Muslim: Russland erteilt der Türkei Befehle
Der PYD-Vorsitzende Salih Muslim bewertet im ANF-Interview die Lage in Syrien nach den Gipfeltreffen von Teheran und Sotschi.
Der PYD-Vorsitzende Salih Muslim bewertet im ANF-Interview die Lage in Syrien nach den Gipfeltreffen von Teheran und Sotschi.
Salih Muslim hat sich als Ko-Vorsitzender der PYD im ANF-Interview zu den Gipfeltreffen in Teheran und Sotschi und den Verhandlungen über einen Großangriff der Türkei auf Rojava geäußert.
Der türkische Staat setzt seine Angriffe auf Nord- und Ostsyrien ununterbrochen fort. Am 19. Juli, nach dem trilateralen Gipfel in Teheran, verstärkten sich die Angriffe. Das hat die Frage nach einer Vereinbarung aufgeworfen. Glauben Sie, dass es eine Einigung gibt?
Man muss es so sehen, dass der türkische Faschismus seit sieben Jahren einen Krieg führt, der sich nicht nur gegen Rojava, sondern gegen ganz Kurdistan richtet. Mit Kanonen, Panzern, Völkermordpolitik... Sie greifen das kurdische Volk mit allem an, was sie in die Finger bekommen. Auch die Entwicklungen in Rojava sind Teil dieses Krieges. In dieser faschistischen Regierung gibt es eine feindselige Haltung gegenüber den Kurdinnen und Kurden. Aufgrund dieser Kurdenfeindlichkeit ist sie bereit, alles zu geben, nur um die Kurden zu vernichten. Sie wird auch den Russen oder Iran alles geben, was sie wollen. Sie tut alles Undenkbare, nur um die Kurdinnen und Kurden zu besiegen.
Nicht nur Russland, auch andere internationalen Mächte und die NATO führen eine solche Politik gegenüber den Kurden durch. Sie sagen der Türkei: „Macht dies und das mit uns, und wir werden zu den Kurden schweigen, oder wir werden euch auf verschiedene Weise helfen." Sie nutzen die Kurdenfeindlichkeit der Türkei.
Bei dem Treffen in Teheran setzten sich angeblich drei Staaten zusammen, um die Syrienfrage zu erörtern. Keiner von ihnen vertritt die Kurden oder Syrien, alle machen ihr eigenes Ding. Sie haben es der Türkei nicht ermöglicht, den von ihr gewünschten Großangriff zu starten. Wenn es einen wirklich großen Angriff gibt, kann vieles durcheinander geraten. In der Region zwischen Tel Rifat und Minbic, in der die Türkei einmarschieren will, gibt es viele Kräfte. Es gibt Iraner, Russen und andere. Hinzu kommen die lokalen kurdischen Einheiten und das syrische Regime. Es ist also eine sehr gefährliche Sache und deshalb wurde kein grünes Licht gegeben. Der Türkei wird gesagt, dass sie nur auf die alte Weise weitermachen kann. Die Kurdinnen und Kurden können mit Drohnen und Panzern angegriffen werden, ein großer Krieg würde jedoch allen schaden. Nach dem Treffen in Teheran hat die Türkei die Angriffe verstärkt und macht dabei keinen Unterschied zwischen Zivilbevölkerung und bewaffneten Kräften.
Könnte es trotzdem zu einer Situation kommen, in der der türkische Staat angreift, obwohl ein umfassender Invasionsangriff nicht erlaubt ist?
Ich glaube, man nennt es Farbenblindheit. Für die Türkei spielt es keine Rolle, ob sie grünes oder rotes Licht hat, manchmal macht sie, was sie will. Wenn sie so etwas tut, wäre das sehr gefährlich. Wir haben eine organisierte Bevölkerung und Erfahrung. Alles ist gut organisiert. Wenn es zu einem solchen Angriff kommt, wird dieses Volk nicht schweigen und sich verteidigen.
Nach Teheran hat ein Gipfel in Sotschi stattgefunden. Soweit es aus den Medien bekannt wurde, war der Inhalt ähnlich. Wie beurteilen Sie das?
