Mihemed Şahin, Ko-Vorsitzender des Exekutivrats der Region Firat im nordostsyrischen Autonomiegebiet, hat sich im ANF-Interview zu der von Russland geforderten Annäherung zwischen der Türkei und Syrien geäußert. Erklärtes Ziel der Türkei ist die Eliminierung der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (AANES).
Einerseits setzt die Türkei ihre Angriffe auf Nordostsyrien fort, andererseits wird von Verhandlungen mit der Regierung in Damaskus gesprochen. Was versucht der türkische Staat zu tun?
Es scheint, dass sich das militärische und politische Verhalten des türkischen Staates in den letzten Tagen geändert hat. Seit elf Jahren spielt die Türkei eine wichtige Rolle bei der Verschärfung der Krise in Syrien. Sie setzt ihre Bemühungen fort, neue Gebiete in Nordostsyrien zu besetzen. Weil sie nicht die gewünschte Unterstützung erhält, verfolgt sie eine andere Angriffsstrategie. Sie hat ihre Drohnenangriffe verstärkt, begleitet von Bodenbombardierungen. Natürlich schweigen die USA und Russland. In politischer Hinsicht ist das Ziel der türkischen Regierung, durch die Unterstützung bewaffneter Gruppierungen und den Aufbau einer Söldnerarmee ein loyales Regime in Syrien zu schaffen, gescheitert. Sie hat politisch im Nahen Osten und in Syrien verloren. Jetzt verfolgt sie andere politische Deals und will ihre Beziehungen zur Regierung in Damaskus verbessern.
Während der türkische Staat von einem Dialog mit der Regierung in Damaskus spricht, nimmt er gleichzeitig syrische Militärstützpunkte ins Visier; erst kürzlich wurden bei einem Angriff in Kobanê Soldaten der syrischen Armee getötet. Wie ist das zu erklären?
Wenn der türkische Staat politische und diplomatische Bündnisse eingehen will, versucht er, sich selbst stärker zu machen. Auf diese Weise will er zeigen, dass seine Gesprächsbereitschaft nicht auf Schwäche oder Unbeweglichkeit zurückzuführen ist. Dies ist der türkische Staatsstil. Während er also versucht, einen Dialog mit der Regierung in Damaskus zu führen, will er in der Zwischenzeit durch Angriffe zeigen, dass er standhaft und stark ist. Das ist für alle offensichtlich. Die neoosmanischen Bestrebungen und die Politik der Besatzung und Annexion des türkischen Staates sind gescheitert. Der türkische Staat befindet sich derzeit in einer schweren wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krise, die ihn selbst betrifft. Er ist schwach. Deshalb versucht er, die Banden in seinen Händen durch Verhandlungen mit der Regierung in Damaskus loszuwerden.
Welche Rolle spielt Russland in diesem Zusammenhang?
Russland hat sich von Anfang an auf die Seite der Regierung in Damaskus gestellt und eingegriffen. Die russische Regierung betrachtet die Regierung in Damaskus als ihre strategische Verbündete. Deshalb will sie die Autorität des Regimes in Syrien wiederherstellen. Der Dialog des türkischen Staates mit der Regierung in Damaskus wird von Russland unterstützt. Es scheint, dass der türkische Staat die Banden aufgibt, um seine Beziehungen zur Regierung in Damaskus zu normalisieren. Gleichzeitig hat er auch Zugeständnisse in der Frage der Angriffe auf Nordostsyrien gemacht. Auch das Verhalten Russlands bestätigt dies.
In der aktuellen Debatte wird immer wieder das Adana-Abkommen von 1998 erwähnt. Mit diesem Abkommen wurde der Türkei Operationsfreiheit in einem Gebiet bis zu fünf Kilometern hinter der Grenze gewährt. Jetzt ist die Rede von einer dreißig Kilometer tiefen „Sicherheitszone“ auf syrischem Territorium entlang der Grenze. Was sagen Sie dazu?
Das Adana-Abkommen war politisch und richtete sich gegen die Kurdinnen und Kurden. Dieses Abkommen soll jetzt aktualisiert werden, um die Autonome Verwaltung von Nordostsyrien zu liquidieren. Um die Zustimmung der Regierung in Damaskus zu erhalten, ist die türkische Regierung bereit, mit Damaskus einen Dialog aufzunehmen, zu verhandeln und die von ihr unterstützten Banden aufzugeben.