Die in Nord- und Ostsyrien etappenweise verstärkten Maßnahmen gegen die Corona-Gefahr sind mit der von der Autonomieverwaltung ausgerufenen Ausgangssperre verschärft worden. In der Region ist bisher noch keine Infektion mit dem neuartigen Corona-Virus festgestellt worden.
Die Autonomieverwaltung hatte zunächst die Grenzen, Schulen und Universitäten geschlossen und Massenveranstaltungen untersagt. In allen Regionen wurden Krisenstäbe eingerichtet und mit der Desinfektion öffentlicher Räume begonnen. Weil sich das Virus in den Nachbarländern immer weiter ausbreitet, ist eine ab dem 23. März gültige Ausgangssperre beschlossen worden.
Wir haben Menschen in Qamişlo gefragt, welche persönlichen Schutzmaßnahmen sie treffen, welche Schwierigkeiten durch die Ausgangssperre entstehen werden und was das finanziell für sie bedeutet. Ciwan Mistefa, der Ko-Vorsitzende des Gesundheitskomitees der Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien, hat uns von den getroffenen Vorbereitungen berichtet.
Ruhe auf Märkten und in Geschäften
Der Gewerbetreibende Kamil Lolo berichtet, dass die Menschen weniger einkaufen. Auf den Märkten und in den Einkaufsstraßen sei es merklich ruhiger geworden. Persönlich versucht er, sich anhand der von der Autonomieverwaltung unterbreiteten Vorschläge vor einer Infektion zu schützen. „In der Bevölkerung herrscht Angst“, sagt er. Das zeige sich auch auf dem Markt.
Wovon sollen wir während der Ausgangssperre leben?
Ekrem Mistefa sagt, dass ein großer Teil der Bevölkerung arm ist und nicht weiß, wie der Lebensunterhalt während der Ausgangssperre gesichert werden soll: „Höchstens zehn Prozent der Bevölkerung geht es wirtschaftlich gut. Alle anderen sind für ihren Lebensunterhalt auf ihre tägliche Arbeit angewiesen. Wovon sollen wir leben, wenn ein solches Verbot kommt?“
Für Arme ist es schwieriger
„Schutzmaßnahmen sind schwierig und wenn du arm bist, ist es noch schwieriger“, stellt Azad Mihemed Mirad fest: „Wenn zu Hause nichts zu essen da ist und die Kinder Brot brauchen, muss ich arbeiten gehen, um den Lebensunterhalt zu sichern. Das muss auch bedacht werden.“
Kommunen müssen aktiv werden
Ebdulxenî Taha ist Ko-Vorsitzender einer Kommune. Er sagt, dass sich die Region über die Kommunen organisiert: „Die Kommunen müssen aktiviert werden und beobachten, wem es wirtschaftlich schlecht geht. Dafür muss die Autonomieverwaltung mit den Kommunen, den örtlichen Räten und den Kantonsräten koordiniert zusammenarbeiten.“
Vorsichtsmaßnahmen bei Friseuren
Der Friseuer Bawer Ehmed berichtet, dass er Schutzmaßnahmen gegen das Corona-Virus getroffen hat. Er benutzt inzwischen Handschuhe und Gesichtsmasken, Scheren und andere Geräte werden regelmäßig desinfiziert.
Busverkehr ist eingestellt
Die Autonomieverwaltung hat den Busverkehr in Qamişlo gestoppt. Die meisten Fahrten in der Stadt finden mit Taxis statt. Die Taxifahrer sagen, dass ihr Geschäft jetzt besser läuft, aber auch sie treffen Schutzmaßnahmen. Mihemed Xelîl teilt mit, dass die Taxis täglich gereinigt werden. Die Fahrgäste werden über die zu beachtenden Regeln aufgeklärt. Sein Kollege Bavê Mîtan zeigt auf eine Broschüre des Gesundheitskomitees, die er in seinem Taxi aufgehängt hat.
Remezan Eshed, ein weiterer Taxifahrer, erklärt, dass er die im Fernsehen verbreiteten Warnungen beachtet: „Natürlich herrscht Angst, aber nicht übertrieben. Wir treffen Schutzmaßnahmen und werden ja sehen, was kommt.“
Gesundheitskomitee: Kein Corona-Fall in Nordostsyrien festgestellt
Der Ko-Vorsitzende des Gesundheitskomitees der Autonomieverwaltung, Ciwan Mistefa, meint, dass kein Land auf der Welt ausreichend auf die Pandemie vorbereitet ist. Die zu treffenden Schutzmaßnahmen haben seiner Ansicht nach zwei Ebenen: „Die erste Ebene betrifft die Vorkehrungen, die alle Bürgerinnen und Bürger beachten müssen. Die zweite Ebene sind die Maßnahmen der Autonomieverwaltung und der zuständigen Einrichtungen.“
Nach Angaben des Gesundheitskomitees ist bisher noch keine Infektion in Nordostsyrien festgestellt worden. Wie Ciwan Mistefa ausführt, dauern die Vorbereitungen im Gesundheitsbereich auf mögliche Corona-Fälle an.
Zusammenarbeit mit „Ärzte ohne Grenzen“
Mit der Regierung in Damaskus gibt es keinen Austausch zu dem Thema. Ciwan Mistefa sagt, dass das syrische Gesundheitsministerium einer Zusammenarbeit ablehnend gegenüber steht. Auch die Weltgesundheitsorganisation zeigt keine derartigen Bemühungen, weil die Region keinen offiziellen Status hat.
Eine Zusammenarbeit findet nur mit der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ statt. „Wir arbeiten koordiniert zusammen. Es sind immer noch Ärzte von ihnen hier und wir kämpfen wie bei einer großen Mobilmachung für die Gesundheit der Bevölkerung.“
Ratschläge des Gesundheitskomitees
Ciwan Mistefa, der selbst Mediziner ist, weist darauf hin, dass die Bevölkerung selbst den größten Anteil am Kampf gegen die Pandemie leisten kann: „Vor allem müssen alle auf die eigene Sauberkeit achten sowie auf die Sauberkeit des eigenen Umfelds, der Wohnung und der Gebrauchsgegenstände. Die festgelegten Regeln müssen eingehalten werden. Gegen dieses Virus sind alle gleichzeitig Kämpfer und Arzt.“
Unterstützung während der Ausgangssperre
Zu den Schwierigkeiten bei der bevorstehenden Ausgangssperre erklärt der Ko-Vorsitzende des Gesundheitskomitees: „Mit dieser Entscheidung wird den Menschen ja nicht gesagt, dass sie zu Hause bleiben sollen, um nicht an dem Virus zu sterben, und es egal ist, wenn sie an anderen Sachen sterben. Der Beschluss ist hinsichtlich seiner Auswirkungen lange diskutiert worden und die Diskussion dauert an. Wir werden uns in jeder Form für die Bevölkerung einsetzen und Hilfe leisten. Wie das geschehen soll, wird in den kommenden Tagen öffentlich gemacht.“