TEV-DEM: Der Ort für eine Lösung ist Qamişlo
In Rojava laufen seit Beginn des Jahres Gespräche mit dem ENKS über die Entstehung einer kurdischen Einheit. Xerîb Hiso (TEV-DEM) erläutert, was diese Gespräche so schwierig macht.
In Rojava laufen seit Beginn des Jahres Gespräche mit dem ENKS über die Entstehung einer kurdischen Einheit. Xerîb Hiso (TEV-DEM) erläutert, was diese Gespräche so schwierig macht.
Nachdem in Rojava die Gespräche mit dem „Kurdischen Nationalrat“ (ENKS) begonnen haben, ist der Dialog mit Damaskus abgebrochen worden. Das teilt Xerîb Hiso, Ko-Vorsitzender des Exekutivrats der Bewegung für eine demokratische Gesellschaft (TEV-DEM), gegenüber ANF mit. Ausschlaggebend dafür sei die Beziehung des ENKS mit der Türkei gewesen.
Die Anfang des Jahres aufgenommenen Gespräche zwischen dem Zusammenschluss „Parteien der geeinten Nation Kurdistan“ (PYNK) und dem ENKS über eine kurdische Einheit sind ins Stocken geraten, weil letzterer sich gegen kurdischsprachigen Unterricht, das genderparitätische System der Doppelspitze und die Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien stellt. Eine Abordnung des ENKS war vergangene Woche erneut für Gespräche mit türkischen Vertretern in Ankara. Das verstärkt das Misstrauen in der Bevölkerung.
Xerîb Hiso verweist darauf, dass die Gespräche über eine kurdische Einheit in Rojava vor fast einem Jahr begonnen haben. Die Initiative wurde von der kurdischen Öffentlichkeit begrüßt und hatte eine positive Wirkung. Laut Hiso sind die Gespräche zwischenzeitig immer wieder ins Stocken geraten, konnten jedoch bisher aufgrund des geduldigen Umgangs beider Seiten jedes Mal wieder aufgenommen werden.
ENKS eilt nach jedem Gespräch nach Ankara
Grund für das Stocken der Gespräche sind nach Angaben von Hiso zeitlich ungünstige Erklärungen und Gespräche mit bestimmten Ländern aus der Region gewesen, vor allem die ständigen Besuche des ENKS in Ankara. „Dass der ENKS nach jedem Gespräch nach Ankara eilt, dort Erklärungen abgibt und gewisse Posen zeigt, hat einen negativen Einfluss auf die Gespräche. Das gilt nicht nur für uns, auch die Gesellschaft reagiert darauf. Die kurdische Gesellschaft betrachtet den türkischen Staat als Feind und Besatzer. Dass der ENKS mit diesem Feind posiert und eine Rolle in seinen Plänen übernommen hat, führt zu Unmut in der Bevölkerung“, sagt Hiso.
Berichterstattung in der Türkei
„Ein großer Teil der Gesellschaft ist sich bei dem ENKS nicht sicher und misstraut ihm. Seine Praxis in der Vergangenheit und seine Rolle in Efrîn, Serêkaniyê und Girê Spî löst Besorgnis in der Gesellschaft aus“, führt Xerîb Hiso aus: „Nach jedem Gespräch macht sich der ENKS auf den Weg in die Türkei. Was bedeutet das? Es bedeutet, dass er dem türkischen Staat Bericht erstattet. Die vom türkischen Staat vorgegebenen Perspektiven macht er dann bei den Gesprächen hier zur Bedingung. Können die Verhandlungen über eine kurdische Einheit vorankommen, wenn dem türkischen Staat Bericht erstattet wird und dieser die Perspektiven vorgibt? Das ist ein Problem. Der türkische Staat ist gegen die kurdische Sprache, gegen Demokratie, Frauenbefreiung und Revolution.“
Was will der ENKS wirklich?
Der ENKS erkläre bei jedem Thema der Gespräche, dass er sich mit „befugten Organen“ beraten muss, sagt Hiso: „Und mit wem berät er sich? Mit den Besatzern. Wir wissen nicht, was der ENKS wirklich will. Auch wenn wir seinen Forderungen zustimmen, muss er sich mit dem türkischen Staat beraten. Daher wissen wir einfach nicht, was er will. Will er Partner der Revolution oder Partner der Besatzer sein?“
Warum sind die Gespräche mit Damaskus abgebrochen?
Die Haltung des ENKS erschwere die Gespräche über eine kurdische Einheit, hält Hiso fest. Seit die Verhandlungen mit dem ENKS begonnen haben, sind laut Hiso die Gespräche zwischen der Selbstverwaltung und dem Regime in Damaskus gestoppt worden. Das erklärt Hiso so: „Vor Beginn der Gespräche über eine Einheit haben einige Gespräche der Selbstverwaltung mit dem syrischen Regime stattgefunden. Es gab einen Dialogprozess, der dann jedoch eingestellt wurde. Und warum ist das geschehen? Weil für den ENKS der türkische Staat maßgeblich ist. Durch die Haltung des ENKS gerät alles ins Stocken.“
Der Ort für eine Lösung ist Qamişlo
Der TEV-DEM-Vorsitzende Xerîb Hiso sagt weiter: „Wir möchten unseren Geschwistern vom ENKS folgendes sagen: Wesentlich sind die Gespräche in Qamişlo. Die Lösung liegt nicht in Ankara, Istanbul oder Dîlok [Antep]. Alle Probleme können in Qamişlo gelöst werden. Wir fragen den ENKS in voller Aufrichtigkeit: Was hat euch der türkische Staat bis heute genutzt? Der türkische Staat betrachtet den ENKS als eine Spielkarte, die instrumentalisiert werden kann. Wir hoffen, dass der ENKS das endlich einsieht und erkennt, dass nicht Ankara, Istanbul oder Dîlok wesentlich sind, sondern Qamişlo.“
Nicht alle ENKS-Mitglieder sind gleich
Zum Schluss meint Hiso, dass nicht alle ENKS-Mitglieder gleich sind. Die in Rojava lebenden Angehörigen des ENKS unterscheiden sich von denen in der Türkei und an anderen Orten. Die Zügel halten jedoch die im Ausland lebenden ENKS-Mitglieder in der Hand: „Ich bin davon überzeugt, dass nicht alle ENKS-Mitglieder die gleiche Meinung haben. Die hier lebenden Leute sind in den Institutionen vertreten, sie nutzen die hiesigen Dienstleistungen, ihr Leben findet hier statt. Die ENKS-Leute in der Türkei usurpieren den Willen der anderen. Bei jedem Schritt sind die Interessen des türkischen Staates für sie am wichtigsten. Die hier lebenden ENKS-Mitglieder wissen das. Sie können genau analysieren, was falsch läuft, aber sie sagen nichts, weil sie nichts in der Hand haben.“