Die Türkei versucht ihre außenpolitische Krise durch eine Besetzung von Rojava, Nord- und Ostsyrien unter dem Label eine „Sicherheitszone“ zu überwinden. Gegen eine mögliche türkische Invasion finden an den Grenzen der Region Aktionen „lebender Schutzschilde“ statt. Die Akivist*innen stehen direkt den massiven türkischen Truppenkonzentrationen auf der anderen Seite der Grenze gegenüber. Jeden Tag besuchen Bewohner*innen der Regionen Nord- und Ostsyriens die Aktivist*innen und zeigen eine deutliche Haltung gegenüber den Invasionsdrohungen.
Girê Spî (Tall Abyad) war am 15. Juni 2015 befreit worden und wird von einer Selbstverwaltung der arabischen, kurdischen, armenischen und turkmenischen Bevölkerung demokratisch regiert.
ANF sprach mit dem stellvertretenden Ko-Versitzenden der autonomen Selbstverwaltung des Kantons Girê Spî, Sebrî Mistefa, über die Drohungen der Türkei und das Verhalten der internationalen Mächte.
Der türkische Staat ist für den Syrienkrieg verantwortlich
Mistefa spricht vom expansionistischen Charakter des türkischen Staates und sieht die Türkei als Hauptverantwortliche für das Abdriften Syriens in den Krieg. „Die Türkei spielte vom ersten Tag der Syrienkrise an eine negative Rolle und unterstützte die Dschihadisten auf jede nur erdenkliche Art und Weise“, erläutert er. „Als der IS hier war, waren die Grenzen für ihn weit geöffnet und es wurden Waffen, Munition und Dschihadisten in die Region gebracht. Darüber hinaus wurde auch Handel betrieben.“
Das Beispiel Efrîn liegt auf der Hand
Mistefa erzählt, wie nach der Befreiung der Stadt ein auf der Geschwisterlichkeit der Völker basierendes, demokratisches System aufgebaut wurde. Die Türkei sehe dieses Modell als eine Bedrohung an. „So wie die Türkei Dscharablus, Bab, Azaz und Efrîn besetzt hat, so möchte sie die Region hier auch besetzen und ihre Demografie verändern. Das Beispiel Efrîn liegt auf der Hand. Ihre Taten in Efrîn kennt die ganze Welt. Der türkische Staat sieht die Region von Aleppo über Şengal und Kerkûk nach Mosul als sein Gebiet an. Er will die gesamte Region besetzen.
Der türkische Staat steht sowohl innen- als auch außenpolitisch unter hohem Druck. Er befindet sich ökonomisch, politisch und außenpolitisch in einer Sackgasse. Er sucht daher sein Heil in Krieg und Besatzung.“
Schluss mit dem Schweigen zu den Drohungen
Die internationale Koalition müsse endlich ihre Haltung gegenüber den türkischen Drohungen klarstellen und dürfe nicht schweigen, warnt Mistefa. Bei einem Angriff bestehe die Gefahr eines Wiederauflebens des Islamischen Staates.
„Wir haben zusammen mit der internationalen Koalition gegen den IS gekämpft und seiner militärischen Existenz ein Ende bereitet. Aber nun bedroht uns der türkische Staat und die internationalen Mächte schweigen und legen eine indifferente Haltung an den Tag. Die Staaten treten schon allein strukturell für ihre Interessen ein, aber wir haben hier für alle gekämpft. Deswegen müssen sie ihre Haltung klarstellen und ihre moralische Pflicht erfüllen“, betont Mistefa.
Der Vertreter des Kantons schließt mit den Worten: „Wir als Völker von Girê Spî werden niemanden um Erlaubnis fragen, um uns und unser Land gegen die, die uns den Krieg erklärt haben, zu verteidigen. Das ist unser Versprechen.“