Während der türkische Staat weiter mit einer Besatzung Nord- und Ostsyriens droht, haben US-Militärs in den vergangenen beiden Tagen Gespräche über eine „Sicherheitszone“ an der türkisch-syrischen Staatsgrenze in der Türkei geführt. Die Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien bemüht sich mit diplomatischen Mitteln, einen Krieg zu verhindern. Bei einem Treffen mit Vertretern der USA und der internationalen Koalition war eines der zur Sprache gekommenen Argumente, mit denen die Türkei die geplante Besatzung zu legitimieren versucht, die Rückkehr von syrischen Flüchtlingen aus der Türkei in die Region. Demnach will der türkische Staat die Region ihren „wahren Besitzern übergeben“.
Gegenüber ANF hat sich Hamid al-Abid aus Girê Spî (Tall Abyad) zu dieser Argumentation geäußert. Al-Abid ist Ko-Vorsitzender der Selbstverwaltung des nordsyrischen Kantons, der als erstes mögliches Angriffsziel einer türkischen Invasion gilt. Eine türkische Besatzung werde in keinem Fall hingenommen, beginnt er seine Ausführungen: „Die wahren Besitzer dieser Region sind wir. Wer aus verschiedenen Gründen in die Türkei migriert ist, kann jederzeit zurückkommen. Wenn jemand mit türkischen Panzern zurückkehren will, können wir das jedoch nicht akzeptieren.“
„Wir wissen, wer die wahren Besitzer sind“
Hamid al-Abid, der selbst Araber ist, erklärt weiter: „Wir wissen genau, wer die wahren Besitzer von Girê Spî sind. Als der Syrien-Krieg begann, gab es über hundert Gruppen unter dem Label ‚Freie Syrische Armee“. Nach gewisser Zeit brach unter ihnen ein Aufteilungskrieg aus und als der IS kam, schlossen sich ihm viele an. Andere sind geflüchtet. Und dann kamen die YPG/YPJ und haben die Region befreit.“ Mit diesen Worten fasst er die letzten acht Jahre in Girê Spî zusammen.
„Nur Verbrecher sehen eine Lösung in den türkischen Panzern“
Zu der ständig wiederholten Behauptung der Türkei, die Bevölkerung sei aus der Region vertrieben worden, meint al-Abid: „Wir rufen die Menschen aus Girê Spî, die in die Türkei gegangen sind, ein weiteres Mal zur Rückkehr auf. Diesen Aufruf haben wir bereits mehrmals gemacht: Kommt zurück und lebt in euren Häusern in eurem eigenen Land. Diejenigen, die Verbrechen an der Bevölkerung begangen haben, wollen es jedoch nicht und sehen die türkischen Panzer als Rückkehrmöglichkeit.“
Nachforschungen jederzeit möglich
„Der türkische Staat behauptet ständig, dass uns diese Region nicht gehört. Das kann jedoch leicht untersucht werden. Sind wir etwa aus Afghanistan gekommen? Wir sind die wahren Besitzer“, erläutert der Kantonsvorsitzende und verweist darauf, dass es sich bei vielen der vermeintlich Rückkehrwilligen in der Türkei um Islamisten handelt: „Viele der in der Türkei befindlichen Personen sind IS-Mitglieder. Die Türkei schiebt sie vor, um ihre neoosmanischen Träume zu verwirklichen. So ist die Lage.“
Vier Jahre friedliches Zusammenleben
Al-Abid will keinen Krieg. Er betont, dass die Selbstverwaltung Frieden will und die Region weiter verteidigen wird: „Wir leben seit vier Jahren geschwisterlich als Araber, Kurden, Armenier und Turkmenen zusammen. Innerhalb dieser vier Jahre kann uns keine einzige Rechtsverletzung zum Vorwurf gemacht werden, denn die Grundlage unseres Lebens hier ist die Geschwisterlichkeit der Völker. Zwischen uns gibt es keine Machtkämpfe. Bei Konflikten wird offen darüber diskutiert, falls notwendig, wird eine juristische Lösung gefunden. Es gibt Gerichte und ein Rechtssystem. Wir lösen die Probleme nicht dadurch, dass Menschen geköpft, gefoltert oder beraubt werden.“
Aufruf von TEV-DEM
Der kurdische Politiker Aldar Xelîl, der Mitglied im Exekutivrat von TEV-DEM ist, hat sich im ANF-Interview zu der türkischen Argumentation geäußert und bestätigt die Angaben des Kantonsvorsitzenden von Girê Spî: „Wir haben schon immer gesagt, dass alle Syrer, die die Region wegen des Krieges oder aus anderen Gründen verlassen haben, in ihr Land zurückkommen sollen. Wir sind bereit, sie bei einem Neuanfang in jeglicher Form zu unterstützen. Erdoğan geht es jedoch um etwas anderes. Er will bewaffnete Gruppen in der Region ansiedeln.“
Auch seine Kollegin Foza Yusif hat in einer Sendung bei Ronahi TV die aus Nord- und Ostsyrien in die Türkei oder andere Länder migrierten Menschen zur Rückkehr aufgerufen.