Songül Karabulut: „Wir werden uns nicht mit einer Systemanalyse begnügen“

Die Frauenrevolution ist die treibende Kraft, um sich gegen das System der kapitalistischen Moderne zu stellen und das Leben gerechter, freier, ökologischer und demokratischer zu gestalten, erklärt Songül Karabulut.

Das Netzwerk Women Weaving the Future organisiert an diesem Wochenende die 2. Internationale Frauenkonferenz unter dem Motto „Unsere Revolution: Das Leben befreien“, die mit fast 800 teilnehmenden Frauen aus 41 Ländern an der Technischen Universität Berlin stattfinden wird. Songül Karabulut, Mitglied des Vorbereitungskomitees, sprach mit ANF über den Stand der Vorbereitungen und die Inhalte der Konferenz.


Wie weit sind Ihre Vorbereitungen?

Unsere Vorbereitungen sind quasi abgeschlossen. Da wir eine große Anzahl von Teilnehmerinnen erwarten, beginnen wir mit der Registrierung für diejenigen, die bereits in der Stadt sind, schon am Freitag. Heute werden wir auch die Installation der Sprachkabinen in der Universität abschließen, denn es wird eine Simultanübersetzung in acht Sprachen geben. Die technische Ausrüstung wird heute fertiggestellt und alles Notwendige transportiert. Am Samstag werden wir bereits ab 6.00 Uhr vor Ort sein und um 9.00 Uhr wird unsere Konferenz beginnen.

Warum wurde das Motto „Unsere Revolution: Das Leben befreien gewählt?

Wir legen damit unseren philosophischen Ansatz offen. Für uns bedeuten Frauenbefreiung und die Frauenrevolution die Befreiung des Lebens im Allgemeinen. Als wir diese Konferenz planten, gab es noch keinen von Frauen geführten Volksaufstand im Iran. „Jin Jiyan Azadî“ machte dort den Slogan unserer Konferenz weltweit sichtbar. Wir sind der Meinung, dass die Frauenrevolution eine wichtige Kraft ist, um das Leben gerechter, freier, ökologischer und demokratischer zu gestalten und dem System der kapitalistischen Moderne entgegenzutreten. Wir glauben, dass die Frauenrevolution, die Frauenbefreiung, die treibende Kraft bei der Lösung aller Probleme der kapitalistischen Moderne ist. Wir haben das Motto gewählt, weil die Emanzipation der Frauen gegen das bestehende Ausbeutungssystem natürlich die Emanzipation des Lebens bedeutet.

Wie Sie wissen, haben wir als kurdische Frauenbewegung das 21. Jahrhundert im Einklang mit den Prognosen Rêber Apos [Abdullah Öcalan] zum Jahrhundert der Frauen erklärt. Wir befinden uns im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts und sehen Tag für Tag den Fortschritt. Wir sehen und erleben täglich Frauenaufstände, die überall ausgebrochen sind. Die aktuellen Entwicklungen bestätigen, dass unser Slogan stimmig ist und dem Zeitgeist entspricht, nicht nur theoretisch und philosophisch.

Im Vergleich zu 2018, als die erste Konferenz organisiert wurde, unter welchen Bedingungen findet diese Konferenz statt?

Auf jeden Fall gab es 2018 sehr ernsthafte, von Frauen angeführte Aufstände in der ganzen Welt. Mit der Forderung nach mehr Frauenrechten gingen zum Beispiel in Lateinamerika Millionen von Frauen gegen das Abtreibungsverbot auf die Straße. Gewalt gegen Frauen war ein sehr grundlegendes Thema. Frauen besetzten die Straßen. Im Nahen Osten hatten die Frauenrevolution von Rojava und die Selbstverteidigung der Frauen unter der Führung der kurdischen Frauenbewegung einen sehr großen Einfluss auf die Welt. Dann kam die weltweite Pandemie, die sich auch auf den Kampf von Frauen negativ auswirkte. Jetzt hat der Dritte Weltkrieg die Grenzen Europas erreicht. Mit dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine werden die Widersprüche immer tiefer. Der Druck durch die Systeme nimmt zu, das heißt, der Druck der kapitalistischen Moderne und der Nationalstaaten auf die Menschen wird immer stärker.

Afghanistan ist für uns sehr wichtig. Afghanistan wurde von den USA an die Taliban übergeben. Das erste, was sie taten, war, Frauen wieder zu unterdrücken, sie aus allen Lebensbereichen auszuschließen. Aber trotz all dieser Unterdrückung leisten die afghanischen Frauen weiterhin Widerstand. Dabei seien sie von der kurdischen Frauenbewegung inspiriert und geistig genährt worden.

Jetzt gibt es eine ähnliche Situation im Iran. Unter der Führung von Frauen ist der Slogan „Jin Jiyan Azadî" wieder sehr präsent geworden. Ich möchte sagen, dass der Kampf, den die Frauen begonnen haben, allmählich zu einem gesellschaftlichen Kampf wird. Nun bringen sehr unterschiedliche Teile der Gesellschaft – Glaubensgemeinschaften, ethnische Gruppen, verschiedene sexuelle Orientierungen, unterschiedliche Altersgruppen – mit diesem Slogan zum Ausdruck, dass sie ihre Freiheit in der Freiheit der Frauen sehen. In diesem Sinne ist die Verwirklichung des vorausgesagten Jahrhunderts der Frauenrevolution im Jahr 2022 deutlicher erkennbarer als 2018. Insofern werden wir uns nicht nur mit einer Systemanalyse begnügen, sondern auch darüber diskutieren, wie wir aus dieser Situation herauskommen, wie wir unserer Verantwortung besser gerecht werden können und wie wir die notwendigen Mittel zur Organisierung und zum Kampf schaffen können. Wir werden diskutieren, wie wir eine gemeinsame Mentalität, eine gemeinsame Perspektive, gemeinsame Gefühle und eine gemeinsame Verstärkung entwickeln können, die dem Prozess gerecht wird, den wir gerade durchlaufen.

Wie können Menschen, die nicht an der Konferenz teilnehmen können, diese verfolgen?

Verschiedene Sender von Jin TV bis Stêrk TV werden unsere Konferenz live übertragen. Darüber hinaus werden wir auch live im Internet streamen. Wir möchten, dass alle diese Konferenz verfolgen können. Wir leben im Internetzeitalter, Entfernungen sind kein Hindernis mehr. Wir können als Frauen unseren Geist überall auf der Welt vereinen und die Spannung der Konferenz gemeinsam erleben.

Der Livestream auf Zoom (Meeting ID: 84741991460) kann mit dem Passwort 841626 verfolgt werden.