Ilham Ehmed: Die WHO muss umgehend handeln
Die kurdische Politikerin Ilham Ehmed (MSD) fordert Unterstützung von der WHO für die Prävention der Covid-19-Pandemie in Nordostsyrien.
Die kurdische Politikerin Ilham Ehmed (MSD) fordert Unterstützung von der WHO für die Prävention der Covid-19-Pandemie in Nordostsyrien.
Trotz der weltweiten Ausbreitung der Covid-19-Pandemie hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die autonome Region Nord- und Ostsyrien in keiner Weise beim Schutz vor der Seuche unterstützt. Die Vorsitzende des Exekutivausschusses des Demokratischen Syrienrats (MSD), Ilham Ehmed, hat sich gegenüber der Nachrichtenagentur ANHA zum Ausbleiben internationaler Hilfe für Nordostsyrien und die Maßnahmen in der Region geäußert.
Die WHO hat der syrischen Regierung und der sogenannten Opposition Hilfe aufgrund der Covid-19-Pandemie geleistet. Warum erhält die Autonomieverwaltung Ihrer Meinung nach keine Hilfe?
Leider wird die Autonomieregion andauernd von humanitärer Unterstützung ausgenommen. Es gibt nun mal die WHO und die Institutionen der Autonomieverwaltung haben Kontakt zu ihr. Aber die Hilfe, die geleistet wird, ist sehr rudimentär. Wie Sie wissen, sind solche Organisationen eher bereit, mit der syrischen Zentralregierung zu arbeiten. Sie richten sich nach den Entscheidungen der Regierungen. Unserer Meinung nach ist dieser Mechanismus unzureichend und nicht in Ordnung.
Warum nicht?
Weil die syrische Regierung bisher keine positiven und demokratischen Beziehungen zur echten Opposition aufgebaut hat. Sie verfolgt immer noch einen streng zentralistischen Standpunkt. Daher ist es weder rational noch akzeptabel, dass die WHO nur über die Zentralregierung Kontakte herstellt und Hilfe leistet.
Soweit wir wissen, hat die WHO beschlossen, der Autonomieverwaltung Geräte zum Nachweis von Coronaviren zur Verfügung zu stellen. Aber bis jetzt wurden sie uns nicht übergeben. Die syrische Regierung und einige andere Gruppen in der Region haben solche Geräte erhalten. Natürlich kann dies als politische Entscheidung betrachtet werden. Richtiger wäre jedoch, eine humanitäre Notlage nicht als politischen Hebel zu benutzen. Das ist natürlich ein Kritikpunkt. Daher sollten die Vereinten Nationen und die WHO ihre Entscheidungen überdenken.
Gibt es von Seiten der Anti-IS-Koalition irgendeine Unterstützung gegen Corona?
Wir stehen in ständigem Kontakt mit der internationalen Koalition und bitten sie um Unterstützung im Kampf gegen das Coronavirus. Bisher ist keine medizinische Hilfe von der Koalition oder anderswoher angekommen. Zumindest Testkits hätten gesendet werden müssen. Wenn sich die Krankheit in der Region ausbreitet, könnte dies zu einer großen Katastrophe führen. Um eine solche Situation zu vermeiden, fordern wir die internationalen Koalitionstruppen auf, der Region die notwendige medizinische Unterstützung zu gewähren.
Hier sind ja auch russische Truppen stationiert. Gibt es von dieser Seite Unterstützung?
Auch Russland hat bisher keinerlei Unterstützung geleistet. Wenn Hilfe in die Region geschickt wird, dann läuft das über die WHO. Die russische Seite ist aber eigentlich verantwortlich für die Gebiete, in denen sich ihre Streitkräfte befinden. Wie jeder weiß, gehören die Streitkräfte zu den am stärksten betroffenen Gruppen. Die russischen Militärs haben Verbindungen zu syrischen Regierungstruppen und iranischen Streitkräften, was dazu führen könnte, dass das Virus über russische und syrische Regierungstruppen in die Region gelangt. Daher sollte die syrische Regierung die aktuelle Situation berücksichtigen und die Region vor der Gefahr der Pandemie schützen, indem sie das erfüllt, was von ihr verlangt wird.
