Xelîl: Wir organisieren uns für die Befreiung von Efrîn

Der PYD-Politiker Aldar Xelîl betont, die Besetzung von Efrîn sei „eine Wunde“ und werde nicht von der Tagesordnung genommen. „Wir organisieren uns und arbeiten für die Befreiung.“

Am 18. März 2018 wurde der Kanton Efrîn in Rojava von der Türkei und ihrer dschihadistischen Soldateska besetzt. Seitdem herrscht in der Region ein Schreckensregime von Vertreibung, Verschleppung und Folter. Aber auch der Widerstand geht weiter. Im ANF-Interview beschreibt Aldar Xelîl vom Ko-Vorstandsrat der Partei der Demokratischen Einheit (PYD) die Befreiung der besetzten Gebiete als „historische Aufgabe“ und notwendige Voraussetzung für eine Lösung der Syrienkrise.


Das fünfte Jahr der Besetzung von Efrîn beginnt. Wird die Okkupation andauern?

Ich sage voller Trauer, dass das vierte Jahr der Besatzung von Efrîn vorbei ist und die Region bis jetzt nicht befreit wurde. Efrîn ist eine Wunde, die sich immer auf unserer Agenda befindet. Wir planen, arbeiten und organisieren uns, um Efrîn zu befreien. Der Feind drang in viele Teile Syriens ein, darunter Efrîn, Serêkaniyê, Girê Spî, Idlib, Cerablus, Ezaz und al-Bab. Jedes Mal, wenn er eine Gelegenheit wittert, dann besetzt er neue Gebiete.

Was passiert in Efrîn, wie ist die aktuelle Lage?

Es ist deutlich geworden, dass in den besetzten Gebieten auf die Vernichtung des kurdischen Volkes und seiner demokratischen Kultur abgezielt wird. Die besetzten Gebiete werden in militärische Ausbildungslager umgewandelt, in denen Söldner trainiert und in die ganze Welt entsandt werden. In diesen Gebieten werden Gräueltaten begangen. Es wird eine Politik der Vernichtung verfolgt, die darauf abzielt, die Kultur unseres Volkes zu zerstören, seine Identität  und die Demografie der Regionzu verändern.

Die Menschen in Efrîn leisten seit vier Jahren unter schwersten Bedingungen Widerstand gegen die Besatzung. Wie betrachten Sie den Widerstand? Haben Sie eine Botschaft an die Menschen aus Efrîn?

Unser Volk leistet Widerstand und hat sich nicht weit von den besetzten Städten entfernt. Die Menschen sind immer in der Nähe geblieben, um den Freiheitskampf zu unterstützen. Insbesondere grüße ich die Menschen aus Efrîn in Şehba. Angesichts ihres Widerstandes fehlen einem die Worte. Seit vier Jahren leben sie unter schwierigsten und härtesten Bedingungen in Aleppo und Şehba. Unser Volk aus Serêkaniyê und Girê Spî, die Menschen in den Flüchtlingslagern, wie auch diejenigen, die in den besetzten Gebieten geblieben sind, leben unter schwersten Bedingungen. Dieser Geist ist ein Ausdruck des Widerstands und der Liebe und Verbundenheit mit dem Land. Dieser Widerstand muss wertgeschätzt und gestärkt werden. Alle sollten diese Haltung an den Tag legen. Wir stehen vor einer historischen Aufgabe. Ohne die besetzten Gebiete zu befreien, können wir nicht von Erfolgen der Revolution sprechen.

Die Syrienkrise ist jetzt in ihrem zwölften Jahr. Geht es dabei nur um Syrien? Was ist der Grund, warum das Problem in elf Jahren nicht gelöst werden konnte, und gibt es eine Lösung am Horizont?

Solange der türkische Staat auch nur einen Zentimeter Boden besetzt hält, ist es nicht möglich, von einer Lösung der Syrienkrise und dem Erfolg der Revolution zu sprechen. Zuallererst muss der türkische Staat Syrien verlassen. Die besetzten Gebiete müssen befreit werden – wir müssen sie befreien. Dafür muss unser Volk, unsere Gesellschaft insgesamt, auf die Befreiung und ein Leben in Würde bestehen und den Kampf ausweiten.

