Nazım Daştan von der Nachrichtenagentur Mezopotamya hebt in einer Analyse zu den aktuellen Bestrebungen der Türkei in Nordsyrien hervor, dass Ankara in Gesprächen mit den USA und Europa langfristig die Teilung Syriens und die Übergabe der Grenzregion an die Muslimbruderschaft anstrebe.
Mit den Angriffen der Türkei auf Nord- und Ostsyrien trat der syrische Bürgerkrieg in eine neue Phase ein und es werden neue Machtverhältnisse geschaffen. Damit einher geht ein neues Kalkül der beteiligten Staaten. So griff die Türkei Nord- und Ostsyrien mit Erlaubnis der USA und Russlands an und trifft sich mit dem Assad-Regime, um über die Liquidierung der demokratisch-autonomen Selbstverwaltung zu verhandeln. Die Türkei möchte auch die Muslimbruderschaft mit an den Verhandlungstisch mit dem Regime bringen.
Der Angriff der Türkei führte zu gravierenden Veränderungen
Mit dem Einmarsch der Türkei in Städten wie Girê Spî (Tall Abyad) und Serêkaniyê (Ras al-Ain) erreichte der Syrienkrieg einen neuen Punkt. Weiteres Ziel der fortgesetzten Angriffe sind nun Til Temir und Ain Issa. Durch die Angriffe mit Erlaubnis der internationalen Mächte wird unter anderem das Assad-Regime gestärkt. Entlang der türkischen Grenze wurden an manchen Stellen militärische Kontrollpunkte errichtet.
Die syrische „Opposition“ wird nach Libyen geschickt
Die Idlib-Operation vermischt sich immer mehr mit dem Libyenkrieg. Alle Kräfte sind bemüht, ihre Position zu stärken. Truppen der von der Türkei und manchen anderen internationalen Mächten kontrollierten „syrischen Opposition“ aus sogenannter FSA, SNA und HTS wurden bereits nach Tripolis in Libyen verlegt. Die geplante Entsendung von türkischen Truppen in die Region ist nicht unabhängig von den Plänen der Türkei in Nord- und Ostsyrien zu betrachten. Die Türkei versucht mit Deals entlang der Achse Libyen, Iblib, Nord- und Ostsyrien ihre Interessen durchzusetzen.
Pläne mit der Muslimbruderschaft
Die Türkei hat sich mit Russland und einigen sich in Idlib befindlichen Gruppen über eine Verlegung dieser nach Libyen geeinigt und versucht nun, die Grenzregion Syriens vollständig unter die Kontrolle der Muslimbrüder zu bringen. Die Türkei führt mit dieser Absicht Treffen mit dem syrischen Regime und Russland durch und versucht eine Teilnahme der Muslimbruderschaft an den Gesprächen durchzusetzen. Seit der Unabhängigkeit Syriens im Jahr 1947 herrschte zwischen dem Regime und den Muslimbrüdern ein heftiger Konflikt. In den 80er Jahren eskalierte die Auseinandersetzung zwischen Muslimbrüdern und Regime und die Baathisten töteten Tausende der Islamisten und ihre Angehörigen. Der Konflikt zwischen Muslimbruderschaft und Regime eskalierte mit türkischer Unterstützung im Jahr 2011 mit Beginn des Bürgerkriegs erneut.
Die Grenze soll der Muslimbruderschaft unterstehen
Wie schon zuvor stellt die AKP-Regierung die größte Unterstützerin der Muslimbruderschaft in Syrien, aber auch im gesamten Mittelmeerraum dar. Die türkische Regierung versucht, ihre eigenen neoosmanischen Interessen über die Muslimbruderschaft durchzusetzen und gemeinsam mit Katar den saudiarabischen Einfluss im Mittleren Osten zurückzudrängen. In Syrien benutzt die türkische Regierung salafistische Gruppen aus diesem Kontext für ihre Interessen im Krieg gegen die demokratische Selbstverwaltung Nordsyriens. Nun versucht die Türkei eine Einigung mit dem Regime auf Grundlage der Kurdenfeindschaft herbeizuführen und benutzt dafür auch genau diese Gruppen. Die Türkei eröffnete diesen Gruppen ein Gebiet, das von Efrîn über Azaz und Cerablus bis nach Serêkaniyê reicht. Die Türkei zielt aber darauf ab, Kobanê, Dirbesîyê, Amûdê, Qamişlo und Dêrik ebenfalls von diesen Gruppen besetzen zu lassen und so einen salafistischen Gürtel zu schaffen.
Fehlende Unterstützung
Die Türkei versucht diesen Plan auf allen diplomatischen und politischen Wegen gegenüber Europa und Russland durchzusetzen. Das AKP-Regime trifft sich sogar mit der baathistischen Regierung Syriens, die es jahrelang zum Erzfeind erklärt hatte, um gemeinsam mit ihm gegen die Kurden vorzugehen. Dennoch hatten diese Gespräche bisher keinen Erfolg und die Türkei konnte auf internationaler Ebene keine Unterstützung für ihren Plan gewinnen. Daher versucht sie, die Widersprüche zwischen der NATO und den USA zu nutzen, um ihre Interessen durchzusetzen.
Syrien wird geteilt
Das syrische Regime geht mit einem traditionellen zentralistischen, autoritären und arabisch-monistischen Selbstverständnis vor und trifft sich an Stelle der Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien mit der türkischen Regierung. Auch wenn die Türkei bisher keinen Erfolg hatte, so besteht sie doch auf Durchsetzung ihres Siedlungsplans. Dieser Plan bedeutet jedoch nichts weiter als die Teilung Syriens. Das dürfte auch der syrischen Regierung bewusst sein. Außerdem könnten diese Gruppen dadurch an Kraft gewinnen und für das syrische Regime noch gefährlicher werden. Manche Kräfte beschreiben diesen Plan als langfristigen Weg, um das Regime zu stürzen.