Gibt es eine Koordination mit der syrischen Regierung gegen das Virus?
Es gibt eine Koordinierung zwischen der Autonomieverwaltung und dem Gesundheitsministerium der syrischen Regierung, aber in der Praxis hat dies keine Folgen. Die Regierung in Damaskus gibt keine Daten zu Verdachtsfällen, selbst zu solchen, die wir ihnen selbst geschickt haben, an uns weiter. Sie hat auch den Flugverkehr nicht gestoppt. Trotz des Reiseverbots sind viele Passagiere aus Damaskus in Nord. und Ostsyrien angekommen. Bisher hat die syrische Regierung keinerlei Verantwortung übernommen, ja, man kann sogar sagen, dass ihre Haltung dazu führen kann, dass sich die Pandemie hier in der Region ausbreitet.
Was bezweckt die syrische Regierung Ihrer Meinung nach damit?
Leider versuchen viele Parteien, den Ausbruch der Pandemie als Druckmittel auf andere zu benutzen. Das ist kein guter Weg und weit weg von jeglichen moralischen Maßstäben. Die syrische Regierung sollte verantwortungsvoll handeln. Alle, die hier leben, sind Teil dieses Landes. Sie arbeiten daran, Syrien vom Chaos zu befreien und zu einem sicheren Ort zu machen. Wenn von dieser Praxis kein Abstand genommen wird, trägt die Regierung in Damaskus die Verantwortung für die Ausbreitung des Coronavirus in der Region.
Was sind die Folgen dieser gescheiterten Koordination?
In Bezug auf die Gesundheitslage hat dies nicht nur Einfluss auf Nord- und Ostsyrien, sondern auf ganz Syrien. In der gegenwärtigen Situation gibt es keinen Austausch oder Diskussionen. Hier konzentrieren sich jetzt alle auf das Gesundheitswesen, und es wird weiterhin wichtig sein, dem die größte Bedeutung beizumessen.
In der letzten Zeit war immer wieder zu hören, dass erkrankte Dschihadisten in die von der Türkei besetzten Regionen Serêkaniyê und Girê Spî geschickt werden sollen. Trifft das zu?
Aus den besetzten Gebieten kommen viele Informationen. Wir versuchen sie zu verifizieren. Auch in der Türkei ist die Lage aufgrund des Coronavirus kritisch. In der Türkei sterben täglich rund 100 Menschen. Wenn die von Ihnen angesprochene Information richtig ist, würde es sich um ein Kriegsverbrechen handeln. Wir fordern die Öffentlichkeit und die zuständigen Institutionen auf, sich mit dieser Frage zu befassen. Andernfalls kann diese Praxis der Türkei sehr gefährliche Folgen haben.
Möchten Sie einen Appell an die Bevölkerung Nord- und Ostsyriens richten?
Die Gesundheitskommission muss den Zustand der aus Damaskus einreisenden Menschen klären. Zu dem Fall des Soldaten, der infiziert vom Militärdienst nach Şehba zurückgekehrt ist, ist zu sagen, es ist unglaublich gefährlich, dass die Familie versucht hat, die Infektion zu verheimlichen. Das liegt am fehlenden Bewusstsein über die Dimension der Gefahr. Die Bevölkerung sollte Quarantäne nicht als Strafe betrachten. Im Gegenteil, sie ist absolut notwendig. Es sollte allen bewusst sein, dass diese Maßnahmen ergriffen werden, um ihre Familien und die Gesellschaft zu schützen.
Die von der Autonomieverwaltung verhängte Ausgangssperre ist notwendig und wichtig. Basierend auf den aktuellen Daten kann gesagt werden, dass damit bisher eine Ausbreitung des Virus verhindert worden ist. Die Ausgangssperre muss fortgesetzt werden, auch wenn wir wissen, dass es für die Bevölkerung schwer ist.