Inhaltlich startete die Konferenz mit einer tiefen Auseinandersetzung mit dem Dritten Weltkrieg sowie dem Widerstand gegen diesen. Konkret ging es um die Bekämpfung gegen das hochgerüstete kapitalistische Patriarchat. Meghan Bodette vom Kurdish Peace Institute moderierte und stellte an die erste Session folgende Fragen: Was kann der revolutionäre Befreiungskampf von Frauen und anderen unterdrückten Geschlechtern in diesem Zeitalter der Pandemien, der Kriege, gewaltsamen Landnahmen und ökologischen Krisen tun? Das unterdrückerische kapitalistische Patriarchat setzt seinen Krieg gegen Frauen und alle anderen unterdrückten Geschlechter fort und entwickelt dabei immer neue Methoden und Strategien, um Frauenwiderstand zu brechen und versucht all die Widersprüche des Systems zu verbergen. Wie setzten sich Frauen und andere unterdrückte Geschlechter weltweit aktuell gegen dieses kapitalistische Patriarchat zur Wehr und was braucht es, damit diese Bewegung an Stärke gewinnt?
Im ersten Teil der Paneldiskussion sprachen Nilüfer Koç, Mitglied des Nationalkongress Kurdistan, und Mariam Rawi von der Revolutionären Vereinigung der Frauen Afghanistans (RAWA) über die staatliche Gewalt gegen die Gesellschaft sowie die Frauen und das Mittel der Unterdrückung - die dominante Männlichkeit.
„Jetzt ist die richtige Zeit, um als Frauen die Zukunft zu gestalten“
Koç betonte, es sei jetzt genau die richtige Zeit, darüber zu sprechen, wie wir als Frauen die Zukunft gestalten sollten. Denn schließlich sei das, was gerade um uns herum passiere, nichts weniger als der Dritte Weltkrieg – selbst die USA, NATO etc. würden hierin übereinstimmen. Doch als Frauen sollte nicht der Fehler begangen werden, Krieg nur militärisch zu denken. Es gebe einen Krieg, der nicht als solcher genannt werde: seit Beginn des Patriarchats sei der Feminizid Krieg und inhärenter Teil des Kapitalismus. Militärische Kriege seien nur Masken, die die Beziehungen und Ursprünge der Probleme verschleiern sollen.
Organisierung, um Kämpfe zu gewinnen
Deshalb sei es so notwendig, Alternativen zu finden in diesem Jahrhundert. Wir als Frauen bräuchten eine eigene Ideologie – die der Befreiung der Frau. Koç rief dazu auf, sich mit den Frauenbewegungen auseinanderzusetzen, die aktiv für Frieden kämpfen. Es brauche gleiche Prinzipien, um zusammenzuarbeiten und einen globalen Zusammenhang von Frauen zu schaffen.
Koç ging im weiteren Verlauf auf die gegenwärtigen Krisen ein, auf die Hegemonialansprüche der Staaten und die resultierenden Kriege und Konkurrenz. Dort werde zusammengearbeitet, um Alternativen zu zerstören, etwa wie im Kampf gegen die kurdische Freiheitsbewegung und die Angriffe auf Kurdistan. In diesem Moment biete sich die Chance, dass Unterdrückte widersprechen und Widerstand leisten. In Iran sei dies gerade wieder sichtbar. Hinter der Parole „Jin, Jiyan, Azadî“ stecke ein jahrzehntelanger Kampf, der zeige: „Sind wir organisiert, können wir Kämpfe gewinnen. In Kurdistan zeigen wir, dass das möglich ist. Es ist Zeit, dass wir als Schwestern Verantwortung für die Zukunft übernehmen. Frauen Leben Freiheit, so werden wir gewinnen.“
„Frauen beweisen, dass sie die Geschichte der Revolution schreiben.“
Mariam Rawi sprach anschließend von Afghanistan als Ort, wo gerade brutalste religiöse Faschisten herrschten. Eindrücklich beschrieb sie die Tragödie, die sich unter dieser islamistisch-fundamentalistischen Mentalität abspiele. Diese sei eine Kraft, die sich gegen Frauen richte, Gräueltaten und Notleiden der Frauen seien an der Tagesordnung unter diesem Regime: Frauen würden nicht als menschliche Wesen anerkannt, sondern zu Gebärmaschinen reduziert werden.
Rawi betonte jedoch auch, dass die Taliban nicht allein seien, sondern verbunden mit den Institutionen der kapitalistischen Staaten, wie der CIA. Sie gab einen kurzen Abriss über die Historie dieser Zusammenarbeit. So wurden etwa „Frauenrechte“ zur Legitimation der Intervention nach 2001 genutzt, doch auch wenn heute vom Scheitern dieser gesprochen werde, verlief tatsächlich doch alles nach imperialistischem Plan. Das Land stehe heute vor dem Zusammenbruch, dennoch führten die westlichen Regierungen Beziehungen mit den Taliban: strategische Interessen seien weitaus wichtiger als das Schicksal der afghanischen Frauen und Männer.
