Die seit dem Frühjahr angekündigte Großinvasion der Türkei entlang ihrer Südgrenze hat mit den schweren Luftangriffen von Samstagnacht auf weite Teile in den Autonomiegebieten von Nord- und Ostsyrien (AANES) und der Kurdistan-Region des Iraks (KRI) faktisch begonnen. Den vierten Tag in Folge steht von Şehba über Kobanê und Dêrik bis nach Şengal und das Qendîl-Gebirge eine Front von etwa 700 Kilometer Länge unter schwerem Beschuss. Besonders betroffen ist Rojava. Dort bombardiert die Türkei gezielt die zivile Infrastruktur - Luftangriffe und Artilleriefeuer auf Dörfer, Schulen, Kliniken, Tankstellen und Ölfelder wechseln sich ab. Über 40 Menschen sind seit Beginn der Angriffe in der AANES bereits ums Leben gekommen, darunter mindestens elf Zivilist:innen. In der KRI hat es nach bisherigem Stand keine Todesopfer gegeben.
Am Dienstagabend hat das Medien- und Kommunikationszentrum der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) eine Bilanz über das Kriegsgeschehen in Nord- und Ostsyrien am 22. November veröffentlicht. Ergänzend teilten die QSD heute mit, dass bei den türkischen Angriffen am Dienstag neun Menschen getötet wurden, darunter sieben Zivilist:innen. Zwei Mitglieder der Antiterroreinheit YAT kamen bei einem Drohnenangriff auf eine gemeinsame Basis der QSD und der internationalen Koalition gegen den IS in der Nähe von Hesekê ums Leben. Es wird davon ausgegangen, dass es sich bei dem Angriff um einen gescheiterten Anschlag auf den QSD-Kommandanten Mazlum Abdi gehandelt hat.
Zusammenfassend werden die Angriffe vom Dienstag wie folgt aufgelistet:
Luftangriffe mit Flugzeugen: 6
Drohnenangriffe: 6
Beschuss mit Artillerie, Panzern und Raketen: 82-mal
Zahl der eingeschlagenen Granaten: 590
Anzahl der angegriffenen Orte: 84, darunter Krankenhäuser, Tankstellen und Ölfelder
Darüber hinaus wurde ein mutmaßlicher Angriff mit Chemiewaffen verzeichnet.
Die Ereignisse im Einzelnen:
Şehba-Region
43 Artillerieangriffe, bei denen mehr als 570 Granaten eingesetzt wurden. Betroffen von dem Beschuss waren die Ortschaften Şêx Îsa, Zîwan, Herbil, Bêlûniyê, Til Çîçan, Til Enab, Wehşiyê, Kefer Naya, Semuqa, Til Medîq und Minix (Menagh); die Landstraße nach Ehras, der Şehba-Staudamm sowie der Militärflugplatz Minix.
Menschliche Schäden: Zwei tote und zwei verletzte Soldaten der syrischen Regierungstruppen.
Kobanê und Umgebung:
Ein Luftangriff auf das Stadtzentrum von Kobanê
Anzahl der Artillerieangriffe: 9
Angriffsziele: Die Dörfer Sêlim, Kul Tepe, Siftik, Zormixar, Cargelî und Qeremox sowie ein Gesundheitszentrum in Qeremox und eine Schule in Goran.
Südliches Efrîn
Artillerieangriffe: 16, eingeschlagene Granaten: 20
Angriffsziele: Die Dörfer Bênê-Ibîn, Miyase, Birc Qasê, Miyase, Îrşadiyê, Elqemiyê, Malikiyê, Şewarxe und Merenaz; die Tankstelle in Elqemiyê sowie ein iranischer Stützpunkt in Bênê.
Verluste: Ein Regimesoldat wurde getötet
In Efrîn ereignete sich auch der vermutete Chemiewaffenangriff. Der Vorfall ereignete sich in der Ortschaft Tatmeraş im Kreis Şera. Die QSD gehen davon aus, dass Phosphorbomben eingesetzt wurden. Die Nachrichtenagentur ANHA hat ein Video von dem Angriff veröffentlicht:
Minbic
Artillerieangriffe: 2
Angriffsziele: Mahsanli (auch Al-Mohsenli) und Al-Hosharia. In den östlichen und nordwestlichen Regionen der Stadt wurden Flüge von Aufklärungsdrohnen beobachtet.
Hesekê und Umgebung
Drohnenangriffe: 3 / Angriffsziele: Gemeinsame Basis der QSD-Antiterroreinheiten YAT und der internationalen Anti-IS-Koalition sowie das Dorf Oce.
Artillerieangriffe: 2 / Angriffsziele: Ländliche Gebiete von Til Temir, Zirgan und Umm al-Kheir
Verluste: Zwei Gefallene der YAT sowie drei Verletzte der Einheit.
Qamişlo und Umgebung
Drohnenangriffe: 2 / Angriffsziele: Ölfelder in der Ewde-Region sowie in der Ortschaft Lîlan (etwa sieben Kilometer südwestlich der Stadt Tirbespiyê)
Artillerieangriffe: 10 / Angriffsziele: Til Zîwan, Gir Dahol, Tokî, Til Kêf, Elî-Fero-Kreuzung, Rotan und Girkê Şamo
Menschliche Schäden: Ein verletzter Grenzschutzsoldat der syrischen Regierungstruppen durch einen türkischen Scharfschützen mit Einsatzort Grenzübergang Nusaybin-Qamişlo.
Deir ez-Zor
Luftangriffe: 5 / Angriffsziel: Makman. Das Dorf befindet sich in rund 70 Kilometer Entfernung zur syrisch-türkischen Grenze.
Titelfoto: Zweiter Luftangriff auf Teqil Beqil bei Dêrik in der Nacht auf Sonntag. Bei den Attacken waren elf Zivilist:innen ums Leben gekommen. | Bildquelle: YPJ