie zum Beispiel sei es zur Erstarkung und Entwicklung von Daesh, dem sogenannten „Islamischen Staat“ gekommen? Das sei eine wichtige Frage für die Frauenbewegung, damit sich so etwas nicht wiederhole. Hinsichtlich der Fußball-WM in Katar fragte die Referentin, warum niemand darüber spreche, dass die islamistische Al-Nusra-Front durch Katar mitfinanziert werde. Katar sei auch an vorderster Front dabei, die Taliban zu unterstützen.
Weiter führte Dilar Dirik aus, es sei notwendig, aus dem Diskurs auszusteigen, dass die Türkei ein Schurkenstaat sei und aus der NATO ausgeschlossen werden müsse. Die Türkei sei vielmehr ein integraler Bestandteil der NATO. Wissensproduktion dürfe nicht den Staaten überlassen werden. Die deutsche Außenministerin, die sich mit dem Slogan „Jin Jiyan Azadî“ schmücke, unterstütze gleichzeitig aktiv diejenigen Kräfte, die Frauen angriffen. Die Propaganda der westlichen Staaten sei so mächtig, dass viele Menschen nicht einmal wüssten, wie viele Verbrechen die NATO begehe, welche Kriege sie finanziere und welche in ihrem Namen geführt würden. Natürlich sei es immer leichter, Staaten zu kritisieren und zum Feind zu deklarieren, die nicht in der NATO seien.
Dilar erklärte, dass sie kurdische Bewegung auch eine der stärksten demokratischen Bewegungen in Europa sei. Sie sei trotz massiver Kriminalisierung in der Lage, europaweite Proteste in kürzester Zeit zu organisieren. Es sei nicht möglich, die Fragmentierung der Proteste zu verstehen, wenn faschistische Bewegungen nur lokal analysiert würden. Die Frauenbewegungen weltweit sollten sich nicht nur mit den kulturellen Problemen ihrer eigenen Nationen beschäftigen. Vielmehr sei es notwendig, sich zu fragen, wie die Regierung des eigenen Landes in die Schaffung, die Finanzierung und den Aufbau islamistischer, faschistischer Organisationen weltweit involviert sei.
Die Konferenz sei ein gutes Beispiel dafür, dass sich Frauen auch ohne den Staat organisieren könnten - frei und autonom. Abschließend forderte Dilar, dass die Bewegung sich radikalisieren und den Liberalismus überwinden müsse. Ebenso müsse dafür gekämpft werden, dass die eigenen Parolen nicht vom System gestohlen würden. Dafür bekam Dilar Dirik sehr viel Beifall.
Feminismus als Rebellion der ältesten Kolonie
Der zweite Teil der Sitzung stand unter der Überschrift „Feminismus - die Rebellion der ältesten Kolonie und was sich dahinter verbirgt“. Rahila Gupta stellte die Frage: „Welche Rolle und welchen Beitrag hat der Feminismus zum Kampf der Frauen in Vergangenheit und Gegenwart geleistet? Was sind die Ursachen für die Hindernisse, denen der Feminismus ausgesetzt ist? Wie kann der Feminismus eine Anti-System-Haltung einnehmen?“
Die Situation von Frauen im Jemen
Dazu sprach Dr. Anjila al-Maamari vom Zentrum für strategische Studien zur Unterstützung von Frauen und Kindern aus dem Jemen. Sie erklärte, dass der Jemen im Süden der arabischen Halbinsel liege, an der Grenze zu Saudi-Arabien. Das mache den Jemen zu einem geostrategisch wichtigen Ort. Anjila dankte für das Zusammenkommen aller Frauen auf der Konferenz und erklärte, wie schwierig es sei, im Jemen ein- und auszureisen. Die Frauenrevolution werde immer weitergehen. Der Jemen befinde sich seit acht Jahren im Krieg, daher wäre die Situation der Menschenrechte sehr schwierig. 20 Millionen Menschen seien vom Krieg bedroht. Es gäbe vier Millionen Geflüchtete, der größte Teil Kinder und Frauen. Die Problematik des Sexismus sei sehr stark verankert und es sei schwierig, eine Frau im Jemen zu sein. Jede fünfte Frau habe psychische Probleme. Die Frauen führten einen langen sozialen Kampf, um am politischen und sozialen Leben teilnehmen zu können. Es sei klar, das eine Menge Restriktionen für sie gebe.
