Initiative von ELDH und anderen Rechtsorganisationen
Mehrere europäische Rechtsorganisationen, darunter die European Association of Lawyers for Democracy and World Human Rights (ELDH), bereiten eine gemeinsame Mitteilung an das Ministerkomitee des Europarats vor. Im Zentrum steht das sogenannte „Recht auf Hoffnung“ und die ausstehende Umsetzung eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gegen die Türkei. Ankara wurde vom Komitee aufgefordert, bis spätestens September gesetzliche Regelungen vorzulegen.
Türkei stellt sich quer
Der Fall betrifft insbesondere die Situation von Abdullah Öcalan. Am 18. März 2014 urteilte der EGMR, dass die Türkei mit der Verhängung einer nicht reduzierbaren lebenslangen Freiheitsstrafe gegen den kurdischen Repräsentanten gegen das Verbot einer unmenschlichen und erniedrigen Behandlung und damit gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoßen hat. Öcalan, der 1978 die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gründete, war im Juni 1999, nur vier Monate nach seiner völkerrechtswidrigen Verschleppung aus Kenia, wegen „Hochverrats“ zum Tode verurteilt worden. Da die Türkei 2002 die Todesstrafe abgeschafft hat, muss Öcalan nun eine „verschärfte lebenslange Freiheitsstrafe“ absitzen, ohne jegliche Aussicht auf vorzeitige Entlassung. Laut dem EGMR müssen lebenslänglich Verurteilte aber zumindest Aussicht auf eine vorzeitige Haftentlassung haben. Die Strafe muss reduzierbar sein und einer Nachprüfung unterzogen werden können.
Recht auf Hoffnung im Fokus internationaler Kritik
Rengin Ergül, Anwältin und Mitglied sowohl der in Amed (tr. Diyarbakır) ansässigen Vereinigung freiheitlicher Jurist:innen (ÖHD) als auch im Kölner Verein für Demokratie und internationales Recht e. V. (MAF-DAD), erklärte, dass sich derzeit mehrere europäische Rechtsexpert:innen auf eine koordinierte Eingabe vorbereiten. Ziel sei es, den Europarat zum verstärkten Handeln zu bewegen und die Menschenrechtslage in der Türkei stärker zu internationalisieren.
Rechtsanwältin Rengin Akgül
„Zahlreiche Organisationen, darunter die ELDH, arbeiten an einer juristisch fundierten Stellungnahme. Das ist das erste Mal, dass ein solcher Vorstoß in diesem Ausmaß auf europäischer Ebene erfolgt“, so Ergül. Frühere Eingaben durch Anwält:innen oder zivilgesellschaftliche Gruppen hätten zwar bereits stattgefunden, jedoch nicht in dieser systematischen Form.
Auswirkungen auf Europarat und Türkei erwartet
Die geplante Mitteilung könne politischen Druck auf das Ministerkomitee erhöhen, erklärte Ergül. „Sie könnte dazu führen, dass das Komitee die Türkei intensiver überwacht, konkretere Anforderungen stellt und deren Umsetzung öffentlich einfordert.“ Für die Türkei hätte dies sowohl juristische als auch diplomatische Folgen – insbesondere im Hinblick auf ihre internationale Reputation. „Im Fall Öcalan geht es nicht nur um eine Einzelperson, sondern um die Rechte von mehreren tausend Gefangenen in der Türkei, die zu erschwerter lebenslanger Haft verurteilt wurden. Diese Form der Strafvollstreckung sieht keine realistische Chance auf vorzeitige Entlassung vor – was dem EGMR zufolge nicht menschenrechtskonform ist“, so Ergül weiter.
Kritik an fehlender Gesetzgebung und staatlicher Haltung
Das Ministerkomitee des Europarats hatte im September 2024 angekündigt, dass es eine Zwischenentscheidung treffen werde, sollte Ankara bis Ende September 2025 keine entsprechenden Reformen einleiten. Ergül bezeichnete dies als „zunehmende diplomatische Beobachtung“. Zwar verfüge das Komitee über keine starken Sanktionsmittel – wie im Fall Osman Kavala deutlich wurde –, doch ein offizielles Vertragsverletzungsverfahren könne dennoch eingeleitet werden.
Ergül kritisierte zudem jüngste Äußerungen des türkischen Justizministers, wonach es im nationalen Recht kein „Recht auf Hoffnung“ gebe. „Diese Haltung kommt einer Missachtung der EMRK gleich. Die Türkei ist völkerrechtlich verpflichtet, die Urteile des EGMR umzusetzen – unabhängig von innenpolitischen Überlegungen.“ Ein solches Menschenrecht dürfe kein Gegenstand politischer Verhandlungen sein, betonte sie.
Zivilgesellschaft soll eingebunden werden
Abschließend plädierte Ergül für eine stärkere Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteur:innen in der Türkei: „Gerade angesichts der politischen Lage und des bestehenden Strafvollzugsregimes ist eine koordinierte, informierte und rechtsstaatlich fundierte Reaktion erforderlich. Der Einsatz für das ‚Recht auf Hoffnung‘ betrifft fundamentale Fragen der Menschenwürde und des demokratischen Rechtsverständnisses.“