Der Sotschi-Gipfel hat nur 17 Tage nach den Gesprächen in Teheran stattgefunden. Das bedeutet, dass es offenbar in Teheran eine Meinungsverschiedenheit gab. In Teheran hat es nicht geklappt. Deshalb sind Putin und Erdogan in Sotschi zusammengekommen. Unserer Meinung nach hat Putin in Sotschi nicht nur beraten, sondern Befehle erteilt, was die Türkei zu tun hat. Natürlich ging es auch um die kurdische Frage und Syrien, aber das war nur ein Teil davon. Es wurden Abkommen im Energiebereich getroffen, zum Beispiel über Kernkraftwerke. Die Russen sind dabei bestimmend und die Türkei ist Russland sozusagen in den Schoß gefallen. Niemand spricht darüber, es wird nur über die Syrien-Frage gesprochen. Es wurde ganz offen gesagt, dass das Problem mit dem syrischen Regime gelöst werden soll.
Nach dem Gipfel in Sotschi wurde über ein Treffen zwischen Erdogan und Baschar al-Assad spekuliert. Was haben Ankara und Damaskus vor?
Das syrische Regime hatte bereits Pläne in Bezug auf die syrischen Kurdinnen und Kurden. Wir kennen das von früher; nach den 1970er Jahren gab es hier viele Bemühungen hinsichtlich der Kurden und eines demografischen Wandels. Jetzt wird versucht, sowohl die Pläne der Türkei als auch die des syrischen Regimes, mit dem, was Russland will, zu kombinieren. Die Türkei hat dabei viel zu verlieren. Erdogan weiß das. Aber es ist eine erzwungene Situation. Wenn er es nicht tut, was kann er dann tun? Kann er angreifen? Es geht nicht nur um die Kurden, sondern auch um Idlib und die gesamte syrische Frage.
Welche Folgen wird eine Annäherung zwischen Erdogan und Assad haben?
Der türkische Faschismus täuscht und betrügt alle, das hat er in Syrien immer wieder getan. Ich frage mich, ob Erdogan die syrische Regierung mit diesem neuen Diskurs wirklich überzeugen kann. Wird es der Türkei gelingen, eine Atmosphäre des Vertrauens zu schaffen? Das scheint sehr schwierig zu sein. Die syrische Regierung ist nicht so dumm, dass sie sofort aufsteht und sich alles gefallen lässt. Allerdings hat Russland die Kontrolle über das syrische Regime und kann offen oder verdeckt einwirken. Russland kann die Direktiven bestimmen und Erdogan und Assad zusammenbringen. Aber es wäre ein erzwungenes Treffen, das zu keiner Lösung führen wird, weder für Syrien noch für die kurdische Frage. Ich denke, die Folgen wären sehr gefährlich, man könnte es eine Zwangsehe nennen.
Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu gab bekannt, dass er vor zehn Monaten kurz mit dem syrischen Außenminister zusammengetroffen sei. Was bedeutet es, dass ein Gespräch, das in der Vergangenheit stattgefunden hat, jetzt thematisiert wird?
Es hieß ja, dass es sich nur um ein lockeres Treffen gehandelt habe. Ich gehe jedoch davon aus, dass es kein zufälliges Treffen war, sie haben sich hingesetzt und geredet. Darum geht es auch gar nicht. Wir wissen, dass sich der Geheimdienst des syrischen Regimes mit dem MIT in Moskau und an vielen anderen Orten getroffen hat. Wenn jetzt ein Ereignis aus der Vergangenheit bekannt gegeben wird, sollen damit die Reaktionen getestet werden. Außerdem geht es um eine Botschaft an die syrische Opposition und das syrische Regime.
Aber das ist vermutlich zum jetzigen Zeitpunkt wenig realistisch, denn es gibt noch andere Probleme. Die Idlib-Frage ist noch komplizierter als die kurdische Frage. Ob Hayat Tahrir al-Sham, Jabhat al-Nusra oder andere radikale Gruppen, niemand akzeptiert sie. Wie will die Türkei dafür eine Lösung finden? Das ist eine komplizierte Sache und wirkt daher wie ein aus der Luft gegriffener Diskurs. Eventuell können sie hinsichtlich der kurdischen Frage gemeinsame Sache machen, aber auch das erscheint schwierig. Für Syrien wäre es schwierig, aus eigener Kraft eine militärische Lösung anzugehen. Schließlich haben die Verwaltung von Nordostsyrien und die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) sich nicht gegen das syrische Regime positioniert. Sie wollen das Problem immer im Dialog lösen. Sollte die Türkei jedoch versuchen, das syrische Regime unter Druck zu setzen, wird ihr dies meiner Meinung nach nicht gelingen.
