Minbic: „IS ist ein Kind des türkischen Staates“

Turkmenen in Minbic erklären, freier als je zuvor zu sein, und lehnen eine türkische Intervention ab.

Die nordsyrische Stadt Minbic stand vom Januar 2014 bis zur Befreiung durch die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) im August 2016 unter der Terrorherrschaft des „Islamischen Staat“ (IS). Im Zuge der türkischen Militärinvasion in Efrîn drohte der Staatspräsident Erdoğan wiederholt mit einer Besatzung von Minbic, um sie „vom Terror zu befreien“. Wir haben Turkmenen in der Stadt nach ihrer Meinung gefragt.

Servet Sabri ist Vorsitzender des Turkmenischen Vereins von Minbic. Er erklärt, dass die Turkmenen wie alle anderen Völker auch unter der Terrorherrschaft des IS gelitten haben. Jetzt gebe es ein friedliches Zusammenleben aller Ethnien und Religionsgemeinschaften: „Ich habe in der ersten Zeit nach der Besatzung durch den IS noch in Minbic gelebt. Dann haben wir die Unterdrückung nicht mehr ausgehalten und sind geflüchtet. Wir mussten mit ansehen, wie der IS Menschen geköpft, Frauen und Kinder gefoltert hat. Ein Menschenleben hatte überhaupt keinen Wert mehr. An der Befreiungsoffensive von Minbic haben wir uns alle beteiligt. Unser turkmenischer Kommandant Botan Turkmen ist dabei gefallen. Mit der Unterstützung der QSD und der YPG/YPJ haben wir Minbic schließlich befreien können.“

Wo war Erdoğan während der IS-Herrschaft?

In Minbic sei jetzt ein eigenes System aufgebaut worden, erklärt Servet Sabri: „Wir haben gerade erst begonnen, ein gutes Leben zu führen. Es gibt keinen Terror in Minbic, wie der türkische Staat behauptet. Terror gab es, als der IS noch hier war. Wo waren denn Erdoğan und die Soldaten der Türkei, als der IS hier seine Terrorherrschaft einführte? Wo waren sie, als der IS die Menschen geköpft hat? Warum haben sie uns damals nicht gerettet? Wir hören nicht auf Erdoğan, er hat hier nichts zu suchen. Wir wollen weder ihn noch seine Milizen. Im Moment gibt es hier keine Banden und keinen Terror. Wir leben als armenisches, arabisches, turkmenisches Volk friedlich zusammen.“

Endlich gibt es Freiheit in Minbic

Fatma Turkmen spricht über die Situation von Frauen in Minbic. Die Wunden, die der IS verursacht hat, hätten gerade erst begonnen zu heilen, erklärt sie. Sie war während der IS-Herrschaft in der Stadt und wurde Zeugin der öffentlichen Hinrichtungen. Frauen waren vollkommen entrechtet. „Während der Befreiungsoffensive sind wir zu den QSD geflüchtet. Der IS hatte alle Wege vermint. Insgesamt acht Kinder meines Onkel, meiner Schwester und weiterer Verwandter sind auf Minen getreten und dadurch ums Leben gekommen. Zwei meiner Cousins sind in IS-Gefangenschaft geraten. Wir haben seit über drei Jahren nichts von ihnen gehört. Erst als die QSD in die Stadt kamen, konnten wir das Haus wieder verlassen. Heute haben wir keine Angst mehr. Es gibt jetzt endlich Freiheit.“

Wir wollen weder den IS noch seinen Ziehvater Türkei

Die Frauen in Minbic nehmen jetzt in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens ihren Platz ein, sagt Fatma Turkmen: „Die Frauen arbeiten und es sind Frauenräte gegründet worden. Ist eine Frau von Gewalt betroffen, wendet sie sich an den Frauenrat und der Frauenrat kümmert sich darum. Auch Frauen, die nicht zur Schule gegangen sind, können jetzt arbeiten gehen. Es sind Schneidereien, Friseursalons, Lokale und jetzt auch eine Bäckerei eröffnet worden, in der Frauen arbeiten können. Frauen mit Schulbildung werden Lehrerinnen oder arbeiten im Krankenhaus. Die Türkei will uns den IS zurückbringen, denn sie sind beide dasselbe. Der IS ist der Sohn des türkischen Staates und Erdoğan ist sein Ziehvater. Wenn die Türkei kommt, bedeutet es, dass der IS wieder da ist. Als Bevölkerung von Minbic lehnen wir das ab.“