Die Syrienkrise ist kein Problem, das nur Syrien betrifft. Es ist nicht nur ein Problem zwischen dem Regime und den Völkern Syriens. Es wurde zu einer internationalen Frage. Die aktuelle globale Krise wird nun auch ihre Auswirkungen in Syrien haben. Was in Afghanistan geschah, hat sich ausgewirkt, ebenso werden es die Geschehnisse in der Ukraine tun. Vor allem Russland steht seit Jahren an der Seite des Regimes und verteidigt es. Jetzt ist Russland auch im Krieg.

Wir haben bereits mehrfach das, was in Syrien geschieht, als dritten Weltkrieg beschrieben. Jetzt findet dieser Krieg in der Ukraine statt. Er geht aber auch in Syrien weiter. Für eine Lösung der Syrienkrise gibt es nicht einmal am Horizont einen Funken der Hoffnung. Alle Gespräche sind eingestellt. Das beweist, dass die Syrienkrise nicht auf Syrien beschränkt ist. Sie hängt von den Entwicklungen in anderen Regionen ab. Es sieht so aus, dass dies so bleiben wird, bis sich die Situation in der Ukraine und der Region insgesamt etwas geklärt hat. Dann wird eventuell die Situation in Syrien erneut auf die Tagesordnung kommen. Im Moment ist alles blockiert.

Was sind die Folgen des Kriegs in der Ukraine für Syrien und die Region?

Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine betrifft nicht nur Syrien oder Rojava / Nord- und Ostsyrien. Er hat Auswirkungen auf die ganze Welt. Er wird uns zweifellos auch betreffen. Es gibt zwischen den Hegemonialmächten deutliche Widersprüche und Probleme. Diese Widersprüche zeigen sich in den Kämpfen, Krisen und Kriegen. Wenn es so weitergeht, wird dies Auswirkungen auf diplomatischer, politischer und ökonomischer Ebene haben und das Leben in jedem Sinne beeinflussen. Es sieht so aus, als würden sich die Auswirkungen immer weiter vertiefen.

Was ist der aktuelle Stand der Beziehungen zwischen Rojava und Damaskus?

Für eine vollständige Lösung der Rojava- und Syrien-Frage sind Verhandlungen und ein Dialog zwischen der Selbstverwaltung von Nordostsyrien und Damaskus notwendig. Bisher gab es einige Bestrebungen, aber es wurden keine ernsthaften Schritte unternommen. Obwohl es zwischen uns und Damaskus keinen Krieg auf dem Niveau des Ukraine-Krieges gibt, finden keine Treffen statt. Entweder traut sich Damaskus nicht oder das Regime wird bedroht. Sicherlich liegt das nicht nur an einem Faktor. Alle müssen sich darauf einigen, einen Dialog für ein demokratisches und friedliches Syrien zu entwickeln. Wir wollen einen Dialog mit Damaskus beginnen. Wir senden Nachrichten und Briefe nach Damaskus, um einen Prozess in Gang zu bringen und Syrien aus dieser Krise zu retten. Gemeinsam können wir die bestehenden Probleme lösen und ein demokratisches Syrien schaffen. Bisher wurden keine konkreten Schritte für die Zukunft unternommen. Wir werden unsere Bemühungen fortsetzen, bis wir ein Ergebnis erzielen.

Welche Auswirkungen haben die politischen und militärischen Positionen der USA und Russlands in der Region und was kann in dieser Hinsicht getan werden?

Es gibt jetzt Widersprüche und Probleme zwischen diesen Kräften sowohl in dieser Region als auch in anderen. Das System befindet sich weltweit in einer Krise. Es gibt wirtschaftliche, politische und militärische Machtkämpfe. Es gibt Widersprüche, aber es gibt auch Dinge, in denen sich die Mächte einig sind. So wie sich die Systemkrise vertieft, wirkt sie sich auf Gesellschaften und unterdrückte Völker aus.

Wir Kurden und alle Völker der Region sind von der Krise und dem Krieg betroffen. So viele Lösungsmodelle auch entwickelt werden, keine dieser Kräfte hat irgendeinen Schritt in diese Richtung unternommen. Sie führen untereinander einen Krieg um die Hegemonie. Dieser Krieg wird manchmal diplomatisch, manchmal militärisch geführt. Unsere Gesellschaft sollte sich auf der Grundlage der Idee einer demokratischen Gesellschaft organisieren, um dort nicht mit hineingezogen zu werden.