Mit der Annäherung zwischen Ankara und Damaskus ist auch die Aktualisierung des Adana-Abkommens thematisiert worden. Wie ist es zu verstehen, dass ein Abkommen, das einen militärischen Zugriff der Türkei auf Syrien beinhaltet, mit den zunehmenden türkischen Angriffen auf die Tagesordnung kommt?
Das Adana-Memorandum ist ohnehin kein offizielles Abkommen. Es sollte abgeschafft und nicht erneuert und aktualisiert werden. Aber die Türkei will immer noch einen Vorwand haben, um in Syrien militärisch agieren zu können. Dieses so genannte Adana-Abkommen ist eine Vereinbarung zwischen zwei Geheimdiensten. Es ist weder bei den Vereinten Nationen registriert noch hat es eine internationale Bedeutung. Das syrische Volk weiß nichts davon, und das syrische Parlament hat es auch nicht angenommen. Vor diesen Angriffen war das Adana-Abkommen keinem der syrischen Bevölkerung bekannt. Es ist etwas, das im Geheimen geschieht.
Die Diskussionen über eine erneute Aktualisierung sind ein Deckmantel für die stattfindenden Angriffe. Was als 30-Kilometer-Zone bezeichnet wird, ist die gesamte kurdische Region. Die Türkei will diese Gebiete von Kurden säubern und ihre Besatzungspläne legitimieren. Weder die internationale Gemeinschaft noch das kurdische und syrische Volk werden dies akzeptieren. Niemand glaubt, dass so etwas überhaupt möglich ist. Die faschistische Regierung der Türkei hat eine Karte gezeichnet und will ihren osmanischen Plan umsetzen. Das ist unmöglich. Das kurdische Volk wehrt sich dagegen und auch die Bevölkerung Syriens und das Regime können es nicht akzeptieren.
Wie sollten die Menschen in Nord- und Ostsyrien gegen diese auf einen Völkermord abzielenden Pläne vorgehen? Was sind Ihre Aufgaben?
Das kurdische Volk hat seine Existenz bewiesen. Es leistet Widerstand und hat sich organisiert. Es ist nicht etwas, auf das sich zwei Seiten einigen und es zerstören können. Die Kurdinnen und Kurden werden das nicht akzeptieren, und dieser Plan wird nicht funktionieren. Wenn wir über die Menschen in Nord- und Ostsyrien sprechen, sind sie diejenigen, die am meisten leiden. Sie widersetzen sich. Sie leben hier seit Jahren zusammen und haben die Philosophie einer Demokratischen Nation akzeptiert. Das hat sich in der Praxis gezeigt. Sie versuchen, sich zu schützen, indem sie Seite an Seite kämpfen. Sie sind miteinander verflochten. Und das entwickelt sich langsam mehr und mehr. Nicht nur für Nord- und Ostsyrien, sondern alle syrischen Völker eifern ihnen jetzt nach. Das Spiel der türkischen Republik ist aufgeflogen. Alle haben begonnen, die Wahrheit zu erkennen.
Wir haben hier eine Aufgabe. Inwieweit können wir die Reaktion hier organisieren und zum Nutzen des syrischen Volkes einsetzen? Darum bemühen wir uns. Das kurdische Volk muss sensibler gegenüber dem geplanten Völkermord sein. Der Sieg des kurdischen Volkes zeichnet sich ab. Der türkische Faschismus wird hier besiegt werden und das kurdische Volk wird gewinnen. In der Frage des Nahen Ostens ist alles offengelegt worden. Die Türkei wird nicht mehr in der Lage sein, zu täuschen. Ich denke, der Prozess wird sich von nun an in eine andere Richtung entwickeln.