Doch die Menschen hätten auch gelernt: Werte würden sich nur von den Unterdrückten selbst erkämpfen lassen – und dann werden sie auch nicht mehr zu nehmen sein. Sie ging auf die Arbeit von RAWA ein: Seit mehr als 40 Jahren leisteten sie die Aufklärung von Ungerechtigkeiten und die klandestine Organisierung von Frauen. Für ihre Arbeit wurde die Organisation kürzlich mit dem Sakine-Cansiz-Preis ausgezeichnet. „Darüber haben wir uns sehr gefreut.“
Rawi schloss mit den Worten: „Wir hoffen, dass das Netzwerk der Solidarität immer stärker wird. Wir schwören beim Blut der kämpfenden Frauen, ihren Weg weiter fortzusetzen. Frauen beweisen, dass sie die Geschichte der Revolution schreiben.“
Ökozid: Überwindung von Herrschaft, Enteignung, Unterdrückung
Der zweite Teil am Vormittag widmete sich der Zerstörung der Natur und trug den Titel „Ökozid: Überwindung von Herrschaft, Enteignung, Unterdrückung: die Unterordnung und Kolonisierung der Natur und die rücksichtslose Aneignung und Ausbeutung von Ressourcen“. Hier referierten Lolita Chavez von Feministas Abya Yala aus Guatemala und Ariel Salleh, Soziologin und Ökofeministin aus Australien.
Von Abya Yala bis nach Kurdistan
Chavez startete ihren Beitrag mit dem Entzünden eines Feuers und sprach Worte der Dankbarkeit für die Erde, den Kosmos: „Das ist unser Feuer, unser feministisches Feuer, aus Abya Yala bis nach Kurdistan.“ Sie positionierte sich gegen den Krieg in Kurdistan und den Einsatz chemischer Waffen, da sie Verteidigerinnen des Lebens seien.
Sie berichtete von der Besatzung der indigenen Territorien, von der Ausbeutung und der Gewalt krimineller Netzwerke und terrorisierenden Strukturen. Dabei betonte sie, dass diese auch von Europa und ihren Institutionen finanziert werden würden: „Wir sind hier, und sagen euch in die Augen: Ihr seid Teil davon.“ Sie sprach vom Krieg, welchen die extraktivistischen Firmen gegen sie führen würden, weil sie ihnen ihre Welten entgegenhalten würden, Alternativen, die auf ihren Territorien möglich seien.
„Stoppt die transnationalen Unternehmen, wo sie entstehen“
Auch klagte sie Feminizide an und forderte Gerechtigkeit. Als Feministinnen aus Abya Yala würden sie zusammenarbeiten, an Autonomie und Selbstbestimmung weben, aber auch ihre Weisheit weitergeben. „Wir schämen uns nicht, wenn sie sagen, dass wir Hexen sind. Wir stehen zu unserer Spiritualität. Wir sind gegen Ideologismen, denn in unseren Territorien entscheiden wir.“
Chavez beendete ihren Beitrag zwei Aufrufen. Zum einen sei nun keine Zeit mehr, das wichtige Vorhaben weiter hinauszuzögern: „Bilden wir diese feministischen Netzwerke und weben Feminismen von unten!“ Zum anderen forderte sie: „Stoppt die transnationalen Unternehmen dort, wo sie entstehen! Extraktivistische Unternehmen sind die falsche Antwort auf die globale Erwärmung. Und wir werden sie aufhalten!“
Das dualistische Denken überwinden
Ariel Salleh ging zu Beginn ihres Beitrags auf die Revolution von Rojava ein und bezeichnete sie als ökofeministisch. Sie betonte, Feminismus und Ökologie bezeichnen einen gemeinsamen Kampf und sind miteinander verwoben. Sie forderte, den Kampf gegen die Aufrechterhaltung der konstruierten Dualismen und damit verbundenen dissoziativen Verknüpfungen zu führen. Denn das geschaffene dualistische Denken, etwa zwischen Mensch und Natur und damit verknüpft von Mann und Frau, schränke nicht nur unsere Möglichkeiten ein, sondern führe auch negative Konsequenzen mit sich, z.B. indem eine Seite als minderwertig dargestellt wird oder dem Kolonialismus die Türen öffne. Menschheit, Vernunft, Produktion würden Natur, Chaos, Reproduktion diametral entgegengestellt und diese dominieren. Diese Hierarchie sei im Patriarchat institutionalisiert. Um die männliche Herrschaft aufrecht zu erhalten, werde viel Energie gebraucht, dies bedeute Entfremdung vom Leben selbst. Ökofeminstinnen wüssten um diesen Zusammenhang mit Gewalt gegen Frauen, und dies sei auch Abdullah Öcalan bewusst gewesen. Zum Abschluss ging sie auf erfolgreiche ökofeministische Kämpfe ein und betonte ihre Solidarität.
