Seitdem der türkische Präsident Tayyip Erdogan erneut mit einer Invasion in Nordostsyrien droht, kommt es zu verstärkten Militärbewegungen der türkischen Armee und ihrer islamistischen Proxys vor Til Temir, Ain Issa und Minbic. Baz Cindirês ist einer der Kommandanten der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) an der Front zum besetzten Girê Spî (Tall Abyad) und berichtet von Militärkolonnen, die sich am Rand der Besatzungszone bewegen. „Zudem hat der türkische Staat Versammlungen mit dschihadistischen Gruppen in den besetzten Gebieten abgehalten. Der Grund für die neuen Drohungen sind offensichtlich. Der türkische Staat greift seit einer Weile ununterbrochen die Medya-Verteidigungsgebiete [in Südkurdistan/Nordirak] an. Der Krieg zwischen der Guerilla und der türkischen Armee dauert weiter an. Der türkische Staat hat dabei große Verluste erlitten und kommt nicht weiter. Er ist außerdem in Idlib in Bedrängnis. Aus diesem Grund sucht er nach einem Ausweg aus der verfahrenen Situation. Das will er über einen Angriff auf Nord- und Ostsyrien erreichen.“
„Auf jeden Angriff vorbereitet“
Der QSD-Kommandant weist auch auf die Probleme in der türkischen Besatzungszone in Nordsyrien hin: „Die Bevölkerung von Efrîn, Serêkaniyê und Girê Spî ist wütend und beunruhigt. In Efrîn werden Frauen verschleppt, Minderjährige werden gegen Lösegeld entführt. In Girê Spî ist es mehrmals zu wütenden Aufständen wegen des Vorgehens des türkischen Staats und seiner Dschihadisten gekommen. All das bringt den türkischen Staat zunehmend in Bedrängnis.“
Der türkische Staat habe der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien jedoch immer gedroht, hält Baz Cindirês fest. Nach den Invasionen 2018 in Efrîn und 2019 in Serêkaniyê und Girê Spî haben die Einheiten der QSD weitere Ausbildungen durchlaufen. Cindirês verweist auf den Kampf gegen den „Islamischen Staat“ und erklärt: „Der Kampf gegen den IS ist natürlich anders als der Krieg gegen Staaten. Nachdem die Territorialherrschaft des IS beendet wurde, haben die Einheiten der QSD eine Ausbildung erhalten, in der es um den Kampf gegen Schläferzellen und insbesondere um die Verteidigung gegen die Kriegstechnologie des 21. Jahrhunderts ging. Damit haben wir unsere Kräfte auf jede Form von Angriffen auf Nordostsyrien vorbereitet.“
Das Kriegsrecht wird mit Füßen getreten
Der türkische Staat führt mit verschiedenen Methoden Krieg gegen die Autonomieregion. Baz Cindirês erklärt dazu: „Von Ain Issa über Til Temir und Minbic bis nach Şehba, überall finden ständig Artillerieangriffe statt. Die Angriffe richten sich vor allem gegen die Zivilbevölkerung. Der türkische Staat verletzt dabei sämtliche Regelungen des internationalen Kriegsrechts. Der Grundsatz, dass Zivilisten geschützt werden müssen, wird vom türkischen Regime mit Füßen getreten. Es sind Dutzende Menschen aus der Zivilbevölkerung bei den türkischen Angriffen ums Leben gekommen, in Wohngebieten ist großer Schaden entstanden.
In der letzten Zeit werden Zivilisten auch mit bewaffneten Drohnen angegriffen. Diese Angriffe richten sich vor allem gegen Menschen, die für die Revolution gearbeitet haben. Der türkische Staat unterscheidet nicht zwischen Zivilbevölkerung und bewaffneten Einheiten. Er unterscheidet auch nicht zwischen Kurden, Arabern, Suryoye und Tscherkessen. Wer zur Revolution beiträgt, ist potentielles Angriffsziel. Für diese Angriffe bedient sich der türkische Staat Verrätern. Die Bevölkerung und vor allem patriotische Familien müssen in dieser Hinsicht wachsam sein. Sie dürfen den Verrätern, die gegen die Revolution und für den Feind arbeiten, keine Gelegenheit und keinen Raum bieten.“
Das Assad-Regime will die türkischen Drohungen für sich nutzen
Wie der QSD-Kommandant weiter ausführt, wird in den Medien des Assad-Regimes breit über die Invasionsandrohungen aus der Türkei berichtet: „So heißt es etwa, dass der türkische Staat jederzeit angreifen kann und dschihadistische Söldner aus Idlib und anderen Orten zusammengezogen hat. Dabei handelt es sich um einen Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Bevölkerung von Nordostsyrien. Es soll suggeriert werden, dass die QSD sie nicht verteidigen kann und sie sich auf die Seite des Regimes stellen soll. Die Bevölkerung ist jedoch in der Lage, die politische Absicht dahinter zu erkennen. Die Menschen in Nord- und Ostsyrien haben ein hohes politisches Bewusstsein und nehmen diese Form der psychologischen Kriegsführung nicht ernst. Sie wissen, dass es keinen Ort gibt, an den sie gehen können, wenn ihre Heimat besetzt wird. Sie wissen auch, dass sie in der Besatzungszone nur als Sklaven leben können. Deshalb trauen sie niemandem und verlassen sich nur auf die QSD. Andersherum beziehen auch wir unsere Kraft und Moral aus der Bevölkerung. Nordostsyrien ist vom Volk und den QSD gemeinsam befreit worden und wir werden die Region auch gemeinsam verteidigen.“