Die Hälfte der Population des Jemen von 25 Millionen Menschen seien Frauen, im Parlament sei jedoch nur eine einzige Frau vertreten. In den Ministerien seien 30 männliche und nur eine weibliche Vertreterin. Die UN tue nicht genug, obwohl Frauen sehr engagiert seien. Auch auf Friedenskonferenzen wie in Genf seien Frauen unterrepräsentiert. Es gebe keinen politischen Willen des Systems, Frauen in die politische Arena zu bringen. Unter anderem dürften Frauen ohne männliche Begleitung nicht auf die Straße gehen. Auch in den Diskussionen um eine politische Lösung in Stockholm seien keine Frauen anwesend gewesen. Frauen müssten aber präsent sein, wenn Gesetzte entwickelt würden, um Frauen beizustehen. Die aktuelle Regierung wurde im April 2021 gebildet. Es gebe keine einzige Frau in der Regierung, sie sei komplett männlich. Um diesen Umstand unsichtbar zu machen, wurden lediglich ein paar Frauen in Ausschüssen einbestellt. Im Gegensatz zu der Revolution von 1962, in der die meisten Aktiven Männer waren, standen Frauen in der Revolution von 2011 in der ersten Reihe, was eine große Veränderung darstellte.
Argentinien: Ni Una Menos
Als nächstes sprach die Autorin und Aktivistin Marta Dillon von der „Ni Una Menos“-Bewegung aus Argentinien. Zu Beginn ihres Vortrags erklangen im Saal laute Sprechchöre, um Solidarität mit der Bewegung zu zeigen: „Ni una menos - vivas nos queremos!". Marta Dillon stellte in ihrem Vortrag vorweg, dass sie die Liebe verschiedener Kämpferinnen aus Abya Yala mitgebracht habe, die ihr Land jeden Tag gegen den neoliberal-kapitalistischen Extraktivismus verteidigen und dabei der terroristischen Gewalt des Staates ausgesetzt sind. Dabei machte Marta sichtbar, dass von Abya Yala bis Kurdistan überall gekämpft wird und alle revolutionären Frauenkämpfe gegen das kapitalistische Patriarchat weltweit miteinander verbunden sind.
Ni Una Menos entstand 2015, um als intersektionale feministische Bewegung gegen Feminizide die Straßen einzunehmen und patriarchale Gewalt in Verbindung mit Kapitalismus und Kolonialismus sichtbar zu machen. Nur so, sagte Marta Dillon, könne patriarchale Gewalt und ihre endgültigste Form, der Feminizid, richtig in den Blick genommen werden. Die „Ni Una Menos“-Bewegung stellt sich in die Tradition der Mütter der Plaza de Mayo und all der kämpfenden Frauen während der Diktatur in Argentinien und begreift sich damit als Teil eines feministischen Kampfes, der sich auch gegen den staatlichen Terror wendet, der für die Ausbeutung und Unterdrückung von Frauen mit verantwortlich ist. Die Bewegung ist ein Zusammenschluss verschiedener Gruppen und Identitäten, die für das Leben und für die Erinnerung an die Frauen und Transpersonen, die Opfer von Feminiziden geworden sind, auf die Straße gehen. Sie machen sichtbar, dass Feminizide niemals privat sind, sondern immer ein politisches Thema, das alle in der Gesellschaft betrifft. Nachdem diese Bewegung immer größer wurde in Argentinien, aber auch in vielen anderen Ländern, die sich diesem Impuls anschlossen, wurde 2016 von Ni Una Menos zu einem politischen Streik aufgerufen. Der Streik dient dabei als Werkzeug, um die Ausbeutung von Frauen und ihrer Arbeit, ihren Körpern und ihrer Fürsorge sichtbar zumachen. Der Streik verdeutlichte, dass Frauen durch das kapitalistische Patriarchat ihrer Lebenszeit beraubt werden. Diese Lebenszeit holten sich Frauen in autonomer feministischer Organisierung miteinander zurück, sagte Marta Dillon. Die internationale Frauenkonferenz sei ein Beispiel dafür. Der Streik sei ein Mittel, um das Netz zwischen den Kämpfen weiter zu spannen, wozu die kurdische Frauenbewegung mit der Konferenz eingeladen habe. Zum Abschluss fasste Marta Dillon richtungsweisend ihre Forderungen zusammen: Es braucht einen Feminismus, der sich abgrenzt vom konservativen und liberalen Feminismus. Nur mit einem intersektionalen Verständnis des kapitalistischen Patriarchats können Frauen sich befreien. Der patriarchale Staat schuldet Frauen und kolonialisierten Menschen das Leben in Freiheit, auf das sie einen Anspruch haben.