„Unsichtbare Arbeit sichtbar machen“
Die erste Session abschließend, fokussierte sich der dritte Teil auf „Unsichtbare Arbeit sichtbar machen: Das Überleben des Systems basiert auf der schlechten und unbezahlten Arbeit von Frauen.“ Dabei ging es um die Frage: Wie können wir unseren Klassenkampf auf das Prinzip der Frauenbefreiung stützen, um die Grundlagen der kapitalistischen Ausbeutung zu bekämpfen? Frauen in Klassenkämpfen haben eine Sichtweise entwickelt, nach der die Klassenhierarchie und der Staat auf der Ausbeutung des Körpers und der Leistungen von Frauen aufgebaut sind. Unter den gegenwärtigen kapitalistischen Bedingungen wird die Arbeit der Frauen noch stärker ausgebeutet und noch unsichtbarer gemacht.
Das System abschaffen, nicht den Menschen
Genevieve Vaughan, italoamerikanische Friedensaktivistin, Feministin und Philanthropin, machte in ihrem Vortrag deutlich, dass die kapitalistische Ökonomie der letzten Jahrhunderte grundlegend abgeschafft werden müsse. Um eine radikale Veränderung des Wirtschaftssystems voranzutreiben, müssten wir die unbezahlte Arbeit als Standard des Systems verstehen und die bezahlte Arbeit als seine Abweichung. Nur so könnten wir erkennen, wie die Körper von Frauen ausgebeutet werden im kapitalistischen Patriarchat. „Die Menschen sind die einzige Spezies, die sich nicht selbst erhalten kann, sondern nur mit der Fürsorge füreinander am Leben bleibt.“ Die mütterliche Gabe sei in der kapitalistischen Ökonomie unsichtbar. Diese Gabe schließe das Schaffen des Lebens und die Fürsorge mit ein.
Misogynie hat in der Geschichte Frauen immer aus der Wissenschaft ferngehalten und damit wurde die Grundlage geschaffen, dass immer Modelle entwickelt wurden, die Leerstellen in ihrer Analyse hätten. Uns müsse bewusstwerden, dass wir nicht möchten, dass das System überlebt, sondern unsere Spezies Mensch. Und unsere Spezies bestehe aus dem Menschen, der weder Homo Oeconomicus, also profitorientiert, noch Homo Sapiens, also wissend, sei, denn wir würden nicht wissen, wer wir sind. Der Mensch sei ein Homo Donando, ein gebender Mensch.
Echte Sicherheit kommt nicht vom kapitalistischen Patriarchat
„Azadi heißt Freiheit auf vielen Sprachen“ – mit diesen Worten begann Kavita Krishnan, feministische Aktivistin der All India Progressive Women’s Association ihren Beitrag. Sie machte klar, dass im Patriarchat das Wort Sicherheit als Code verwendet werde für Kontrolle und Ausbeutung von Frauen. Um diese Situation im System zu verdeutlichen, ging Krishnan auf verschiedene Beispiele aus Indien und China ein, um diese Verschiebung der Begriffe zu verdeutlichen, als Strategie um Frauen zu unterdrücken. In einem Beispiel ging sie auf die Situationen von jungen Frauen ein, die angeworben würden, um in Fabriken multinationaler Konzerne zu arbeiten. Die Manager würden den Familien versprechen, ihre Töchter in Sicherheit arbeiten zu lassen, während ihr Lohn ihnen erst nach drei Jahren ausgezahlt werde. Sogar ihre Handys würden ihnen zum Teil weggenommen. Dabei stellte Krishnan die Frage, um welche Sicherheit es eigentlich geht. Die Sicherheit, um die es gehen müsste, sei eine, die Schutz vor den Arbeitgebern geben müsste. Der Arbeitgeber aber wird zum Verbündeten der Familie, indem er durch das de facto Einschränken der Freiheit von Frauen verhindert, dass diese etwa mit Männern außerhalb ihrer Kaste Beziehungen eingehen, sich organisieren etc.
Krishnan betonte, wie wichtig es für feministische Solidarität sei, kritisch mit vermeintlich antiimperialistischen Regimen zu sein. Wir dürfen nicht die Augen verschließen, nur weil Regime behaupten, gegen die USA zu sein. Dieselben Regime würden Kämpfe von LGBT und Feminismus als westliche Werte verstehen, die zu bekämpfen seien.
Die erste Session endete mit einer engagierten Fragerunde und vielen kraftvollen Ausdrücken. Immer wieder kam es zu Parolen und Beifall der Zuhörer:innen.