Am Freitag hat in Amûdê im nordsyrischen Kanton Qamişlo ein internationales Forum gegen den Terrorismus der Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) begonnen. Hunderte Expert*innen und persönliche Betroffene aus dem In- und Ausland nehmen an der dreitägigen vom Zentrum für strategische Studien Rojava (NRLS) veranstalteten Konferenz unter dem Titel „IS: Dimensionen, Herausforderungen und Strategien für Auseinandersetzungen“ teil.
In der ersten Sitzung kamen zunächst Opfer, Zeugen und Hinterbliebene des IS-Terrors aus Şengal, Kobanê, Frankreich, Pirsûs (Suruç), Deir ez-Zor und Jordanien zu Wort und bekräftigten die Forderung nach einem internationalen Gerichtshof zur Sühnung der IS-Verbrechen. Außerdem wurde eine Videodokumentation zu den Terrorangriffen des IS in den letzten Jahren gezeigt.
Nach einer Pause ging das Forum mit einem Vortrag von Berivan Khalid weiter. Khalid ist Ko-Vorsitzende des Exekutivrats der Autonomieverwaltung Nord- und Ostsyriens. Sie erklärte zunächst, dass Nord- und Ostsyrien einen hohen Preis für die Zerschlagung der Territorialherrschaft des IS bezahlt habe. Anschließend wies Khalid auf die Bedrohung für die internationale Sicherheitsarchitektur durch den IS hin, die nach wie vor bestehe, und forderte die internationale Gemeinschaft auf, die Region weiterhin zu unterstützen. „Unsere primäre Forderung ist die Einrichtung eines Gerichtshofs zur Verurteilung der Verbrechen der islamistischen Organisation“, sagte Khalid und schlug eine neue Strategie für den Kampf gegen den IS vor, die alle beteiligten Kräfte verfolgen sollten.
„IS darf nicht ungestraft bleiben“
Nach Khalid hielt der Ko-Vorsitzende des Exekutivrats der Autonomieverwaltung in der Euphrat-Region Enver Muslim eine Rede. Muslim unterstrich die globale sicherheitspolitische Bedrohung durch den IS und sagte, dass der Kampf gegen die terroristisch agierende Dschihadistenmiliz nicht nur für die Völker Syriens, sondern für die gesamte Welt geführt wird. „Die inhaftierten IS-Mitglieder sollten auf syrischem Boden für ihre Verbrechen verurteilt werden. Weder der IS noch ähnliche Strukturen dürfen ungestraft bleiben. Wir müssen verhindern, dass sie die Völker der Welt ein weiteres Mal bedrohen“, so Muslim.
„IS nicht als Verhandlungsmasse nutzen“
Im weiteren Verlauf des Forums wurde ein Brief von Hisên Hecî, dem Ko-Vorsitzenden des Autonomen Şengal-Rats, vorgelesen. Darin erklärte Hecî, dass lediglich die Autonomieverwaltung Nord- und Ostsyriens der ezidischen Bevölkerung zur Hilfe geeilt sei, als der IS im August 2014 Şengal überfiel und einen Genozid verübte. „Der IS darf keine internationale Verhandlungsmasse sein. Die Kräfte, die viele Opfer brachten, um die Terroristen zu besiegen, sollten auch in juristischen Fragen eine entscheidende Rolle spielen, forderte Hecî.
„QSD haben maßgeblich zum Sieg über IS beigetragen“
Unter den Teilnehmenden des internationalen Forums befindet sich auch der ehemalige US-Kongressabgeordnete Thomas Garrett. Er wies in seinem Vortrag auf die Hintergründe hin, die zur Gründung der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) führten. „Die QSD wurden gegründet, um die Menschenrechte zu verteidigen. Ihre Rolle bei der Zerschlagung des IS war bedeutend. Es wurden große Anstrengungen in Nord- und Ostsyrien im Kampf gegen den IS unternommen. Ich werde einen Brief verfassen, um diese Themen an die Regierung zu übermitteln“, kündigte Garrett an.
„Bedrohung besteht auch weiterhin“
Der französische Abenteurer und Schriftsteller Patrice Franceschi bemerkte, dass das Ende der IS-Territorialherrschaft nicht das Ende der Dschihadisten bedeute. „Zwar waren die QSD die tragende Kraft im Widerstand gegen den IS, doch die Bedrohung durch die Terrororganisation besteht auch weiterhin. Ich finde es ist die Zeit, dass der Kampf gegen den IS neue Formen annimmt“, sagte Franceschi
„Türkische Regierung muss zur Rechenschaft gezogen werden“
Der ehemalige Pentagon-Mitarbeiter Michael Rubin durchleuchtete in seinem Vortrag die Beziehungen der türkischen AKP-Regierung zum IS und anderen Organisationen. Unter Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan habe die Türkei ein riesiges informelles Netzwerk staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen aufgebaut und sei bereit, radikal-islamistische Terrorgruppen und Extremisten zu unterstützen und versorgen, sagte Rubin, der seit 2008 Direktor des „International Centre for the Study of Radicalisation“ am Londoner King’s College ist.
Rubin machte auch auf die „ständigen Verbindungen der Türkei zum IS“ aufmerksam und fügte hinzu: „Unter diesem Aspekt sollte der IS nicht als eigenständige Organisation behandelt werden. Die türkische Regierung muss gleichermaßen zur Rechenschaft gezogen werden, da der IS auch für die türkische Bevölkerung eine große Bedrohung darstellt.“
„Internationales IS-Tribunal unversichtbar“
Der ehemalige italienische Ministerpräsident Massimo D’Alema, unter dessen Amtszeit der kurdische Vordenker Abdullah Öcalan 1998 nach Italien gereist war, wurde per Liveschaltung in die Konferenz eingebunden. D’Alema äußerte zunächst seine „tiefe Verbundenheit“ den IS-Opfern sowie den QSD, YPG und YPJ gegenüber und erklärte, dass der Kampf gegen die Dschihadistenmiliz noch nicht vorbei sei. „Der IS muss juristisch belangt und für seine Verbrechen verurteilt werden. Die internationale Gemeinschaft ist verpflichtet, ihren Beitrag zu leisten. Ich drücke meine Unterstützung für die Einrichtung eines internationalen Gerichtshofs zur Verurteilung der IS-Verbrecher aus. Wir wollen Frieden für Syrien.“
Das Forum wird heute fortgesetzt und kann über einen Live-Stream verfolgt werden.