Soziologie der Freiheit und Jineolojî
Die erste Rednerin im dritten Teil der Sitzung unter dem Titel „Soziologie der Freiheit und Jineolojî“ war Elif Kaya vom Jineolojî-Zentrum Europa. Sie erklärte, welche Rolle die Jineolojî bei der Umwandlung der Werte, Erfahrungen und Kenntnisse spielen wird, die aus der Frauenrevolution hervorgehen und in die soziale Kultur einfließen. „Eine intellektuelle Suche auf der Grundlage eines alternativen Paradigmas kann die Werte des Frauenwiderstands zur Grundlage der Revolution machen“, sagte Elif und erinnerte ebenfalls an Nagihan Arkasel, die bis zu ihrer Ermordung im Jineolojî-Zentrum in Silêmanî gearbeitet hat. Elif grüßte die Frauen aus Abya Yala und die politischen Gefangenen und stellte einleitend die Frage: „Was ist der Unterschied zwischen Jineoloji und anderen Feminismen? Welches Paradigma leitet uns?“
Wissenschaftliche Ansätze könnten diese Frage nicht beantworten. Basis sei die Soziologie der Freiheit. Die Revolution fokussiere auf die Veränderung des Sozialen, jede Revolution sei mit der Freiheit verbunden. Nach Revolutionen könnten auch konservativere Wege entstehen, wie zum Beispiel seinerzeit in Iran. Diese Revolution habe nicht die Freiheit zur Basis und daher auch zum Mord an Jina Amini geführt. Soziologie sei im 18. Jahrhundert begründet worden, um die Gesellschaft nach der Industrialisierung zu verstehen, aber es sei eine positivistische Richtung eingeschlagen worden. Diese Wissenschaften seien nicht geeignet, um das Soziale zu verstehen. Metaphysische Aspekte seien ausgeblendet worden. Die Soziologie der Freiheit biete einen Ausweg und mache einen ganzheitlichen Horizont auf. Multipluralität sei dafür die Basis. Eine Verbindung von Soziologie und Geschichte werde wieder hergestellt.
Elif erklärte, dass 2017 in Rojava mit der wissenschaftlichen Arbeit begonnen wurde, die ideologische Basis der Revolution zu erklären. Auf diese Weise arbeite die Jineolojî, zum Beispiel über die Publikation von Büchern. Die positivistische Wissenschaft verberge das Wissen der Frauen, während die Jineoloji dieses Wissen ins Zentrum setze und die Rolle von Frauen und deren Sichtbarkeit herstelle. Die Jineoloji lehne patriarchale Wissensproduktion ab. Die Parole „Jin Jiyan Azadî“ stelle die Verbindung her zwischen dem Wissen und dem Leben der Frauen. „Zu wissen, wer wir sind und wohin wir wollen, bedeutet die Praxis zu entwickeln“, sagte Elif Kaya. Wissenschaft müsse Lösungen zu vorhandenen Problemen erarbeiten. Jineolojî sei eine junge Wissenschaft, die es ermögliche, Frauenperspektiven, aber auch Leidenschaft und Hoffnung darzustellen. Das Konzept Xwebûn („Selbst-Sein“) bedeute, sich mit den Wurzeln des Wissens gegen die eigene Entfremdung zu stellen.
Befreiung der Menschen aus dem Griff des Patriarchats
Als nächste Rednerin sprach die feministische Aktivistin und Philosophieprofessorin Jules Falquet aus Frankreich zu der Frage: „Was verstehen wir unter der Befreiung der Menschen aus dem Griff des Patriarchats? Was bedeutet die Befreiung von geschlechtsspezifischen Formen von Machtbeziehungen und die Definition von Frauen und Männern durch die Überwindung des Geschlechts? Was sind die Bausteine einer Lebensphilosophie, die die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern und umgestalten wird?“
Jules erinnerte an Bertha Cacerés, Rosa Luxemburg und alle anderen ermordeten Revolutionärinnen und erklärte zu ihrem eigenen Lebenslauf, sie sei eher privilegiert, als eine als Frau geborene, weiße Französin, aus einem Land, das der drittgrößte Exporteur von Waffen weltweit sei. Politisch versuche sie gegen Kolonialismus, Sexismus und Kapitalismus zu kämpfen. Sie sehe sich als Feministin und Lesbe im Sinne von Monique Vitti und versuche nicht mehr „Frau“ zu sein, das heißt der Unterdrückung zu entkommen. Sie habe in Abya Yala in Ecuador gelebt, von 1992-94 mit Ex-Guerilleras, als die zapatistische Bewegung aufgestanden sei. Sie habe auch mit einer kurdischen Kämpferin zusammengewohnt und am 1. zapatistischen Kongress teilgenommen, sie habe ein feministische lesbisches Netzwerk mitbegründet. Sie sei Aktivistin, aber interessiere sich sehr für wissenschaftliche Methodik.
Es sei interessant, dass junge und enthusiastische Frauen genauso wie erfahrene Kämpferinnen anwesend seien, darunter viele rassifizierte Frauen. Das sei anders als früher und sage viel darüber aus, welches Wissen generiert würde. Die Kraft der neuen Forderungen liege auch darin. Zu den Kämpfen unter dem Slogan „Jin Jiyan Azadî“ gehöre auch, die Dimension der sozialen Reproduktion anzusehen. Die Frauen und gerade auch die Migrantinnen aus südlichen Ländern seien dafür in Schlüsselpositionen.
Die Konferenz wird fortgesetzt und wird abends enden.