Rojava: Gezielte Attacken der Türkei gegen zivile Infrastruktur

Die Türkei setzt ihre Angriffe gegen die Infrastruktur der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien (AANES) unvermindert fort. Im Visier befinden sich lebenswichtige Versorgungsanlagen, aber auch zivile Siedlungsgebiete. Bisher soll es acht Tote geben.

Die Türkei setzt ihre Angriffe gegen die Infrastruktur der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien (AANES) unvermindert fort. Allein am Donnerstag wurden bisher rund fünfzehn Ziele mit Kampfdrohnen bombardiert, einschließlich Wasserpumpstationen sowie Öl- und Treibstoff-Versorgungsanlagen. Auch Zivilpersonen und Wohngebiete wurden gezielt ins Visier genommen. Im besonderen Fokus der jüngsten Angriffswelle sind Gebiete in der Cizîrê-Region. Nach noch teils unbestätigten Angaben soll es mindestens acht Tote und sechs Verletzte geben.

In der Siedlung Mişêrfa im Kanton Hesekê griffen türkische Drohnen sowohl eine Fabrik als auch ein Fahrzeug an. Weitere Luftangriffe in der Region richteten sich gegen die Umgebung des Camps Waşokanî. Das Lager wurde von der nordostsyrischen Autonomieverwaltung (AANES) nach der türkischen Besatzung von Serêkaniyê (Ras al-Ain) 2019 für Vertriebene gegründet und war bereits früher das Ziel von Angriffen. Nahezu alle der dort aktiven westlichen Hilfsorganisationen hätten das Camp bereits „fluchtartig“ verlassen, teilte Direktor Barzan Abdullah mit.

In Qamişlo wurde neben einem Umspannwerk auch mindestens ein Dorf bombardiert | Video: ANHA

In Hesekê, Qamişlo und Amûdê bombardierte die türkische Luftwaffe mehrere Umspann- und Elektrizitätswerke, die große Teile der Region mit Strom versorgen. In Çilaxa trafen die Maschinen einen Staudamm sowie ein Ölfeld, auch in Tirbespîyê wurden ein Ölfeld und eine Treibstoffversorgungsanlage bombardiert. In der Gemeinde Çelebiyê bei Kobanê wurden zwei Menschen auf einem Motorrad bei einem türkischen Drohnenangriff getötet. Der Angriff fand im Dorf Xirab Eşk statt.

Löscharbeiten nach Luftangriff auf elektrische Versorgungsanlage nahe des Zentrums von Qamişlo | Video: ANHA

Die Zahl der gezielten Attacken auf teils dicht besiedelte Dörfer ist noch unklar. Unter anderem wurde Tawila in Til Temir, Til Hebeş bei Amûdê und Qesif nahe Sirîn bombardiert. In al-Rakba bei Til Temir ist eine lebenswichtige Wasserpumpstation in Brand geschossen worden. Im nordöstlich der Stadt gelegenen Tall Baydar wurde eine türkische Bayraktar-Drohne vom Himmel geholt. Es wird angenommen, dass Truppen der US-geführten internationalen Anti-IS-Koalition die Maschine abgeschossen haben, da sich in relativer Nähe eine gemeinsam mit den QSD betriebene Basis befindet. Bei Şera im türkisch-dschihadistisch besetzten Efrîn im Nordwesten Syriens soll eine Kamikazedrohne während eines Angriffsflugs von bislang Unbekannten ausmanövriert worden sein. 

Elektrizitätswerk in Amûdê nach einem Luftangriff diesen Donnerstag | Video: ANHA

Türkische Kriegsverbrechen werden ignoriert

Der türkische Staat greift bewohnte Siedlungen und die Infrastruktur in der AANES seit langer Zeit systematisch an – zum „Schutz der Grenzen“, wie es immer wieder heißt. In den letzten Jahren sind bei diesen gezielten Angriffen Dutzende Menschen aus der Zivilbevölkerung getötet worden. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hatte mehr als einmal bezweifelt, dass die türkische Militärgewalt in der AANES mit dem Völkerrecht vereinbar ist. Reaktionen gab es dennoch so gut wie nicht.

Jetzt hat die türkische Regierung offen angekündigt, dass sie Kriegsverbrechen in Rojava begehen wird, mehr als „Besorgnis“ äußerte der Westen bislang aber nicht. Erdoğans Außenminister Hakan Fidan erklärte am Mittwoch die gesamte Infrastruktur im Norden und Osten Syriens zum „legitimen“ Angriffsziel der Sicherheitskräfte, des Militärs und des Geheimdienstes. Fidan begründet die Attacken damit, „Terrorismus“ bekämpfen zu wollen und nutzt als Vorwand den Angriff der kurdischen Guerilla vom Wochenende auf die Generaldirektion für Sicherheit des Innenministeriums in Ankara.

Die türkische Führung behauptet, die an der Aktion beteiligten Guerillakämpfer seien in Syrien ausgebildet worden und von dort aus illegal in die Türkei gelangt. Sowohl die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) und die AANES in Rojava als auch die Volksverteidigungskräfte (HPG) in Südkurdistan wiesen diese Darstellung als „Lüge“ und konstruierten Kriegsvorwand zurück.