Nord- und Ostsyrien hatte die Corona-Pandemie dank frühzeitiger Kontaktbeschränkungen bisher gut im Griff. Monatelang haben sich die Autonomiegebiete erfolgreich abgeschottet, weitgehend geschlossene Grenzen und strikte Quarantäneauflagen hielten das Virus fern. Aber jetzt scheint die vielfach befürchtete Infektionswelle Nordostsyrien erfasst zu haben. Ciwan Mistefa, Ko-Vorsitzender des Gesundheitskomitees der Autonomieverwaltung, sieht die syrische Regierung in der Verantwortung. „Das Virus wird von Flugreisenden nach Qamişlo eingeschleppt und verbreitet. Der Flughafen dort steht unter Kontrolle des Regimes. Unsererseits gab es beträchtliche Bemühungen, Sicherheitskonzepte umzusetzen, die ausreichend Schutz gegen den Covid-19-Erreger bieten könnten. Aber der staatliche Flughafenbetreiber stellte sich stur und sorgt sich auch weiterhin kaum um Prävention der Ausbreitung. Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass sich alle Patienten, bei denen wir das Coronavirus in den letzten Wochen festgestellt haben, bei Reisenden, die in den Regimegebieten leben, infiziert haben.“
Die Autonomieverwaltung hatte schon im April kritisiert, dass der Flughafen in Qamişlo eine große Schwachstelle in den Präventionsmaßnahmen gegen Corona darstellt, und Damaskus vorgeworfen, nicht zum Kampf gegen die Pandemie beizutragen. Damals waren sogar Viruskontrollen durch Pandemiepräventionsteams der Selbstverwaltung sabotiert und Einreisende aus Damaskus von Flughafenmitarbeitern regelrecht verschleppt worden, damit sie nicht in Quarantäne genommen werden.
Ciwan Mistefa
Aktuell geht man in Nord- und Ostsyrien von 30 Infektionsfällen (Stand 2. August) aus. Die meisten der Infizierten leben in der Cizîrê-Region, aber auch in Raqqa und Deir ez-Zor wurden mittlerweile Infektionen festgestellt. „Das Entscheidende ist jetzt, die Verbreitung des Virus über die betroffenen Gegenden hinaus zu verhindern. Das kann uns aber nur durch strikte Maßnahmen gelingen. Als Gesundheitskomitee haben wir daher entschlossen, in der gesamten Cizîrê-Region wieder strikte Ausgangssperren einzuführen. Wir wollen die Isolationsstrategie solange aufrechthalten, bis keine lokalen Infektionen mehr festgestellt werden“, kündigte Mistefa an.
Keine Unterstützung von WHO
Mit Unterstützung von Seiten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Sachen Corona-Bekämpfung rechnet die Autonomieverwaltung Nord- und Ostsyriens nicht. „Natürlich wurden nach der Revolution von Rojava die Krankenhäuser in der Region mit medizinischen Geräten ausgestattet. Das wollen wir auch gar nicht abstreiten. Aber seit Ausbruch der Pandemie kam in unseren Regionen keine Hilfe der WHO an“, so Mistefa. Hilfe von der syrischen Regierung gibt es für die Autonomiegebiete ohnehin nicht, da die Verteilung der humanitären Hilfslieferungen von den Vereinten Nationen und der WHO über Damaskus koordiniert wird und das Regime Nord- und Ostsyrien weitgehend ausspart. „Die WHO sollte direkte Hilfe leisten, wenn sie unsere Bevölkerung unterstützen will“, sagte Mistefa.