Der ehemalige Pentagon-Mitarbeiter und Mittelost-Experte Dr. Michael Rubin nimmt an einem internationalen Forum gegen den Terrorismus der Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) in Amûdê teil. Die dreitägige Veranstaltung des Zentrums für strategische Studien Rojava (NRLS) hat gestern begonnen, am Nachmittag hielt Rubin einen Vortrag über die Beziehungen der türkischen AKP-Regierung zum IS und anderen Organisationen. Unter Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan habe die Türkei ein riesiges informelles Netzwerk staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen aufgebaut und sei bereit, radikal-islamistische Terrorgruppen und Extremisten zu unterstützen und zu versorgen, sagte Rubin, der seit 2008 Direktor des „International Centre for the Study of Radicalisation“ am Londoner King’s College ist.
Gegenüber ANF hat sich der Mittelost-Experte am Rande des Forums zu der Sackgasse geäußert, in die Erdoğans Politik die Beziehungen der Türkei zu den USA, Russland und der NATO geführt hat.
Erdoğan habe den IS niemals bekämpft, sondern vielmehr an seiner Seite gestanden, erklärte Rubin. Die Türkei habe sowohl die USA als auch Russland benutzen wollen und damit nur erreicht, dass sie für alle Seiten ihre Vertrauenswürdigkeit eingebüßt habe.
Zum Kampf gegen den IS erklärte Rubin, dass weder das syrische Regime noch die Türkei oder Russland aufrichtig seien: „Viele Länder behaupten, dass sie gegen den IS kämpfen, aber das stimmt nicht. Russland, die Türkei und Syrien sagen, dass sie den IS bekämpfen wollen, aber sie tendieren dazu, dem IS bei seinen Angriffen beiseite zu stehen. Die Menschen werden dazu genötigt, sich zwischen Assad und dem IS zu entscheiden. Damit werden Pluralismus und ein Zusammenleben verschiedener Kulturen verhindert. Weder die Türkei noch Russland oder das syrische Regime bekämpfen den IS.“
Türkei im Dilemma zwischen USA und Russland
Der Versuch Erdoğans, Russland und die USA gegeneinander auszuspielen, ist nach Rubins Ansicht gescheitert: „Erdoğan hat meiner Meinung ein falsches Spiel gespielt. Er hat gedacht, dass er taktisch vorgeht und wollte einen Konflikt zwischen den USA und Russland erzeugen. Inzwischen ist es zu spät. Selbst wenn Erdoğan jetzt noch seine Position ändern sollte, könnte er es Putin nicht erklären. Gleichzeitig haben auch die USA jegliches Vertrauen in ihn verloren.“
Erdoğan habe seine Vertrauenswürdigkeit bei Russland, den USA und der NATO eingebüßt, sagte Rubin: „Sein Problem ist seine Nachlässigkeit und Indifferenz. Er glaubt, dass er Putin ebenbürtig ist. Putin würde ihm jedoch niemals trauen. Aufgrund von Erdoğans Politik trauen weder Russland noch die USA und die NATO der Türkei mehr.“
Veränderung in der US-Politik zu Rojava
Michael Rubin ging auch auf die US-Politik in Nord- und Ostsyrien ein. Bisher hätten die USA vor allem militärische Unterstützung geleistet, jetzt zeichne sich jedoch eine Veränderung in der US-Politik ab: „Die militärische Unterstützung der USA geht weiter. Es gibt auch eine politische Änderung, die allerdings noch nicht eindeutig ist. Ich hoffe, dass diese politische Veränderung in die richtige Richtung geht.“
Bis vor fünf Jahren haben die USA die Türkei bedingungslos unterstützt, fuhr Rubin fort: „Jetzt sieht es jedoch so aus, dass sich daran etwas ändert. Der Verlauf geht in die richtige Richtung.“ Die USA bemühten sich weiterhin um eine Interimslösung zwischen der Türkei und Nordsyrien, aber das bedeute nicht, dass eine Lösung auch zustande komme. Die Türkei setze weiterhin mit dem Ziel einer Besatzung auf eine „Pufferzone“, die Länder der Region hätten jedoch noch keine Entscheidung getroffen, weil sie der Türkei nicht vertrauten.